Kapitel 13

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Platsch.
Der Boden unter mir war hart und kalt.
Ich spürte etwas feuchtes in meinem Gesicht und schreckte hoch, fasste mir mit zittrigen Fingern an die Stirn.
Mein Kopf pochte schmerzhaft bei der abrupten Bewegung.
Langsam ließ ich meine Hand wieder sinken, in meiner Handinnenfläche klebte geronnenes Blut.
Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das Licht um mich herum und ich setzte mich vollständig auf, stützte mich auf meinen Händen ab.
Ein kleiner Raum. Hell erleuchtet. Ich saß auf einem Bett, das leicht knarzte, als ich aufstehen wollte.
Wo bin ich?
Ich betrachtete meine aufgeschürften Hände und plötzlich stürzte eine Flutwelle von Bildern und Eindrücken auf mich ein, bohrten sich in mein Gedächtnis und ließen mein Herz wild schlagen.
Jordan.
Panisch sprang ich auf, lief auf die Tür zu und riss sie auf. Ein wenig wunderte es mich, dass sie nicht abgeschlossen war, doch in meinem Kopf war momentan nur Platz für einen Gedanken.
Hat er überlebt?
Ich stürzte regelrecht auf den Flur und erstarrte.
Einige der Menschen, die sich auf dem Flur befanden, drehten sich zu mir um, beobachteten mich teilnahmslos.
Was machen die hier? Was mache ich hier?!
Ich war mir so sicher, komplett alleine zu sein. Fassungslos stellte ich fest, dass sogar Kinder unter ihnen waren.
Welcher kranker Bastard entführt Kinder?
Schnellen Schrittes durchquerte ich den Flur und hielt Ausschau nach Jordan.
Das Verhalten der Gestalten um mich herum erschreckte mich. Auch wenn sie nicht viel gemeinsam hatten, eines hatten sie alle gleich, ob Mann, Frau oder Kind:
Sie sahen alle verängstigt aus, huschten wie Ratten aus meinem Blickfeld und versteckten sich in ihren Räumen, die sich direkt neben meinem befanden.

Unsicher stolperte ich auf eine der Türen zu. "Jordan, wo bist du?"
Die darauf folgende Stille wurde von einem Murmeln und Rascheln unterbrochen.
Vor mir stand ein kleiner alter Mann und redete vor sich hin, fixierte mich mit seinen kleinen eingefallenen Augen, als ich näher trat.
"Bald ist es so weit", murmelte er und wandte sich desinteressiert von mir ab, ging zu seiner Tür und kratzte an ihr herum.
Angst legte sich um mein Herz. Mit diesen Menschen stimmte etwas nicht.

Als ich die Tür genauer betrachtete, erkannte ich kleine Striche, unendlich viele. Sie bedeckten beinahe die gesamte Tür. Mir wurde wieder schwindelig und ich musste mich an der Wand abstützen.
Jordan ist nicht hier.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Tritt in den Magen.
Vielleicht ist er auf der Intensivstation.
"Hey, wer bist du?", ertönt die Stimme eines kleinen Jungen direkt vor mir. Sie war so hell und klar wie Glockenklang und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Irgendwoher kannte ich diesen Jungen. Sein Gesicht kam mir vage bekannt vor, doch ich wusste nicht woher.

"Lucinda" Wie kann man ein Kind einsperren?
"Ich heiße Danny", flüsterte der Junge zurück und sah mich vorsichtig an.
Unter einem dunklen Haarschopf schimmerten goldbraune Augen hervor, schüchtern lächelte er mich an.
Danny Ponder. Seine Eltern hatten monatelang Steckbriefe in der gesamten Stadt und auf dem Unigelände verteilt und in den Nachrichten hieß es, er werde vermisst und dass es bisher noch keine Spuren gäbe, erinnerte ich mich.

Ich kniete mich vor ihn und nahm seine Hände in meine.
"Hör mal Danny", sagte ich möglichst ruhig und zutraulich, "hast du einen blonden Mann mit Brille gesehen, der hier neu ist?"
Danny schüttelte den Kopf und sah mich traurig an.
"Und... wo sind wir hier?", fragte ich heiser und blinzelte die Tränen weg.
"Das hier ist unsere Bestimmung. Mehr weiß ich nicht", sagte der Junge nachdenklich und verschwand.

***

"Fang mich doch, Jordan!", kreischte ich und suchte lachend Schutz hinter Mama's Sofa. "Pass bloß auf, du kleines Monster, gleich hab ich dich", rief er zurück und versuchte über die Coach an mich heranzukommen.
Quietschend rannte ich um meine Deckung herum und durch unseren langen Flur die Holztreppe hinauf, stolperte mehrmals.

Hinter mir hörte ich Jordan, es war unfair, dass seine Beine schon so viel länger waren als meine.
Schnell lief ich in mein eigenes kleines Badezimmer und versteckte mich im Schrank, zusammen mit diversen Shampoos, Duschgelen, Spülungen und komischen farbigen Kugeln, die aus eigener Erfahrung nicht schmeckten und die Mama manchmal in die Badewanne fallen ließ, um Schaum für mich zu machen.

Schon hörte ich meinen besten Freund, wie er unauffällig in den Raum geschlichen kam, kurz zu meinem Schrank hinüber blinzelte und dann beiläufig zuerst in die Badewanne guckte, bevor er sich vor meinem Versteck positionierte.
Ich hielt die Luft an und schloss die Augen.
Wenn ich ihn nicht sehe, sieht er mich auch nicht.

"Hm," flüsterte Jordan,"wo könnte sie wohl sein?"
Durch die kleinen Schlitze an der Seite beobachtete ich ihn, wie er wieder aus dem Badezimmer ging.
Erleichtert stieß ich die Tür auf und trat heraus, stolz dass er mich nicht gefunden hatte.
"Hab ich dich!", brüllte plötzlich jemand und ich kreischte erschreckt auf.
Im Türrahmen stand Jordan über beide Ohren grinsend. "Hab dich."
"Das zählt nicht , Jordie!", kicherte ich und schubste ihn aus dem Raum.
"Jetzt du! Versteck dich!"
Jordan nickte eifrig und verschwand um die Ecke.
Obwohl wir ausgemacht hatten, dass wir bis zwanzig zählen, rannte ich schon nach kurzer Zeit los und trampelte die Treppe hinunter.
Ein Elefant im Porzellanladen, würde Mama jetzt sagen.
Immer noch glucksend, erreichte ich das Wohnzimmer und erblickte sofort seinen blonden Haarschopf hinter dem Fernseher.
"Ich sehe dich", rief ich siegessicher und spürte einen Widerstand am Fuß, als ich auf ihn zulief.
Im Laufen drehte ich meinen Kopf überrascht zur Seite, doch es war schon zu spät.

Mein linker Fuß hatte sich in einem Kabel verheddert und ich riss den Computer um.
Es war so ein ganz flacher, neuer und bestimmt ziemlich teurer.
Geschockt fing ich an zu weinen und mein Blickfeld wurde unscharf.
Jordan war zu mir gerannt gekommen und kniete neben meinen Beinen, versuchte meinen Fuß aus dem Kabel zu befreien.
Auf einmal wurde es im Wohnzimmer merklich dunkler und lange Schatten fluteten durch die hohen Fenster.
Die Möbel um mich herum wuchsen an und alles verschob sich auf eine groteske Art und Weise.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich zu Jordan, der wiederum ängstlich an die Decke blickte.
Dort hatte sich ein dunkelroter Fleck gebildet, es tropfte langsam und zäh herab, genau auf ihn.
Schreiend wandte ich mich von ihm ab, rappelte mich auf und rannte auf die Wohnzimmertür zu, doch ich schien ihr nicht näher zu kommen, egal wie sehr ich mich auch anstrengte.
Ich kann ihm nicht helfen. Ich kann ihm nicht helfen.

Dunkles VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt