(Seine Freundin)

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Seit München treffen Ben und ich uns regelmäßig in Dortmund. Aber es ist alles ein bisschen komplizierter geworden. Wegen seiner Freundin und meinem Freund. Wir können uns nur heimlich treffen, nicht mehr in Cafés rumhängen und Händchen haltend durch die Stadt gehen.

Das vermisse ich. Und wie. Ich vermisse es, ihn anrufen zu dürfen, wenn ich das möchte, wenn ich seine Stimme hören will zum Beispiel. Ich vermisse es, mich mit ihm in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dabei würde ich am liebsten die ganze Welt wissen lassen, wie sehr ich ihn liebe. Ich würde gerne in Cafés oder auf Bänken sitzen und mich vor aller Welt von ihm mit Kuchen und Pralinen füttern lassen.

Stattdessen treffen wir uns im Verborgenen. Wir treffen uns in seiner kleinen Wohnung zum Beispiel oder er kommt zu mir, wenn meine Mutter gerade nicht da ist und keine Gefahr besteht, dass Jan vorbeikommt.

Einmal sehe ich Ben zusammen mit seiner Freundin durch Zufall in der Stadt beim Shoppen. Ben hat mich nicht gesehen. Vielleicht tut er auch nur so, als habe er mich nicht gesehen, weil er keinen Ärger will oder keine Lust darauf hat eine Notlüge zu erfinden. Für einen kurzen Augenblick denke ich darüber nach, ihn anzusprechen, nur um zu sehen, wie er sich aus der Affäre zieht. Aber dann entscheide ich mich, die Gelegenheit zu nutzen, und sie eine Weile zu beobachten. Ich will herauszufinden, wer sie ist...

Abgesehen davon, dass ich vor Eifersucht fast platze, als ich mitbekomme wie er mit ihr umgeht, wie selbstverständlich sie all das im Überfluss bekommt, wofür ich mich erfolglos bucklig arbeite, bin ich vor allem erstaunt, wie sehr sie mir äußerlich ähnelt.

Sie hat die gleiche Figur wie ich, die gleichen brünetten langen Haare, das gleiche schmale Gesicht. Nur kommt es mir so vor, als sei sie in allem ein bisschen besser als ich. Ihre Beine sind ein paar Zentimeter länger, sie sieht sportlicher aus, hat rosigere Wangen, sie ist besser angezogen, trägt teurere Klamotten, die sie farblich gekonnt kombiniert hat, und vor allem ist sie viel viel selbstsicherer als ich. Sie ist all das, was ich gerne wäre. Bestimmt ist sie auch schlauer als ich. Jedenfalls studiert sie. Und sie studiert nicht irgendetwas. Nicht BWL oder Jura oder Pädagogik. Sie studiert Philosophie und Computer Vision. Ich hatte keine Ahnung, dass man das studieren kann. Ich wusste bis vor kurzem überhaupt nicht, was Computer Vision ist, und auch jetzt ist dieser Studiengang für mich ein Rätsel. Er ist das, was die für mich unerreichbare Freundin Bens studiert.

Als ich Ben so beiläufig wie möglich frage, was sie macht, sagt er kurz angebunden, dass sie an ihrer Abschlussarbeit schreibe. „Vielleicht geht sie danach für ein oder zwei Semester nach Kalifornien oder Cambridge", fügt er in einem Nebensatz hinzu, um mir noch einmal zu verdeutlichen, dass sie in einer anderen Liga spielt. Warum mich das interessiere, fragt er dann. „Nur so", sage ich; in Wirklichkeit klammere ich mich an diese Vorstellung wie an einen Strohhalm. Vielleicht lernt sie ja einen anderen kennen oder sie leben sich auch einfach so auseinander, wenn sie erst im Ausland ist...

Aber nach dieser Begegnung bin ich erst Mal am Boden zerstört. Wie soll ich mit dieser Frau konkurrieren? Sie hat keine richtigen Schwachpunkte. Es ist ganz anders als ich mir das insgeheim vorgestellt habe. Und aus Ben ist so gut wie nichts über sie herauszukriegen. Er verrät mir ihren Namen nicht, er lobt sie nicht und natürlich lästert er nicht über sie. Und wenn ich ihn über sie ausfrage wird er sauer.

Im Moment kann ich mich nur auf meine Figur konzentrieren. Das ist das einzige, was ich rausgefunden habe. Dass sie vielleicht einen Ticken dicker ist als ich, und ich weiß, dass Ben auf meine schmalen Hüften und diese dürre Knabenhaftigkeit meines Körpers steht.

Also hunger ich mich runter so gut es geht. Bis die letzten Reste meiner Hühnerbrüste sich zurückbilden, nur noch eine kleine Knospe zurückbleibt und sich eine Lücke zwischen den Innenseiten meiner Oberschenkel bildet.

Die Kehrseite ist die schlechte Haut, die ich kriege. Kleine Pusteln auf der Stirn- und Kinnpartie, die Oberfläche meiner Haut ist entweder entzündet oder wirkt fahl und grau. Außerdem bin ich seit kurzem andauernd erkältet, wahrscheinlich hab ich Mangelerscheinungen. Prophylaktisch nehm ich Zink- und Eisentabletten.

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