(12 Wochen)

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Mein Vater verkündet mir jetzt endlich die frohe Botschaft.

„Sie ist in der 12. Woche", sagt er, und dass sie sich wahnsinnig freuen würden. Alle beide. Es sei ein Wunschkind, „Du kriegst eine kleine Schwester." Und dann fügt er gleich hinzu, dass ich mir keine Gedanken machen müsse. Ich sei und bleibe seine geliebte Tochter. Er würde mich lieben und er sei immer für mich da - wie eh und je.

Während mir seine Worte noch in den Ohren nachklingen wie ein Tinitus, empfinde ich es zum ersten Mal als Geschenk des Himmels, dass kurz darauf mein neues Handy klingelt. Es klingelt natürlich nicht. Es schimmert bläulich und spielt dann eine hübsche Melodie, die von oben nach unten auf den schwarzen Tasten des Klaviers durch die Tonleiter klimpert und die mir gleich auf den Nerv geht.

Es ist Ben. Ben ist meine Rettung. Das erste Mal, dass er mich rettet.

Ich entschuldige mich bei meinem Vater und seiner Angetrauten, wische das Gespräch auf dem Weg nach draußen weg, und gehe dann durch die gläserne Schwenktür in die Nacht und stiere für eine Weile in die Schwärze des Himmels und auf den Mond, der über den Giebeln der Häuser wie eine fremde Macht thront. Ein dunkler mattierter Körper, gerahmt von einer schmalen weißen Sichel.

Ich atme und versuche an nichts zu denken. Aber ich kann nicht an Nichts denken. Das Denken hört nicht auf. Es ist eine angeborene Sucht, schlimmer als jede Droge.

Als ich nach einer ganzen Weile des Atems und des Versuchs nichts zu denken den Kopf wieder senke, sehe ich in den Augenwinkeln einen bewegten Schatten oder eine Lichtquelle. Ich drehe den Kopf und sehe eine Frau. Sie hat die ganze Zeit neben mir gestanden und mir beim Denken zugesehen. Nur ein paar Schritte von mir entfernt.

Ihr Gesicht liegt im Dunkel. Nur manchmal, wenn sie die Zigarette zum Mund führt und die Glut aufleuchtet, sehe ich die Umrisse und den matten Glanz ihrer Haut, ihre Augen, ihre Nase, und ich sehe wie schön die Züge ihres Gesichts sind. Dann verblasst ihr Bild wieder in der Nacht wie eine Illusion.

Vielleicht sehe ich sie etwas zu lange an. Vielleicht will ich wissen, wer sie ist. Vielleicht interessiere ich mich für sie. Denn nach einer Weile wendet sie den Kopf und ihr Gesicht schimmert im gedämpften Licht, das durch die großen schwitzenden Fenster des Restaurants in die Nacht fällt.

Sie ist etwas älter als ich. 10 Jahre, 15 Jahre. Sie hat blonde Haare, blondiert wahrscheinlich, schmale, geschminkte Lippen, runde Bäckchen, blaue Augen und die Nase meiner besten Freundin. Sie sieht mich an und sie lächelt mir zu als würde sie mich kennen.

Dann bietet sie mir eine Zigarette an.

Ich rauche nicht. Das sollte ich sagen, "Danke, aber ich rauche nicht".

Aber aus welchem Grund auch immer, vielleicht auch nur, weil ich im Moment sowieso keinen Ton herauskriege, kann ich ihr Angebot nicht ausschlagen. Ich gehe also die paar Schritte auf sie zu, bleibe viel zu dicht vor ihr stehen, weil ich so nervös bin, und ziehe eine Zigarette aus der Packung und spüre dabei ihre Augen, die auf mir liegen wie die einer in sich ruhenden Katze.

Als ich den weißen Filter mit zittrigen Fingern zwischen die Lippen stecke, leuchtet auch schon die Flamme auf. Ich nähere mich dem konturlos heißen Schein wie um mich daran zu verbrennen. Als die Flamme wieder ausgeht, brennt die Glut zwischen uns und wir sind uns ganz nah und ich weiß, dass sie mir in die Augen sieht, in denen der Schein der Flamme des Feuers noch nachglimmt.

Dann drehe ich mich weg, als habe ich etwas Verbotenes getan.

Wir stehen jetzt im Schatten des Eingangs und rauchen. Wir reden nicht. Unter andern Umständen würden wir vielleicht ins Gespräch kommen. Unter anderen Umständen würden wir uns vielleicht an der Hand nehmen und in die Dunkelheit verschwinden. Ich würde mit ihr in der Dunkelheit verschwinden, wenn sie mich an der Hand nehmen würde.

Aber sie tut das nicht. Sie steht nur da und raucht und ich stehe neben ihr. Und irgendwann, nach einer Zeitspanne, die ich nicht bemessen kann, drückt sie die Kippe in den Aschenbecher, hebt noch einmal die Lider und sieht mich an, sieht mich an als müsse sie sich entschuldigen und geht dann zurück durch die gläserne Tür ins Restaurant an einen der Tische, an der eine andere Frau sitzt und auf sie wartet.

Ich beobachte sie eine Weile von draußen durchs Fenster wie sie dort sitzen. Ich kann nur Umrisse erkennen. Schemen, Bewegungen, verschwommene Gesichter. Ich sehe, dass sie reden. Vor allem die andere redet während die Frau manchmal durch die Scheibe in die Dunkelheit blickt, in der sie mich vermutet. Vielleicht berühren sie sich auch manchmal. Vielleicht streicht die Frau manchmal mit der Hand über ihre Hand. Und vielleicht ist ihr das in diesem Mometn unangenehm. Vielleicht auch nicht.

Nach einer Weile drücke ich meine Zigarette aus, öffne die Tür und gehe zurück an den Tisch meines Vaters und seiner zukünftigen Ehefrau, die meine zukünftige Halbschwester in sich trägt, und versuche mich mit ihnen zu freuen.


12 WochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt