(Die Feier)

126 45 6
                                    


Mein Vater, seine Freundin und ich, wir feiern in einem italienischen Restaurant bei gedämpftem Licht und vegetarischem Essen, weil ich kein Fleisch esse, und mein Vater das berücksichtigt.

Vielleicht hat seine Freundin ihm gesagt, dass es für einen Vegetarier unangenehm sei, anderen beim Fleischessen zuzusehen. Vielleicht hat sie ihm das beigebracht. Und vielleicht hat er eingesehen, dass er mir zu meinem Geburtstag, nur dieses eine Mal, diesen Gefallen tun könnte, und kein Fleisch bestellen.

Mein Vater hat mir schon am Nachmittag - gleich nachdem er mich mit seinem schicken Auto vom Flughafen abgeholt hat, ein teures neues iPhone zum Geburtstag geschenkt. Es liegt jetzt neben mir auf dem Tisch und leuchtet manchmal wenn ich eine neue Nachricht bekomme. Manchmal leuchtet es auch einfach so und ich weiß nicht weshalb. Vielleicht weil es so hübsch leuchten kann. Jeder braucht eine Existenzberechtigung.

Aber dieses Gespräch mit meinem Vater, das ich mir in Gedanken schon auf dem Weg ausgemalt habe, läuft ganz anders als ich mir das vorstelle.

Eigentlich denke ich, dass es in diesem Gespräch um mich gehen wird. Ich stelle mir vor, dass es um mich und meine Zukunft gehen wird. Und ich stelle mir vor, dass ich meinem Vater womöglich die Sache mit der Schwangerschaft erzählen kann. Dass es dafür eine Gelegenheit gibt. Dass ich mit ihm und seiner Freundin, die einen vernünftigen Eindruck macht, darüber reden kann, und dass er dann vielleicht so etwas sagt, wie "...das kriegen wir schon hin, Invanka. Ich lass dich mit der Sache nicht allein."

Ich möchte nicht, dass er die Sache in die Hand nimmt. Aber ich möchte auch nicht allein sein damit. Ich möchte mit jemandem darüber reden, der nicht Seelsorger oder Arzt ist oder zu einer anderen Gruppe von Menschen gehört, die dafür bezahlt werden.

Und eigentlich fängt dieses Gespräch mit meinem Vater auch gut an. Es ist kein erzwungenes Gespräch, es kommt so nebenbei, neben dem Essen und dem Trinken in Gang. Es ist ein ernstes Gespräch ohne aufgesetzt ernst zu sein. Ohne diese bleierne Schwere, die ernsten Gesprächen manchmal so an sich haben. Irgendwann fragt mein Vater wie beiläufig, wie es in der Schule so laufe und er fragt auch, was ich vorhabe, wenn ich mit der Schule fertig bin.

Aber dann merke ich, genauso beiläufig, dass ihn das eigentlich überhaupt nicht interessiert. Dass ihm das egal ist. Dass ihm irgendetwas ganz anderes durch den Kopf geistert während er versucht, sich für seine Tochter zu interessieren.

Dabei ist dieses Desinteresse bei ihm ganz anders verpackt als bei meiner Mutter. Meine Mutter geht ganz offensiv mit ihrem Desinteresse an mir um. Sie hat kein Problem damit, dass sie sich nicht für mich interessiert. Sie zeigt mir fast demonstrativ, dass sie mit ihrem eigenen Leben beschäftigt ist und für mein Leben keine Zeit und keinen Nerv hat.

Bei meinem Vater ist das anders. Er macht weder an seinem Handy rum, noch geht er auf die Toilette, und schon gar nicht fängt er an zu gähnen.

Aber ich sehe es an seinen Augen, an seinem Mund, seinen Augenbrauen, seiner ganzen Haltung mir gegenüber, dass er mit den Gedanken woanders ist. Er ist mit den Gedanken nicht in diesem Raum, in dem seine Tochter, die normalerweise nie Probleme macht, mit ihrem Problem vor ihm sitzt. Er ist irgendwo anders.

Und wo er ist, wo er mit seinen Gedanken ist, das dämmert mir allmählich, als ich seine Freundin eine Zeitlang beobachte. Ich bin wirklich nicht die schlaueste, und ich brauche eine Weile, um diese Geschichte zu entziffern, die da parallel erzählt wird.

Aber eigentlich muss ich sie nur ansehen, um zu wissen, was mit ihr los ist. So doof bin selbst ich nicht. Sie strahlt schon den ganzen Abend. Anfangs hab ich dieses Strahlen noch als gelungenen Versuch interpretiert, mir ein gutes Gefühl zu geben. Weil ich Geburtstag hatte.

Aber jetzt wird mir klar, um was es wirklich geht.

Sie sieht ihn laufend von der Seite an. Sie lächelt ihn verliebt an, sehnsüchtig fast. Sie legt seine Hand dauernd auf seinen Oberschenkel und lässt sich von ihm anfassen. Sie kann gar nicht genug Zuneigung von meinem Vater bekommen. Küsse, Streicheleinheiten, verliebte Blicke. Und manchmal streicht sie auch mit ihrer Hand ganz vorsichtig über ihren Bauch oder er tut das.

Es ist absurd. Eigentlich ist es zum Lachen. Wenn man ehrlich ist, ist es zum Lachen. Aber als ich es verstehe, bleibt mir das Lachen zusammen mit der Pasta im Hals stecken und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als in diesem Sitz irgendwo auf dieser Wiese vor München zu sitzen. Mit leeren Augen vor mich hinzudampfend. Eine schöne Leiche, die von einem gutaussehenden muskulösen Rettungssanitäter wie man ihn aus Filmen kennt, in einer schicken Uniform im Arm weggetragen wird. Den Kopf im Nacken, die Wangen porzellanfarben blass wie die einer Puppe.

Ich sehne mich nach Grabreden, nach einer öffentlichen Trauerfeier in einer Kirche mit wichtigen Menschen und einem schicken Grabstein mit einer Inschrift.

Stattdessen sitze ich an diesem Tisch, höre diese unerträgliche Musik von Eros Ramazzotti und versuche zu verhindern, dass mir die Gesichtszüge entgleiten.


12 WochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt