Ich sprinte los. Aus dem Gryffindorturm und weiter. Meine Beine und Gedanken überschlagen sich und Tränen rinnen über meine Wangen. Angst nimmt mir die Luft zum Atmen. Meine Muskeln brennen als ich Stiege um Stiege nehme. Weiter. weiter. Weiter. Ich zwinge mich schneller zu werden, Panik benebelt meine Sinne und ich sehe kaum. Kein Schluchzen verlässt meine Lippen, auch wenn es tief in meiner Seele sitzt. Alles ist kalt. Meine Lunge brennt und sticht. Ich bekomme kaum Luft. Bleib nicht stehen. Bleib nur nicht stehen. Sirius braucht dich. Nur noch zwei Stockwerke. Nur noch zwei. Lauf. Du schaffst das. Ich versuche mich zu fokussieren und mit gewaltiger Anstrengung überwinde ich die zwei Treppen. Mein Herz schient beinahe aus meiner Brust springen zu wollen. Ich bin oben. Ich hab's geschafft. Triumph flutet meinen Körper und Adrenalin gibt mir Energie. Ich bleibe nicht stehen, sondern stürze zur Tür und stoße ruckartig auf.
Ein Schatten steht im Regen. Mit gesenktem Kopf, starrt in den Abgrund. Donner grollt und Blitze zucken und ich renne los. Bringe keinen Ton heraus auch wenn ich schreien will. Angst umklammert mein Herz und Furcht zerrt es auseinander. Je näher ich komme, desto schlimmer wird der Schmerz, doch dieses Mal ist es Sirius' Schmerz. Ich kann ihn fühlen, wie er die Luft um ihn erfüllt und quälend seine Seele belagert. Ich stolpere zu ihm. Immer noch leise. Mein Atem kommt abgehackt und lautlos. Der Schmerz wird immer schlimmer. Meine Schläfen pochen. Nur die Brüstung trennt Sirius von mir. Ich bin da. Sirius' Hand löst sich vorsichtig von der Zinne, an der er sich festgehalten hat. In dem Moment umschlingen meine Arme seinen Körper, auch wenn ich nur seinen Bauch umfasse. Ich halte ihn zurück, lasse ihn nicht los, lasse ihn nicht fallen. Das ist der Moment, als all seine Gefühle auf mich überspringen und ich die Zähne zusammenbeiße, um nicht loszuschreien. Ich fühle seine Furcht, seine Hoffnungslosigkeit, seinen Hass auf sich selbst, seine Verzweiflung, seine Müdigkeit. Er ist müde vom Leben und all dem Schmerz in seinem Leben. Müde von den Narben, von dem Drang sich selbstbehaupten zu müssen. Müde von dem Zwang stark zu sein. Müde vom Verlieren. Müde, vom nicht gewollt werden. Sein nasser Körper ist gegen meinen gepresst und ich drücke ihn fester an mich um ihm zu zeigen, dass ich da bin. Dass ich ihn nicht loslassen werde. Ich versuche all meine Liebe zu einem Freund, wie ich ihn noch nie hatte, weil es nun mal Sternchen ist und niemand ihn ersetzen könnte, auf ihn zu übertragen. Um uns herum geht die Welt unter.
Ein Schluchzen verlässt seine Kehle, das sogar den Sturm um uns übertönt. Ich kann seinen Körper zittern fühlen. „Ich bin da!", sage ich laut und drücke meine Wange gegen seinen nassen Rücken. „Ich bin da", wispere ich leiser. Und nun brechen auch meine Dämme und Tränen rollen ungehindert meine Wangen hinab und vermischen sich mit Regen. Schluchzer schütteln meinen Körper und seinen Körper und wir weinen zusammen im Regen und lassen den Schmerz hinaus. Fast hätte ich ihn verloren. Fast wäre er weggewesen. Fast... fast. „Lass los", seine Stimme klingt dumpf und hoffnungslos. „Nein", erwidre ich fest. „Bitte Emmi", es klingt, als beiße er die Zähne zusammen, „bitte lass los." Schmerz und Tränen schwingen in seiner Bitte mit. „Nein, Sirius", sage ich. „Aber hier ist nichts mehr was mich hält!", stößt er verzweifelt und wütend hervor, „Es macht keinen Unterschied, ob ich hier bin oder nicht!" „Doch, tut es", sage ich sanft. „Nein", sagt er schwach, „Niemand will mich hier haben." „Doch", erwidre ich, „Wir alle wollen dich hier haben. Denk an mich und an Peter, an Marli, an Remus und James." „James hasst mich", kommt es bitter zurück, „Er verabscheut mich." „Nein", sage ich, „Er liebt dich wie einen Bruder." „Vielleicht war das mal so." „Man kann nicht aufhören seine Geschwister zu lieben, Sirius. Glaub mir. Er liebt dich. Aber er hat Angst. Angst davor sich in dir getäuscht zu haben und dich zu verlieren." Sirius bleibt stumm. Immer noch zittert sein Körper unablässig und meine Arme umschlingen seine Mitte. „Er braucht dich, so wie du ihn brauchst." „Niemand braucht mich", höre ich ihn leise in den Regen sagen, „niemand. Und ich kann nirgends mehr hin. Niemand will mich." Wir schweigen. Mein Körper beginnt zu zittern, um sich warm zu halten. Mein Gewand klebt an meiner Haut.
„Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn man jemanden verliert, den man nicht verlieren kann... darf?" Ich schlucke. „Ja", sage ich leise, „Ja, das weiß ich." „Und weißt du wie es ist, wenn es deine Schuld war?" Ich fühle die Reue und die Wut auf sich selbst. Ich schließe kurz meine Augen. „Ja, das weiß ich. Ich weiß wie es ist, wenn deine Seele droht auseinander zu reißen, weil du es versaut hast. Wenn du jemanden verlierst, oder fast verlierst, weil du Scheiße gebaut hast und alles was du tun kannst ist daran zu denken, was ihr alles schon erlebt habt und wie wundervoll die Zeiten waren und wie viel diese Person dir bedeutet. Und es fühlt sich an als würde ein Stück deiner Seele hinaus gerissen. Du kannst nicht mehr klar denken, weil- die Person ist weg und sie entgleitet einfach deinem Griff und du kannst nichts dagegen tun. Es ist als würdest du dich selbst verlieren. Und es tut so verdammt weh."
Die Spannung löst sich aus Sirius Körper und er dreht sich um und steigt von der Brüstung und fällt mir um den Hals und alle Kraft weicht aus meinem Körper und wir sinken zu Boden, wo ich ihn festhalte und ihn in meinen Armen wiege, mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrabe und ihn weinen lasse. Ich bin da, halte ihn fest und versuche ein bisschen seines Schmerzes zu nehmen. Um uns fällt der Regen und wäscht ein bisschen unseres Leides hinfort, während Donner den grauen Himmel erschüttert und Blitze in der Dunkelheit flackern.
Erst als sich Sirius etwas beruhigt hat, stehen wir auf. Ich ziehe ihn vorsichtig auf die Beine und schlinge meinen Arm um seine Taille, um ihn zu stützen. Ich bin vollkommen k.o. Wir stolpern die Treppen zum Gryffindorgemeinschaftsraum hinunter. Ich überlege, wie wir am besten durch den Gemeinschaftsraum kommen ohne, dass man uns mit Fragen durchlöchert. Ich könnte mich nämlich nicht an einen Geheimgang erinnern und Desillusionierungszauber kann ich noch nicht. „Sirius", sage ich leise. „Mhm", kommt es zurück. „Wir müssen durch den Gemeinschaftsraum... kannst du kurz so tun als.." „Als wäre alles ok?", sagt er mit rauer Stimme. Ich schlucke und nicke. „Ja." „Ok." Er schließt kurz die Augen und atmet tief durch. Dann öffnet er sie und ich sehe entschlossenheit in seinem Blick. Er lässt ein leichtes Grinsen seine Lippen umspielen, dann sagt er zur fetten Dame. „Wolkenbruch." „Kooorekt!", meint sie und schwingt zur Seite. Ohne Probleme gelangen wir in den Rumtreiberschlafsaal. Frank kommt uns entgegen und winkt uns. Ich lächle ihn an. „na?", meint er, „Wart ihr zwei Verrückten draußen bei dem Wetter?" Ich nicke und Sirius meint: „Man muss manchmal spürn dass man noch am Leben ist." Ein Grinser versteckt die Wahrheit seiner Worte. Frank lacht.
Wir betreten den Schlafsaal, um Mena, James und Peter vorzufinden, die mit gesenkten Köpfen und starren Blicken auf uns warten. Als wir im Türrahmen stehen sehen sie uns zuerst nur an, dann löst sich James als erster aus einer Starre, springt auf und fällt Sirius um den Hals. Sein Körper bebt, als er seinen Freund an sich drückt und Sirius' Grinser verschwindet sowie die Kraft in seinen Gliedern und die beiden Jungen sinken zu Boden. Sie klammern sich an einander wie zwei Ertrinkende an einen Rettungsring. Ich höre James wimmern. Er hat fast seinen Bruder verloren. Wir hätten Sirius fast verloren. Den rest des tages verbringen wir zu sechst in James Bett( Remus ist dazugekommen) und niemand will von Sirius Seite weichen. Irgendwann schlafen die Jungs vor Erschöpfung ein. „Mena?", wispere ich in die Dunkelheit. Wie spät ist es? Vermutlich halb zwei oder so. „ja?", haucht sie zurück. „Ich bin froh, dass du da bist." Kurz herrscht Stille, die Decken rascheln, als sie mir ihre Hand entgegenstreckt. Ich ergreife sie und drücke sie. „Ich auch, Emmi."
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Tollkirsche- Schwarz wie die Verzweiflung
Fanfiction| Fortsetzung von Glücksklee | | 3. Teil der Karneolreihe | (siehe Klatschmohn/Klatschmohnroter Sommer) Der Krieg ist gekommen, das kann niemand mehr bestreiten. Die Dunkelheit hat sich über unsere Welt erhoben. Die Grenze zwischen Gut und Böse wird...