Tränen und Sonnenschein

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Ich mache mich auf den Weg in die große Halle. Es ist das Mittagessen mitten in Gange, normalerweise bleibe ich ihm fern. Das unterschwellige Gemurmel der Stimmen, das Lachen von Schülern schwebt mir schon entgegen, bevor ich noch die Halle betreten habe. Ich glätte meinen Pulli, auch wenn es nichts zu glätten gibt, straffe meine Schultern und gehe durch die große Flügeltüre. Ich sehe die Rumtreiber an einem Tisch sitzen, alle Rumtreiber, auch wenn Tatze unsicher wirkt und Krone nicht so ganz in seine Richtung blicken mag. Als James mich sieht, hellt sich seine Miene auf: „Emmi!" ich probiere ein Lächeln. Es fühlt sich ungewohnt für mich an. „Jame", antworte ich und lasse mich zu seiner Rechten fallen. Mein Blick schweift über die Speisen. Ich seufze und greife unsicher nach Truthahn und Erbsen mit Kartoffelpüree. Der köstliche Duft von würzigem Bratensaft steigt in meine Nase. Ich sehe von meinem Teller auf und begegne Sirius Augen. Der Unsicherheit ist für einen klitzekleinen Moment Wärme gewichen und er lächelt mich kurz an. Es ist ein Zeichen von du wirst es schaffen. ich hebe meine Mundwinkel und entspanne mich etwas. Es tut gut wieder hier bei ihnen zu sitzen. Ich beginne zu essen und desto mehr wir reden und Witze reißen, desto leichter wird meine Seele. Zwar ist die Leere noch vorhanden, und das würde sie noch eine Weile, jedoch ist es schön, wieder etwas Normalität zu verspüren. Ich habe gerade den letzten Bissen des Fleisches hinuntergeschluckt, als ich Benj auf mich zu kommen sehe. Ich hebe meine Mundwinkel etwas an und winke ihm. Sein braunes Haar ist kürzer geschnitten worden, seine blaugrünen Augen scheinen besorgt zu sein, doch auch froh mich zu sehen. Er bleibt von mir stehen und vergräbt seine Hände in den Taschen seines Hoodies. „Hey, Emmi", sagt er. „Hey Benj", begrüße ich ihn mit, wie ich hoffe ruhiger, entspannter Stimme. „Wie geht es dir?", die Frage scheint vollkommen ernstgemeint zu sein. So als interessiere es ihn wirklich. „Man lebt", erwidere ich. Mein Lächeln verblasst etwas, doch es verschwindet nicht ganz. Er zieht mitfühlend einen Mundwinkel in die Höhe. Für einen Moment schweigen wir und ich lasse ihn mich mustern. Ich habe unsere beginnende Freundschaft so sehr vernachlässigt. Er bricht den Moment, als er sich durch sein Haar fährt. „Bist du fertig mit essen?" „ja eigentlich schon." „Magst du mit eine Runde um den See gehen?" Er sieht mich offen und treuherzig an. Ich nicke mit einem Lächeln und erhebe mich. Ich spüre die Blicke meiner Freunde auf mir, als ich mich verabschiede. Gemeinsam gehen wir aus der großen Halle, den Gang entlang zur Tür, die offensteht und den Duft von Frühling durch das Schloss schickt. Der Himmel ist von strahlendem Blau. Ich schlucke und schlinge meine Arme um meinen Körper. Es fühlt sich so erschreckend an, wie sehr der Anblick von Frühling und aufkeimender Freude mich aus dem Konzept bringt. Es erinnert mich an mein erstes Jahr hier, wo ich angefangen habe zu weinen, weil es mich so fertig gemacht hat, dass wir voller Hoffnung und Freude waren, während außerhalb Hogwarts ein Krieg begonnen hat sich aus dem Staub zu erheben. Doch heute ist es anders. ich habe fast mehr als drei Monate nichts als Leere und Schmerz gefühlt, weswegen allein diese Momente von Hoffnung mein Pensum an Emotionen überladen ist. Ich schlucke erneut und blinzle die aufkommenden Tränen weg und trete hinaus in den Sonnenschein. Die warmen Strahlen kitzeln meine Haut und der frische Duft von Gras füllt meine Wahrnehmung. Der kühle Wind fährt sanft durch mein Haar. Meine Sicht verschwimmt, als wir schweigend zum See hinuntergehen, der glitzernd seine Wellen schlägt. Ich fahre mir hastig über meine Augen und versuche zu lächeln, doch es schmerzt. „Hey", sagt Benj leise und hält mich am Arm fest. Er bleibt stehen, was mich dazu bringt ebenfalls zu stoppen. „Wie fühlst du dich?" „Ich-„, beginne ich und wische mir nochmals über die Augen und lache zittrig, „Es ist nur, dass ich schon ziemlich lange nicht mehr so happy war." Wieder rollt hartnäckig eine Träne über meine Wange. Seine Augen mustern mein Gesicht und er meint leise: „Emmi, ich weiß, du willst nur, dass wir uns besser fühlen, sodass wir uns keine Sorgen mehr machen, aber du musst mich nicht anlügen." Ein Schwall von Dankbarkeit überkommt mich. Für einen Moment zögre ich, doch dann sage ich leise: „Danke." „Wofür?", er klingt erstaunt. „Danke, dass du mich verstehst." Ich stocke, doch dann fahre ich fort: „ich brauche nur etwas Zeit. Es wird langsam besser werden und heute- heute ist ein Anfang. Aber ich schaffe das irgendwie." „ich bin da, wenn du mich brauchst", sagte er ruhig. „Danke", erwidere ich, „Lass uns weitergehen, bevor uns die Zeit davonläuft" Während er schmunzelt, hänge ich in Gedanken ein, sowie immer, an. Wir spazieren hinunter zum Wasser. Die Erde federt unter meinen Füßen und die Kiesel knirschen unter seinen Schritten. Wir schweigen die meiste Zeit, doch allein seine Anwesenheit tut mir gut. Irgendwann lassen wir uns auf einigen großen Steinen nieder und beginnen Kieselsteine ins Wasser zu schnippen. Dann schauen wir, wer am weitesten werfen kann. Er gewinnt. Irgendwann ziehe ich meine Schuhe und meine Socken aus und strecke meine Zehen ins Wasser. Es ist kühl und die Härchen auf meiner Haut stellen sich auf. Er tut es mir gleich und so sitzen wir da und sehen hinauf auf die schimmernde Fläche des Wassers. Die Sonne wärme meine Haut, die Vögel schweben über den Himmel. Ich lehne meinen Kopf auf Benjs Schulter und atme seinen Geruch ein. Er roch würzig, nach Moos, Rinde, Wiese und Wald. Er roch nach Abenteuer und Freiheit und nach Zuhause zugleich. Ich wundre mich für einen Moment, wie man so viel in einen Geruch hineininterpretieren kann. Ich bin froh, dass er hier ist. Er legt seinen Arm um mich und ich entspanne mich, während erneut eine Träne über meine Wange rollt. Es ist ein Anfang. Der Anfang von Hoffnung. Denn die Hoffnung ist etwas was wir nie verlieren dürfen.

Tollkirsche- Schwarz wie die VerzweiflungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt