Kapitel 2

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Die Zeit vergeht und ich warte -wieso sollte es auch anders sein- immer noch vor der Tür. Ab und zu höre ich einzelne Wörter, aber nichts nützliches woraus ich mir zusammen reimen kann, was sich da drinnen abspielt.

Ich beobachte, wie die Türklinke nach unten gedrückt wird und die Tür langsam und vorsichtig aufgeht.
Das erste was ich sehe, ist Miss Blace.
Ihre Mundwinkel hängen schlaff nach unten.

Moment warte, ist das etwa eine kleine Träne, die es Geschäft hat die Barriere von Miss Blaces Hass zu durchbrechen.
Tatsächlich. An ihrer Wange kullert eine kleine, kaum sichtbare Träne hinunter.

Ich habe Miss Blace zuvor noch nie weinen, geschweige denn irgendeine andere Emotion außer Verbitterung zeigen sehen.
Doch jetzt macht sie auf mich einen mitfühlenden und traurigen Eindruck.

,,Alexis du kannst jetzt wieder rein kommen."
Ich kann noch nicht mal mehr den mürrischen Ton in ihrer Stimme hören.
Leicht zitternd betrete ich den Raum. Hinter Miss Blace sitzt der Arzt auf einem Hocker neben der roten Bank.
Er reibt sich mit seiner Hand die Schläfe. Auch er sieht sehr nachdenklich aus.
,,Setzt dich!"
Er weist wieder mit seiner Hand auf, dass ich mich erneut auf die rote Bank gegenüber von ihm setzten soll.
Der Arzt atmet tief ein und wieder aus.
,,Bringen sie es ihr schonend bei."
Bei der Aussage zittert die Stimme von Miss Blace. Die Dame von heute Morgen war garnicht wieder zu erkennen.
,,Also Alexis....."
Der Arzt stockt kurz bevor er weiter redet. So langsam mache ich mir echt sorgen. Was kann das nur für eine schlimme Nachricht sein, die mir der Arzt mitteilen möchte.

,,Wie du schon weist, untersuche ich hier im Waisenheim schon seid Jahren euch Kindern."
Ich nicke vorsichtig mit dem Kopf. Meine Hände fangen an ungewöhnlich zu zucken, mein Puls vorschnellere sich und mein Atme wird stärker.

,,Und auch dich untersuche ich, seid du hier her gekommen bist."
Jetzt fängt sogar Miss Blace an mit den Fuß auf den Boden zu klopfen. Ich kann deutlich erkennen, dass sie nervös ist.

,,Schon als du kleiner warst...... nun ja wie soll ich es am besten ausdrücken.....
Du hattest schon als Kleinkind einen unregelmäßigen Herzschlag."
Er wartet einen Moment, bis er weiter redet. Anscheinend möchte er eine Antwort von mir hören. Aber ich schaffe es nicht mal ein kleines Wort aus meinem Mund zu bekommen. Stattdessen blinzle ich nur unglaubwürdig mit meinen Augen.

,,Ich habe den falschen Rhythmus deines Herzens vorerst nie für schlimm gehalten......, aber jetzt......hat er sich deutlich verschlimmert."

Und was möchte er mir jetzt damit sagen? Mein Blick wird unsicherer.
Miss Blace hat jetzt ihre Arme vor der Brust verschränkt und guckt mit einem trüben und nicht vielsagenden Blick auf die Erde.

,,Was ich damit sagen möchte ist, dass es mittlerweile so schlimm geworden ist, dass du...."
Der Arzt schaut zu Miss Blace hinüber, die in aufmunternd zu nickt.
,,Es ist ihr eigens Recht, dass sie Bescheid weiß."
Jetzt dreht er seinen Kopf wieder und wendet sich mir zu. Ich schaue ihm in die Augen und kann ihn ansehen, dass er es nicht über die Lippen bringen kann.

Ein Moment der Stille herrscht.

Der Arzt räuspert sich und fährt fort.
,,Wahrscheinlich hast du nur noch 30 Tage zu Leben."

Mein Herz setzt einen Schlag aus. Meine Welt bricht in 1000 Einzelteile zusammen.
Ich kann nicht glaube, was ich da höre.
Ich will es nicht glauben.
Ich will es nicht wahr haben.
Ich muss hier so schnell wie möglich weg.
Weg von all dem hier.

Ich sehe noch wie der Arzt seinen Kopf in die Arme legt.
,,Warte Alexis..... du....." Miss Blace wollte mich noch aufhalten aber ich muss hier raus.

Ich renne.
Immer weiter.
An den Kinder vorbei und an Rosé.
Die Treppe hoch, in der Hoffnung, dass mir niemand folgt. Ich stolpere und schramme mir meine Knie am unebenen Holz der Treppe auf. Aber auch das ist egal.
Ich renne weiter.
Ich halte nicht bei unserem Zimmer an sondern laufe noch höre in den Dachboden.
Dort setzte ich mich auf die Fensterbank.

Meine Augen werden glasig und ich merke, wie mir langsam die Tränen an den Wangen runter kullern.
Ich kann es nicht verhindern und fange an zu weinen.
Mein Gesicht vergrabe ich in meinen Armen, die auf den Knien abgestützt sind.
Soll's das jetzt etwa mit meinem Leben gewesen sein?
30 Tage.
Mehr als 30 Tage bleibt mir nicht.

Ich hatte noch so viel vorgehabt. Ich kann jetzt nie meine Träume verwirklichen, meine große Liebe treffen und einfach glücklich sein.
Alles vorbei, aus, finito.
Es gibt hier nichts mehr was mich am Leben hält.

Ich schaue nach draußen. Der Himmel ist quietsch rosa gefärbt und die pink Farbenden Wolken sehen aus wie Zuckerwatte.
Der Dachboden ist bestimmt ungefähr 10 Meter vom Boden entfernt.

Und wieder, immer wieder rufe ich mir alles ins Gedächtnis.
Die Wörter die der Arzt gesagt hat, schallen in meinem Kopf hin und her.
Mein Schluchzen wir lauter und mein weinen heftiger.
Was würde mich jetzt abhalten zu springen?
Genau.
Rein garnichts.
In 30 Tagen werde ich sowieso sterben.
Warum sollte ich jetzt also warten und nicht springen?

Schicksalsschläge (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt