Kapitel 13

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"Ich denke, ihr solltet die anderen kennen lernen.", meinte Jonas schließlich, bevor er die Augen schloss und sich konzentrierte. "Ähm... was machst du da?", fragte Phil verwirrt. Jonas öffnete die Augen wieder und sah ihn an. "Ich hab die anderen gerufen. Es geht einfacher, wenn ich schnell meine Kräfte benutze und sowas wie eine 'Rundmail' verschicke. Sie warten jetzt im Wohnzimmer." Er hielt kurz inne. "Naja, alle bis auf Cole. Der meditiert gerade. Ihr werdet ihn schon früh genug kennen lernen." "Der... meditiert?", hakte Phil irritiert nach. Jonas winkte gereizt ab. "Ja, ist so sein Ding. Bloß total irritierend, wenn man in den Geist von jemandem eindringt, der gerade meditiert. Ist dann ziemlich... keine Ahnung... leer." "A....ha?", gab Phil zurück, wobei er Thomas etwa die Art von Blick zu warf, die genau das aussprach, was dieser gerade dachte: Wo sind wir hier bloß gelandet? Jonas grinste nur, sagte dazu aber nichts, sondern stand auf und ging auf die Küchentür zu. "Kommt mit", sagte er. "Die anderen warten schon." 
Im Wohnzimmer saßen alle verteilt, als würden sie auf eine Theateraufführung warten. Thomas erwartete fast, dass sie klatschen würden, als sie von der relativ dunklen Küche in das mit hellen Möbeln großzügig ausgestattete, weiße Wohnzimmer traten. Die vier, die sie schon mehr oder weniger freiwillig auf dem Haver Anwesen kennen lernen durften, saßen mit zwei weiteren zusammengedrängt auf einem großen, beigefarbenen Sofas und schauten zusammen irgendeine Talentshow im Fernsehen.
Auf dem Couchtisch vor ihnen befand sich ein Berg aus Chipstüten, leeren Cola- und Bierflaschen und Schokoriegelverpackungen, die Phil auf irgendeine Weise an die Filmabende erinnerte, die er mehrere Male mit Thomas veranstaltet hatte. "Hey Jonas, das musst du dir ansehen.", sagte der Rothaarige -Phil erinnerte sich daran, dass er Charlie hieß-, bevor er auf den Bildschirm des Fernsehers zeigte. "Da tritt ein Zauberer auf." Jonas trat zu ihnen und sah einige Minuten lang auf den Bildschirm. Thomas nutzte die Zeit, in der er und Phil scheinbar noch unentdeckt im Schatten standen und betrachtete die sechs, die interessiert das Geschehen im Fernsehen mitverfolgten. Die jüngsten von ihnen -und damit wenn er Glück hatte auch die ungefährlichsten-, waren Charlie und der Junge neben ihm, der mit silberblonden Haaren, in einer schwarzen Strickjacke neben Charlie hockte, den Kopf zurückgelehnt hatte und scheinbar vor sich hin döste. Er hatte hellblaue Kopfhörer aufgesetzt und schien nichts von dem Geschehen mitzukriegen. Das meerschaumtürkishaarige Mädchen, welches anscheinend Kat hieß, saß ganz außen neben Charlie und dem anderen Jungen und warf ab und zu Phil und Thomas grinsend einen Blick zu, was dieser ihr am liebsten mit einem Schlag aus dem Gesicht gewischt hätte. Auf der anderen Seite neben Charlie saß Anne, das blonde Mädchen, die sie hierher teleportiert hatte neben einem anderen Mädchen, welches Thomas noch nicht kannte. Das dunkelhaarige Mädchen, welches es irgendwie geschafft hatte, dass Thomas sein Bewusstsein verlor und sich nicht mehr gegen ihre Entführung hatte wehren können, lag seitlich auf der breiten Rückenlehne des Sofas, sodass sie über alle anderen hinweg blicken konnte.
"Hm. Ich würde sagen, dass ich das besser kann.", sagte Jonas grinsend, als der Zauberkünstler seine Show beendet hatte. "Du schummelst ja auch.", entgegnete Kat, während sie genervt die Augen verdrehte. Jonas zuckte daraufhin nur mit den Schultern. "Ich bezweifle, dass der wirklich zaubern kann. Wahrscheinlich benutzt der auch irgendwelche Tricks. Und sogesehen ist es dann ja egal, ob ich mit falschen Tricks spiele oder nicht." "Warte mal. Du zauberst?", mischte Phil sich jetzt ein, womit er die Blicke von allen im Raum auf sich und Thomas zog. 'Na toll', dachte Thomas genervt. Er hasste es, nicht länger unbemerkt beobachten zu können. Sie schienen alle nicht wirklich nett zu sein. Selbst der Junge mit den silberblonden Haaren war anscheinend aufgewacht und beobachtete sie nun. Vor allem Kat aber warf ihnen einen argwöhnischen Blick zu, als würde entweder Phil oder Thomas gleich einen Feuerball auf sie werfen. "Ja, das tue ich, aber nur an den Wochenenden als Straßenkünstler. Ist so ein Hobby von mir.", antwortete Jonas auf Phil's Frage, der entweder die Spannung im Raum ignorierte oder gar nicht bemerkt hatte. "Jonas", meinte Kat leise, die ihren Blick noch immer voller Misstrauen auf Phil und Thomas gerichtet hielt. "Willst du uns nicht langsam mal sagen, wer die beiden sind? Oder was du von ihnen willst? Oder noch besser: Warum wir sie mitten in der Nacht aus ihrem Haus zerren mussten?" Der Junge mit den silberblonden Haaren machte einen kleinen Wink mit der Hand, woraufhin der Bildschirm des Fernsehers schwarz wurde und der Ton erstarb. "Danke, Felix.", meinte Charlie kurz. "Ich habe nie gesagt, dass ihr sie nachts holen sollt.", erwiderte Jonas leicht aufgebracht. "Nur, dass ihr euch bitte darum kümmern sollt, weil ich im Restaurant eine Doppelschicht einlegen musste. Und ich finde es echt nicht toll, dass ich wieder alles gerade rücken musste, weil ihr einen halben Krieg angefangen habt. Ihr hättet auch nachmittags bei ihnen auftauchen können. Ihr hattet Zeit genug." In diesem Moment wandten die anderen den Kopf und sahen überrascht zu Kat. Diese sah trotzig zu Jonas. "Ich hatte halt keine Lust, nachmittags loszuziehen und irgendwelche Fremden anzuwerben. Ich dachte, ein klassischer Überfall würde etwas schneller gehen!" Jonas seufzte genervt. "Aber dann würden sie nie mit uns zusammenarbeiten wollen.", sagte er langsam und deutlich, als redete er mit einem kleinen Kind. "Ich wusste ja nicht, dass du sie einstellen wollen würdest! Vielleicht hättest du dann einfach erklären sollen, was du willst anstatt nur zu sagen: 'Hey, ich gehe jetzt zur Arbeit. Aber weißt du noch die Typen, die du vor ein paar Tagen beschattet hast? Bring die doch einfach mal vorbei.'" Mit den letzten Sätzen imitierte sie auf übertriebene und sarkastische Art und Weise Jonas' Stimme. "Wusste ich doch, dass du das warst!", mischte Thomas sich ein. Er war stolz darauf, dass zumindest ein einziges mal seine Paranoia einen Nutzen hatte. "Klar war ich das.", entgegnete Kat entnervt. "Aber das ist keine Leistung,dass du mich erkannt hast. So paranoid wie du bist, hättest du mir wahrscheinlich die Nummernschilder von jedem Auto aufzählen können, das länger als 20 Meter hinter euch her gefahren ist." "Immerhin hat sich jetzt ja rausgestellt, dass ich recht hatte.", konterte Thomas. Kat entgegnete nichts, sondern sah ihn nur wütend an, bis sie sich wieder Jonas zuwandte. "Sag jetzt endlich, was die hier sollen." "Sie sollen dasselbe hier, wie jeder von euch.", sagte Jonas ruhig, wobei er jeden der anderen ansah, die sich aus der Diskussion bisher raus gehalten hatten, und entweder Kat stumm zustimmten, oder nur Thomas und Phil argwöhnisch oder neugierig betrachteten. Thomas biss sich nervös auf seine Unterlippe, während Phil einfach nur darauf zu warten schien, was passieren würde. Verwirrt fragte Thomas sich, ob Phil überhaupt keine Angst oder kein Misstrauen den anderen gegenüber hatte, doch dieser schien komplett ruhig zu sein. Vielleicht war das aber auch Teil seines Plans, überlegte Thomas. Wenn Phil überhaupt einen Plan hatte. Thomas hatte keinen. "Wir sind hier, um vor O.R.I.O.N geschützt zu sein. Damit wir nicht mehr jede Sekunde unseres Lebens befürchten müssen, dass man die Jagdsaison auf uns eröffnet. Wir sind hier, weil wir angeblich 'gemeinsam stärker sind', wie du immer so schön sagst.", sagte Kat, wobei sie Jonas mit einer Mischung aus Wut uns Unverständnis ansah. "Und dasselbe willst du diesen Fremden anbieten?" Jonas nickte. "Bevor ihr herkamt, war auch jeder von euch fremd.", sagte er, wobei er jedem einzelnen ins Gesicht sah. "Jeder von euch ist als Schutzsuchender zu dieser Gruppe gekommen. Und hat im Gegenzug seinen Teil zur Gruppe beigetragen. Und die beiden sind genau wie wir, also sehe ich keinen Grund, warum wir ihnen nicht dieselbe Möglichkeit gewähren sollten." "Ach, du willst einen Grund?", antwortete Kat aufbrausend. "Dann sieh dir ihn an" Sie deutete auf Thomas. "Ich kann vielleicht keine Gedanken lesen wie du, aber ich kannte sehen, dass seine Aura aus den dunkelsten und..." Sie verzog leicht angeekelt das Gesicht. "...hässlichsten Farben besteht. So viel Schuld, Hass und Angst kann gar kein guter Mensch in sich tragen. Und sein Freund ist nicht besser. Ob sie nun so sind wie wir oder nicht, wir können ihnen keinesfalls trauen." Thomas spürte, wie Phil ihm einen Blick von der Seite zuwarf und sah zu Boden, um diesem auszuweichen. Obwohl er seit dem ersten Moment, an dem Thomas Kat gesehen hatte, eine riesige Wut auf  sie aufgebaut, musste er in diesem Moment zugeben, dass sie zumindest in dem Sinne nicht unrecht hatte. Er selbst wusste um seine Ziele und auch genau, was er bereit wäre zu tun, um diese zu erreichen. Und er war sich sicher, dass Phil was das anging ein völlig falsches Bild von ihm hatte. Dieser trat nun einen Schritt vor und verschränkte empört die Arme vor der Brust. "Hey, wir kennen euch genauso wenig wie ihr uns. Und ich schätze, dass gibt uns genauso wenig einen Grund euch zu vertrauen als ihr Gründe habt. Also tu' mir einen Gefallen und die halte mal die Luft an. Schließlich habt ihr uns entführt." Dabei sah er Kat mit einer Wut an, die Thomas gar nicht von ihm kannte. Diese sah trotzig zurück. "Wir sind euch vielleicht unbekannt, aber dafür seid ihr gefährlich. Das sieht jeder, der auch nur ein wenig -sei es über Telepathie oder über einen Blick auf die Aura- in euren Geist blicken kann. Und genau deswegen Frage ich mich, was ihr hier zu suchen habt." Mit den letzten Worten wandte sie den Blick von Phil ab, stemmte demonstrativ die Hände in die Hüften und sah zu Jonas. Dieser atmete einmal tief durch, während seine Gesichtszüge sich vor Wut verhärteten, was ihn sofort älter und mächtiger aussehen ließ. Phil hätte sich bis zu diesem Zeitpunkt nie träumen lassen, dass Jonas überhaupt fähig war, derart wütend auszusehen, weil er ihn bisher seiner Art zu reden und seiner Körpersprache als freundlichen und sogar fast vertrauenswürdigen Menschen kennengelernt hatte. "Kathalin Sobotka, ich warne dich: Hör endlich auf, meine Entscheidungen in Frage zu stellen! Ich habe meine Gründe, weswegen ich die beiden dazugeholt habe.", sagte er, wobei er lauter als sonst, aber für seine Wut noch überraschend ruhig und leise. Kat ließ sich davon anscheinend kaum beeindrucken, und wenn sie es doch tat, zeigte sie es nur darin, dass sie nicht sofort antwortete, sondern ihn Einen winzigen Moment lang sprachlos ansah. "Du hast Gründe? Dann nenne sie uns doch endlich!", giftete sie zurück. "Auf die Gründe bin ich auch mal gespannt.", murmelte Thomas leise, sodass nur Phil ihn hören konnte. Jonas schwieg eine kurze Weile, als wenn er überlegen würde, ob es sich schon lohnen würde, die Informationen, die er über Phil und Thomas hatte, an die anderen preis zu geben, dann aber gab er nach. "Philipp Haver hier", begann er dann, wobei er auf Phil zeigte, der unter der verwirrenden Ungewohntheit, seinen vollen Nachnamen zu hören aufblickte.  "...ist ein ziemlich begabter Telekinet." "Wow. Telekineten gibt es an jeder Ecke.", kommentierte Kat trocken, doch Jonas ließ sich davon nicht beirren. "Und Thomas hier", fuhr er fort, wobei er Thomas einige Momente interessiert betrachtete, als würde er in seinen Gedanken etwas suchen. Anschließend verdunkelten seine Gesichtszüge sich leicht, als hätte er etwas gefunden, was er dort nicht finden wollte, bevor er den Blick von Thomas abwandte und wieder zu Kat sah. "Thomas kann uns einige interessante Dinge über O.R.I.O.N verraten." "Das ist nicht dein Ernst, oder?", entgegnete Kat entrüstet, womit sie ausnahmsweise exakt das aussprach, was Thomas dachte. Er würde nichts an Informationen verraten, erst recht nicht an diese Leute, sofern er denn überhaupt Informationen, die irgendwie im Kampf gegen O.R.I.O.N. nützlich gewesen wären. "Du schleust einen von denen bei uns ein? Von denen, die nur darauf warten, uns umzubringen oder auf ihren Operationstischen auseinander zu nehmen." Dabei wandte sie mit den letzten Worten ihren Blick von Jonas ab und funkelte Thomas mit einer Mischung aus Hass und Verachtung an. Jonas setzte zu einer erklärenden Antwort an, doch Thomas kam ihm zuvor. "Ich habe keine Ahnung, für wen du dich hältst, dass du solche Dinge von mir annehmen kannst, aber glaub nicht, für nur eine Sekunde, dass ich gemeinsame Sache mit O.R.I.O.N machen würde." Er trat ein paar Schritte vor, wobei er die Hand ignorierte, die Phil auf seine Schulter legte, um ihn zurück zu halten. "Ach nein?", konterte Kat. "Woher hast du sonst deine Informationen?" Sie stand auf und ging auf Thomas zu, bis sie sich fast direkt gegenüber standen und musterte ihn, als würde sie über die Art nachdenken, mit der sie ihm am schnellsten umbringen könnte. Die anderen schienen die Luft angehalten zu haben und beobachteten die Szene, selbst Jonas sah zu Boden und schwieg. Thomas sah Kat fest in die Augen, er hatte die Hände zu Fäusten geballt. "Sagen wir, dass ich mit ihren Operationstischen gut vertraut bin.", sagte er dann. Seine Stimme war leise und ruhig, trotzdem konnte Phil die Wut, die Thomas dabei unterdrückte, deutlich raushören. "Ich war Gefangener bei ihnen. Sie haben genau die Experimente an mir durchgeführt, über die du ja so viel zu wissen scheinst." Seine Stimme triefte vor Sarkasmus und er spuckte jedes einzelne Wort aus, als wäre es eine Beleidigung in sich. Seine Augen glühten in einem Feuer, das Phil nur von dem Phantom kannte, und was ihn sich fragen ließ, warum er seinen Freund nicht früher hinter der Maske seines Feindes erkannt hatte. "Ich habe sie für jeden einzelnen Schnitt, den sie an meine Haut gesetzt haben, bluten lassen.", beendete er dann sein Wort. Kat schien jetzt überrascht und sogar sprachlos zu sein. Sie musterte ihn aufs Neue, diesmal als würde sie etwas zu verstehen versuchen, was sie verunsicherte. Als sie danach etwas antwortete, schien der Hass, den sie auf Thomas hegte, leicht abgeschwächt, aber noch längst nicht verschwunden zu sein. "Ich hab keine Ahnung, was sie mit dir gemacht haben.", sagte sie. "Aber irgendwas in dir ist komplett zerstört. Und das macht dich gefährlich." Sie hielt kurz inne, um einen Blick zu Phil zu werfen, obwohl sie weiter mit Thomas sprach. "Dein Freund scheint das genaue Gegenteil von dir zu sein. All die Hoffnung, die Liebe, die Entschlossenheit, das, was er liebt zu verteidigen. Aber wenn so einer wie er dir folgt, ist er genauso gefährlich wie du." "Was willst du damit sagen?", entgegnete Thomas. "Ich will damit sagen, dass ich euch nicht vertraue, wie Jonas es anscheinend tut. Ich werde euch beobachten, und sobald ihr irgendeinen falschen Schritt tut, werde ich euch entweder persönlich an O.R.I.O.N ausliefern, oder euch umbringen. Je nachdem, was in dem Moment einfacher sein wird." Thomas trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite, sodass er direkt vor Phil stand. "Versuch es nur.", sagte er dann warnend. Kat erwiderte nichts, sondern warf Jonas nur einen letzten wütenden Blick zu, bevor sie aus dem Raum stapfte. 
Schweigen beherrschte den Raum, nachdem Kat gegangen war. Der heftige Wortwechsel, dessen Wucht noch immer in der Luft lag, sorgte dafür, dass niemand sich traute, zuerst das Wort zu erheben. "Na dann...", sagte Jonas schließlich, bevor er sich an die Verbliebenen wandte, die jetzt dazu übergangen waren, die Neuankömmlinge neugierig oder misstrauisch zu betrachten. "Adaine, Anne, Daria, Charlie, Felix" Er sprach jeden einzelnen an und sah ihnen ein paar Sekunden lang ins Gesicht, bevor er auf Phil und Thomas zeigte und fortfuhr. "Das sind Phil und Thomas.", er seufzte leise. "Dass ihr euch vertragen sollt, brauche ich jetzt ja nicht mehr zu erwähnen."

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