Kapitel 19

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Phil sah kurz zu Jonas, welcher mit einer Mischung aus Verwirrung und Schuldgefühlen im Blick zurück sah. "Ich... ich weiß nicht, was los war", sagte er. "Die Blockade ist ziemlich stark. Vielleicht brauche ich nur mehr Zeit." "Klar", erwiderte Phil. "Wäre aber auch gut, wenn er das dazu noch überleben würde." Jonas zuckte bei der Bemerkung leicht zurück, bevor er knapp nickte, Phil's Blick jedoch mied, was bei diesem sofort Schuldgefühle hervorrief. Klar, er hatte ziemlich Angst um Thomas, aber deswegen hätte er nicht so hart sein sollen, schließlich wollte Jonas nur helfen. Phil seufzte kurz, bevor er wortlos den Raum verließ und Jonas allein zurück ließ.
Ihm fiel nur ein Ort ein, an dem Thomas sein konnte: Sein Zimmer. An allen anderen Stellen des Hauses bestand die Gefahr, auf einen der anderen zu treffen, und da Phil wusste, wie sehr Thomas ihnen misstraute, war es wahrscheinlich, dass er jetzt an einem Ort war, wo er mit Sicherheit alleine sein würde. Also ging er nach oben und klopfte an die Tür seines Zimmers. Als er keine Antwort erhielt, nahm er an, dass es als "herein" gemeint war und trat ein. Auf den ersten Blick war Thomas nicht da - sein Bett war ungemacht, er war nirgends zu sehen, lediglich das Fenster war weit geöffnet. Phil's erster Gedanke war, das Thomas wie in einem Klischee -film aus dem Fenster geklettert war und das Weite gesucht hatte, doch er stellte fest, dass das unlogisch wäre. Wenn Thomas verschwinden wollte, wäre er einfach durch das Portal gegangen. "Thomas?", rief Phil leise. "Ich bin draußen", kam nach kurzem Zögern die Antwort vonseiten des Fensters. Phil stöhnte frustriert auf. "Du bist nicht ernsthaft aus dem Fenster gesprungen, oder?" "Kommt einfach her", kam prompt die genervt klingende Antwort. Phil seufzte, dann ging er zum Fenster und sah hinaus. Auf den ersten Blick konnte er Thomas nicht entdecken. Er sah nach unten zum Boden und der war vollkommen menschenleer. Also entweder hielt sein Freund es für witzig, sich zu verstecken, oder er hatte sich unsichtbar gemacht. Auf den zweiten Blick erkannte Phil, dass vor dem Fenster ein Vorsprung von etwa einem halben Meter war, der wie bei vielen Altbauhäusern um den Umfang der gesamten Fassade lief und hauptsächlich zur Schmückung des Gebäudes diente. Rechts neben dem Fenster, gerade so, dass er von innen nicht zu sehen war, saß Thomas. "Was machst du da?", fragte Phil verwundert. "Nachdenken", antwortete Thomas kurz angebunden. "Und drinnen wäre das nicht gegangen?" Thomas schüttelte nur mit dem Kopf. "Oh. Achso." Sie beide schwiegen. Thomas, weil er weder Kraft noch Lust hatte, mit Phil zu reden und hoffte, dass er einfach gehen würde; Phil, weil er überlegte, was er tun oder sagen konnte, damit es Thomas besser ging. Schließlich seufzte er und kletterte aus dem Fenster auf den Vorsprung, bis er neben Thomas saß. Dann betrachteten sie beide die Aussicht. Phil konnte verstehen, warum Thomas hier raus gekommen war. Denn die Aussicht auf die weiten Felder, die schon schön war, wenn man sie von innen betrachtete, war nun, ohne einen Fensterrahmen, der sie begrenzt hätte, atemberaubend. Der Himmel war bewölkt, doch statt des einheitlichem tristen grau war er mit dicken Wolken in allen möglichen Grautönen bedeckt, die an einigen Stellen Sonnenstrahlen durchließen, welche wiederum einige wenige auserwählte Stellen in der Landschaft erhellten. Phil's Gedanken aber verschwendeten nicht viel Zeit mit der Aussicht, sondern umkreisten Thomas. Was sollte er sagen? Er kannte Thomas. Wenn es ihm nicht gut ging, wollte er alleine sein, also konnte Phil sich sicher sein, dass er auch jetzt nicht wirklich erwünscht war. Trotzdem konnte und wollte er ihn jetzt nicht alleine lassen. "Ist... ist alles okay mit dir?", fragte Phil vorsichtig, während er sich selbst dafür gratulierte, dass ihm nichts Besseres einfiel. "Natürlich", entgegnete Thomas sarkastisch. "Ich habe mieseste Kopfschmerzen weil diese verdammte Blockade sich weigert, aus meinem Kopf zu gehen, und wir sitzen hier mit einem Haufen Idioten fest!" "Thomas...", begann Phil, doch dieser unterbrach ihn bereits wieder. "Nein. Bitte, Phil. Lass uns hier verschwinden. Wir sind hier nicht sicher." "Doch. Sind wir", widersprach Phil. "Ich bin mir sicher, dass Jonas weiß, was er tut." "Oh nein, er hat absolut keine Ahnung, was er tut. Ich gehe jede Wette darauf ein, dass ich mehr über O.R.I.O.N weiß, als er. Und der Rest der Truppe? Die hassen uns doch alle, Phil. Siehst du das nicht?" Phil schwieg für einen kurzen Augenblick. Thomas hatte nicht Unrecht. Zwar waren nicht alle so feindselig ihnen gegenüber wie Kat, dennoch schienen sie ihnen Misstrauen entgegenzubringen oder sie zu meiden. Und Jonas? Den hätte Phil persönlich eben gerade für sein unvorsichtiges Verhalten beim Lösen der Blockade erschießen können. Trotzdem sagte ihm irgendetwas, dass sie in dieser Gruppe sicherer waren, als wenn sie sie verließen. "Vielleicht sollten wir genau deswegen bleiben. Weil wir denen hier genauso viel Sicherheit geben können, wie sie uns. Bestimmt weißt du mehr über O.R.I.O.N als Jonas, aber damit kannst du ihm helfen. Und im Gegenzug sind wir hier bei ihnen in Sicherheit."  "Woher willst du das wissen?", fragte Thomas zurück. "Es könnten statt O.R.I.O.N. auch die hier sein, die uns umbringen wollen." Phil sah Thomas an, studierte sein Gesicht nach dem, was er dachte. Meinte er es wirklich ernst? Phil wusste, dass sein Freund ziemlich paranoid sein konnte, aber er musste doch sehen, wie unlogisch es wäre, sie beide herzubringen, wenn Jonas und die anderen sie von Anfang an nur hatten umbringen wollen. "Lass uns nur noch ein wenig hier bleiben", antwortete Phil schlicht, seine eigenen Worte klangen schwach gegen Thomas' Angst. "Wir werden bald besser mit den anderen klarkommen. Und deine Blockade kriegen wir auch noch gelöst." Dabei erwähnte er nicht, dass er Thomas am liebsten verbieten würde, nochmal zu versuchen, die Blockade zu lösen. Zumindest wenn er sich nicht sicher sein konnte, dass es anders ausgehen würde, wie heute. Aber er hatte gesehen, wie entschlossen Thomas bei dem Versuch gewirkt und wie viel er dafür in Kauf genommen hatte. Phil bekam allmählich das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Wenn es hart auf hart kam, wenn der Punkt erreicht war, an dem sein Freund sein eigenes Leben dafür geben würde, die Blockade zu lösen, gab es nichts, das Phil tun konnte, um ihn davon abzuhalten. Und genau das war es, was ihm Angst machte.
Phil schreckte aus seinen Gedanken hoch, als Thomas ein Stück weiter zu ihm rutschte und damit den Abstand zwischen ihnen verringerte, bis er schließlich seinen Kopf auf Phil's Schulter legte. Dann seufzte er. "Ich hatte gehofft, dass ich mit dem Lösen der Blockade auch etwas in mir reparieren könnte. Dass ich damit das, was O.R.I.O.N mir angetan haben irgendwie... wieder rückgängig machen könnte." Thomas' Stimme klang heiser, als er sprach. Phil verstand nun, dass es seinem Freund nicht darum ging, mit seiner Kraft sich an O.R.I.O.N rächen zu können. Naja, vielleicht ging es ihm unter anderem auch darum, Phil konnte es nicht genau sagen, er wusste nur, dass Thomas das alles auf sich nahm, um wieder vollständig zu sein. Und mit dieser Erkenntnis wuchs das Verlangen in Phil, ihn dabei zu unterstützen und ihm zu helfen, egal was Thomas dann mit seiner Kraft anstellen würde. Vielleicht sollte er ihm vertrauen, obwohl er vieles von ihm nicht so weit kannte, wie er es wollte oder als sein bester Freund auch sollte. "Wir kriegen deine Blockade weg", sagte er deswegen. "Das verspreche ich dir."

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