(Geister)

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Was mein Vater am Telefon sagt, hört sich vernünftig an. Und ich mag vernünftige Menschen. Ich schätze vernünftige Menschen wirklich sehr.

Mein Vater möchte mit mir meinen 18. Geburtstag nachfeiern, und er möchte mit mir reden. Bestimmt möchte er mit mir über meine Zukunft reden. Er will wahrscheinlich wissen, was ich nach der Schule zu tun gedenke, ob ich Pläne für die Zukunft habe. Vielleicht will er auch, dass ich in München studiere und bei ihm wohne.

Das geht mir durch den Kopf während ich in der Schwebebahn am Düsseldorfer Flughafen sitze und mir ein bisschen wichtig vorkomme. Er hat mich nämlich nicht nur zu sich nach München eingeladen, er hat mir auch ein Flugticket spendiert, so dass ich jetzt neben all den Geschäftsmännern und -frauen, den tätowierten Hipstern und den Mallorca-Touristen sitzen darf, die allesamt merkwürdig aus der Zeit gefallen wirken. Vor allem die Hipster.

Und während ich noch dort sitze und wir eine Station nach der anderen abklappern, sich die Türen wie von Geisterhand öffnen und wieder schließen, Menschen ein- und aussteigen, stelle ich mir vor, wie es wäre, bei meinem Vater zu wohnen.

Ich stelle mir vor, wie ich mich in seiner Wohnung einrichten und wie ich mich in den Zimmern und Fluren bewegen würde. Wahrscheinlich würde ich mir wie ein Geist vorkommen. So stelle ich mir das vor. Ich würde morgens im Winter, während der Schnee in dicken Flocken aus dem trüben Himmel segelt, barfuß wie ein Geist über die beheizten Fließen in sein Badezimmer tapsen, mich unter unsichtbarem Wasser duschen und einen mit viel Milch geweißten Kaffee mit ihm trinken und leise mit ihm reden bevor er zur Arbeit und ich zur Uni ginge. Ich würde abends zurückkehren und mich wie ein Geist an den großen Tisch im Esszimmer setzen, und mit ihm zu Abend essen.

Nachdem sich meine Eltern getrennt haben, hat meine Mutter das Sorgerecht bekommen. Aber es ist mir immer so vorgekommen, als würde mein Vater nur darauf warten, dass ich wieder zu ihm zurückkehre. Wahrscheinlich hat er gedacht, dass ich, wie er selbst, von meiner Mutter irgendwann genug haben würde. Ich glaube, dass er sich ziemlich sicher war, dass das eines Tages geschehen würde.

Ich habe meinem Vater nach der Trennung immer angesehen, was er von meiner Mutter hält, und ich habe ihm immer angesehen, dass er die Befürchtung hat, dass ich so wie sie werden könnte. Wenn er sich nicht hinreichend um mich kümmert, wenn ich mich zu weit aus seinem Kräftefeld entferne, könnte ich wie sie werden. Und dann müsste er mich aufgeben, so wie er meine Mutter aufgegeben hat.

Aber er hat nie über meine Mutter gelästert. Das hat er nicht nötig gehabt. Ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, die immer über meinen Vater gelästert hat. Aber für meinen Vater ist das auch einfach gewesen. Für meine Mutter nicht. Meine Mutter ist abgesoffen wie eine alte leckgeschlagene Fregatte, nachdem mein Vater sie aufgegeben hat.

Mein Vater nicht. Mein Vater hat das Boot rechtzeitig verlassen und er konnte schwimmen.

Er hat gleich nach der Trennung diesen gutbezahlten Job in München bekommen, er hat diese renovierte Altbauwohnung am Goetheplatz bezogen und er hat kurze Zeit später eine neue Frau kennengelernt, zu der ich nur eine sehr vage Beziehung habe. Eigentlich habe ich keine Beziehung zu ihr. Ich sehe sie auch nicht so oft, nur manchmal zum Essen. Für mich ist sie nur ein Geist, der neben meinem Vater wandelt, wie meine Mutter, die irgendwann neben meinem Vater gewandelt ist wie ein Geist.

12 WochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt