Drachenjäger

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Langsam wachte sie auf und wünschte sich sofort, sie hätte doch lieber noch weiter geschlafen. Ihr Schädel dröhnte, als hätte jemand mit ihrem Schädel Trommel gespielt. Und zu allem Überfluss brannte auch noch ihr Becken wie Feuer. Wenn sie sich wenigstens erinnern könnte, was passiert war…
Sie zuckte zusammen, als sie bemerkte, dass – worauf auch immer sie lag – sich anhob und wieder senkte. Ihr Kopf schnellte nach oben und sie erschrak, als sie auf eine blanke Männerbrust blickte. Noch dazu erkannte sie jetzt erst, dass sie selbst splitternackt war. Sie stieß sich von der Brust ab und begab sich in eine aufrechte Sitzhaltung. Erst dann bemerkte sie, dass Ash derjenige unter ihr war.
Als er langsam aufwachte und blinzelte, sah sie sich hastig um nach irgendetwas, mit dem sie sich bedecken konnte. Die Felldecke hing nur zur Hälfte auf dem Bett, als hätte man sie vorher zu Seite geworfen, weil sie bei irgendetwas im Weg war.
Schnell zog sie die Decke herbei und bedeckte so viel wie möglich von sich mit dem kleinen Stück, das sie in dieser kurzen Zeit nur heranziehen konnte. Als seine Augen vollständig geöffnet waren, sah er sie nur mit hochgezogener Augenbraue an. „Darf ich fragen, was du da tust?“ fragte er.
„Wonach sieht es denn aus?“ entgegnete sie. „Ich schütze mich vor deinen Blicken.“
„Ich sehe nicht, inwiefern das vonnöten oder wenigstens sinnvoll ist.“ stellte er seine Meinung in den Raum. „Das ist immerhin nichts, was ich letzte Nacht nicht schon gesehen hätte.“
Ihre Augen wurden groß und sie ließ unbewusst die Decke sinken. „Du meinst, wir haben wirklich-“
Er nickte. „Und wie. Ich glaube, wenn jede Frau so stöhnen würde wie du, dann frage ich mich wirklich, wie ich es früher in diesem Dorf geschafft habe, ein Auge zuzumachen.“
Sie wurde rot. „War ich wirklich so laut?“
Wieder zog er seine Augenbraue hoch. „Also, entweder hat dich der Met so schwer erwischt, dass du dich an absolut nichts mehr erinnern kannst, oder du solltest dir mal die Ohren waschen.“ schlug er vor, führte seine Hand zu ihrem Gesicht und tippte ihr sanft auf die Nasenspitze.
Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht, und es wurde nur noch breiter, als ein paar wenige Erinnerungen der vergangenen Nacht zu ihr zurückkehrten. „Ich glaube, ich erinnere mich noch an dies und jenes.“
Er grinste und drehte sich auf die Seite, sodass sie damit auch zur Seite und mit einem erschrockenen Quietschen von ihm herunter fiel. Dann zog er sie heran und küsste sie innig. „Und? Was machen wir jetzt?“ fragte er verschmitzt.
Sie schmunzelte. „Jetzt hüpfst du aus dem Bett, du faule Nuss!“ sagte sie und küsste seine Nasenspitze. „Als Häuptling hast du bestimmt nicht wenig zu erledigen. Gestern hast du dir noch fest vorgenommen, meinen Vater von der ganzen Arbeit zu entlasten.“
„Das war, bevor ich wusste, dass zu im Bett noch besser bist als im Kampf.“ maulte er mit einem solch festen Griff um sie, als wollte er sie gar nicht loslassen.
Amüsiert rollte sie mit den Augen. „Komm schon, wir können das nicht jeden Tag machen. Außerdem muss ich auf jeden Fall in die Schmiede. Nach allem was ich gehört habe bekommt Grobian keine ruhige Minute mehr. Wäre besser wenn ich ihm etwas unter die Arme greife.“
Er seufzte und ließ sie widerwillig los. „Na schön.“ Sie lächelte und war schon dabei, aufzustehen, doch gerade als sie saß, zog er sie am Arm wieder zu sich herunter. Sie wollte sich schon beschweren, doch er versiegelte ihren Mund schnell mit einem Kuss. Jedoch ließ er ihn nicht allzu lange anhalten. „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich mehr.“ erwiderte sie lächelnd.
„Gar nicht möglich.“ sagte er nur und sie kicherte, als sie erneut aufstand, einen Schrank öffnete und sich dann die Hand vor die Stirn schlug.
„Was ist denn?“ fragte er und stand nun selbst langsam auf.
„Ich habe nur meine Waffen hier abgelegt. Meine Rüstung liegt noch bei Heidrun.“ stöhnte sie.
„Du hast ja noch ihr Kleid. Zieh das einfach an. Sie hat bestimmt nichts dagegen, wenn du es dir für eine Weile ausleihst. Ich werde heute einfach irgendwann bei ihr vorbeigehen und dein Zeug holen, mach dir da mal keine Sorgen.“ beruhigte er sie.
„Du bist ein Schatz.“ sagte sie und begann sich dann anzuziehen, bemerkte dann jedoch seinen etwas betrübten Blick. „Was?“
Auf einmal begann er breit zu grinsen. „Vorher hast du mir besser gefallen.“
Sie lachte. „Gewöhn dich lieber nicht dran. Sonst wird der Anblick ja noch langweilig.“ meinte sie und zwinkerte ihm zu.
„Das, denke ich, ist ein Ding der Unmöglichkeit.“ entgegnete er grinsend.
Sie lächelte. „Nein, im Ernst. Lass das lieber etwas Besonderes bleiben.“
„Na schön.“ grummelte er gespielt missmutig.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihm auf die Nase. „Dann viel Spaß, Häuptling.“ sagte sie und winkte, bevor sie die Treppenstufen nach unten lief und dann das Haus verließ.
Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht, bevor er sich anzog und dann ebenfalls aus dem Haus verschwand.

Hicca ging gerade zur Schmiede, aber es standen schon einige Leute davor. Genauer gesagt handelte es sich bei ihnen um Fischbein, Rotzbacke und die Zwillinge. Heidrun war nicht dabei.
„Hey, Leute. Was macht ihr denn schon hier? Und wo habt ihr Heidrun gelassen?“ rief sie direkt, noch bevor sie vor ihnen stand.
Fischbein drehte sich um und lächelte ihr entgegen, genau wie alle anderen. „Heidrun schläft noch. Eigentlich ist das ziemlich seltsam. Normalerweise ist sie der Frühaufsteher, der mich immer weckt. Ich weiß nicht, was sie in letzter Zeit hat.“ sagte er nachdenklich.
„Sie könnte schwanger sein.“ meinte Taffnuss gleichgültig. Alle starrten ihn wortlos an. „Was denn? Es passt doch alles zusammen. Häufiges Erbrechen, ungewöhnliche Müdigkeit, plötzliche Erschöpfung, eventuelle Schwindelanfälle-“
„Moment mal!“ unterbrach ihn seine Schwester. „Seit wann weißt du denn sowas? Seit wann weißt du überhaupt IRGENDWAS? Und außerdem treten diese Symptome bei ihr viel zu früh auf. Es kann gar nicht an der Schwangerschaft liegen, ihre Hochzeitsnacht war erst vor zwei Tagen.“
„Stimmt. Vergesst einfach, was ich gesagt habe!“ meinte er nun und es entstand ein unangenehmes Schweigen.
Hicca fiel auf, dass Fischbein ziemlich nervös mit dem Stiefel im Dreck herumkratzte. Das machte sie skeptisch. Sie entschloss sich, ihn später darüber auszufragen.
„Also…“ begann Hicca wieder, mit einem Seitenblick auf Fischbein. „Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, warum ihr hier herumsteht.“
„Wir wollten Grobian fragen, ob er ein paar Waffen für uns herstellen kann.“ beantwortete Rotzbacke ihre Frage. „Für die Zwillinge jeweils einen Speer, für mich einen Schild und eine Keule. Was Fischbein will? Keine Ahnung…“
„Ich wollte mich mit Hicca über Blitzling unterhalten. Nach ihrer Theorie fragen, warum er so schnell wächst.“
„Nicht das Thema schon wieder…“ stöhnte Rotzbacke und schlug sich eine Hand vor die Stirn.
„Nun, ich wüsste da vielleicht etwas.“ sagte Hicca. „Im Drachennest hatte meine Mutter ganze Berge von Büchern angehäuft. In einem stand auch, dass das Nachtschattenweibchen das Nest verlässt, sobald es seine Eier gelegt hat. Ich nehme an, der Grund dafür ist, dass sie sehr selten sind und daher bei Menschen ein beliebtes Ziel, weshalb sie nie zu lange an einem Ort bleiben dürfen, denn ansonsten werden sie noch aufgespürt, getötet und das würde zum Aussterben ihrer Art führen. Um also nicht geschnappt zu werden, fliegen sie schnell von einem Ort zum nächsten, müssen dabei aber auch ihre Eier zurücklassen. Wenn die Kleinen dann schlüpfen, müssen sie von selbst klarkommen. Also müssen sie sich anpassen und schneller aufwachsen als andere Drachen. Vielleicht hat ‚Blitzling‘, wie ihr ihn nennt, diese Eigenschaft von Ohnezahn geerbt.“
Alle starrten sie nur fassungslos an. „Das… ergibt irgendwie Sinn.“ meinte Fischbein erstaunt.
Eine Weile sagte niemand mehr etwas. Dann seufzte Hicca. „Ich mach mich dann mal an die Arbeit und werde eure Waffen schmieden. Dürften in den nächsten Tagen fertig sein.“
Zufrieden wollten alle schon gehen, da griff Hicca Fischbein am Arm. „Du nicht.“ sagte sie. „Mit dir möchte ich noch ganz kurz etwas bereden.“ Verwirrt sahen die anderen nach hinten, bevor sie sich wieder umdrehten und schulterzuckend weitergingen.
„Also, Fischbein.“ begann Hicca skeptisch. „Warum bist du so nervös geworden, als es um deine Hochzeitsnacht ging?“ Sie hatte bereits eine Ahnung, aber sie sprach es nicht im Vornherein aus. Sie wollte es von ihm selbst hören.
Der dicke Wikinger musste schmunzeln. „Ich mach dir einen Vorschlag: Wir reden nicht darüber, es sei denn, du willst darüber reden, was du letzte Nacht gemacht hast.“
Ihr Gesicht schlug augenblicklich in ein tiefes Rot um. „Du weißt, was…“
„War schwer zu überhören, wenn man nüchtern war, weil die eigene Frau todmüde war und man deshalb vorzeitig die Halle verlassen musste.“ meinte er nur schulterzuckend.
Sie stieß ihm den Zeigefinger gegen die Brust. „Zu niemandem ein Wort, klar?“ zischte sie. Nach einer Weile wandte sie sich von ihm ab und ging in die Schmiede.
„Einverstanden.“ murmelte er ihr hinterher und lief dann grinsend davon.

Am Abend dieses Tages brachte Ash ihr tatsächlich ihre Rüstung wieder, in die sie – sehr zu seiner Verwunderung – allerdings nicht augenblicklich reinschlüpfte, sondern einfach in dem Kleid blieb, nachdem Ash ihr erzählt hatte, dass sie es behalten könnte. Dazu sagte sie einfach nur, dass dieses Kleid nicht gerade ungemütlich war und sie ohnehin selbst in kälteren Monaten nichts Dickeres bräuchte, da sie immerhin in der durchgängig heißen Schmiede arbeitete.
Über die folgenden drei Wochen stellte sie die angeforderten Waffen der Zwillinge und Rotzbacke her. Die drei waren überglücklich und Hicca freute sich, dass sich anders als früher mal jemand über ihre Handwerkskunst freuen würde.
In der zweiten der drei Wochen begann sie jedoch, viel zu erbrechen, vor allem morgens. Außerdem schlief sie länger als gewöhnlich. Verständlich, dass sich Ash darüber jede Menge Sorgen machte, aber Hicca winkte immer nur ab und meinte, es wäre nichts.

Auch an diesem Tag hatte sie leider etwas verschlafen. Gerade ging sie wieder zur Schmiede, wo Grobian zwar arbeitete, aber schon ziemlich ungeduldig auf sie wartete.
Er arbeitete gerade an einem Sattel, wie sie sehen konnte. Dann blickte er auf. „Hicca!“ rief er leicht verärgert. „Es ist fast Mittag, bei Odin!“
„Ich weiß, tut mir leid.“ sagte sie schlapp, rieb sich die Augen und gähnte.
Er zog eine Augenbraue hoch. „Vielleicht solltest du deinen Spaß mit Ash nicht bis so tief in die Nacht hinein haben.“ sagte er grinsend.
Hicca rollte mit den Augen. „Unsinn! Wir haben nicht mehr miteinander geschlafen, seit-“ Plötzlich schlug sie sich erschrocken eine Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, was sie da gerade sagte. „Scheiße!“ murmelte sie, verärgert über sich selbst. Ihr war klar geworden, dass Grobian wieder nur einen Spaß gemacht hatte, um sie etwas zu necken. Er wusste gar nicht, was Ash und sie gemacht hatten.
Und sie war versehentlich voll drauf reingefallen.
Grobian standen Mund wie Augen weit offen, bis er unverhofft laut zu lachen anfing. „Großer Thor, da mache ich einen Witz und du-“ Er brachte den Satz nicht zu Ende, denn er lachte nur noch lauter und klopfte sich wie wild auf die Schenkel. „Das ist einfach zu köstlich!“
„Halt die Klappe…“ grummelte sie, die Wangen tiefrot gefärbt.
Er fing sich wieder und gluckste noch ein paar Mal vergnügt. „Und jetzt, nach dieser wunderbaren Gemütserfrischung, geht es wieder an die Arbeit.“ Dann fügte er noch grummelnd hinzu: „Ich soll einen Sattel machen und weil du nicht da warst habe ich mir fünf Mal in die Finger mit der verdammten Nadel gestochen.“
„Komm schon, das hast du auch schon ohne mich einen Haufen Sättel hergestellt.“
„Und ich habe mich dabei öfter gestochen als ich zählen kann.“
Sie tat erschrocken. „Ach du meine Güte! Über zehn Nadelstiche musstest du aushalten? Du Ärmster!“
Er verdrehte nur die Augen. „Schluss mit den schlechten Witzen und an die Arbeit! Wir haben auch noch mehr zu tun, als nur einen Sattel zu-“
„Dürfte ich kurz stören?“ meldete sich auf einmal eine dritte Stimme dazu. Als sie sich umdrehten, stand Heidrun vor ihnen.
„Heidrun!“ rief Hicca erfreut. Ihre Stimme schlug aber gleich in eine sorgenvolle um. „Alles in Ordnung mit dir?“
„Das versuche ich herauszufinden.“ sagte Heidrun lächelnd. „Ich wollte gerade zu Gothi gehen, aber der Besuch wird mir nichts bringen, wenn niemand mitkommt, der ihre Kritzeleien lesen kann.“
„Ich komme schon!“ sagte Grobian und deutete dann auf Hicca. „Du bleibst hier und machst dich an die Arbeit.“
Sie verschränkte trotzig die Arme. „Pff, vergiss es! Ich komme mit.“
„Du hast heute noch nicht einmal einen Handschlag getan. Du bleibst hier und machst den Sattel, während ich mit Heidrun zu Gothi gehe.“
Hicca verdrehte die Augen. „Als ob der Sattel Eile hätte. Grobian, ob wir den Sattel eine Stunde früher oder später machen, ist irrelevant. Wir haben keinen Krieg mehr, in dem wir rund um die Uhr Waffen schmieden und schleifen müssen. Der Sattel kann noch ein paar Minuten warten.“
Der Schmied seufzte. „Na schön, dann komm halt mit.“
Hicca musste grinsen. „Na, geht doch.“ meinte sie nur enthusiastisch und ging schnellen Schrittes voraus.

Wenige Minuten später waren sie auch schon alle drei vor Gothis Hütte. Als Grobian klopfte, machte ihnen jedoch nicht Gothi auf, sondern eine andere Frau.
„Fulvia!“ brachte Hicca überrascht davor. „Hier bist du also die ganze Zeit.“
Die Römerin lächelte. „Tja, wo sollte ich auch sonst hin? Ich kann nicht weben, nicht schmieden, kein Holz fällen, aber aus meiner Zeit als Heilerin in der Armee weiß ich noch was. Und eine Fischerin war ich auch nie.“ gab sie zu. „Aber bei Gothi kann ich auch wieder etwas von meinem Gedächtnis auffrischen. Und so kann ich ihr auch aushelfen. Nur mit ihrer Zeichensprache werde ich noch Schwierigkeiten haben.“
Hicca lachte. „Das wundert mich nicht! Grobian ist der einzige, der sie wenigstens halbwegs verstehen kann. Und selbst er macht einen Haufen Fehlinterpretationen.“
„Können wir das bitte lassen?“ grummelte Grobian. „Ich bin definitiv nicht mitgekommen, damit ihr euch über mich lustig machen könnt.“
„Schon gut.“ sagte Fulvia und verdrehte die Augen. „Kommt rein.“
Kaum ließ sie die Besucher hinein, da flogen schon mehrere Schreckliche Schrecken kreischend und zirpend über ihre Köpfe. In der Hütte saß Gothi auf einem Stuhl, umringt von Schrecken und Schränken mit allerlei Arzneien und Zutaten. Die alte Heilerin winkte die Besucher freundlich heran.
Grobian und Heidrun gingen zu ihr, bis sie direkt vor ihr standen. Heidrun begab sich auf Augenhöhe der Alten und begann ihr Anliegen vorzutragen, während Hicca und Fulvia sich eher im Hintergrund aufhielten.
„Und?“ fragte Hicca die Römerin. „Schon mal über einen Drachen nachgedacht?“
„Eigentlich nicht.“ gab Fulvia zu und sah zu den Schrecken, die es sich an jedem freien Platz der Hütte gemütlich machen. „Wir haben ja die hier.“
„Auf denen kann man aber nicht fliegen.“ gab Hicca zu bedenken.
„Das ist wahr, aber ich brauche das auch nicht wirklich. Gothi hat die Schrecken und das reicht. Ich kenne mich in ihrer Hütte noch nicht aus. Gothi tut es. Sie hingegen weiß zwar, wo alles liegt, kommt aber in einigen Fällen nicht heran. Und wenn sie mir zeigen will, was sie gerade gereicht haben will, ist es für mich ein ganzer Haufen Raterei, wohin sie nun zeigt und was sie genau will. Die Schrecken verstehen sie. Braucht sie etwas, wird es ihr von den kleinen Drachen gebracht. Genau dasselbe ist es bei mir. Wenn ich etwas haben will und nicht weiß wo es liegt, bringen sie es mir.“
„Klingt für mich, als wäre ein Schrecken so ziemlich perfekt für dich.“ meinte Hicca.
„Versteh mich jetzt bitte nicht falsch! Ich liebe diese kleinen Kerlchen und sie sind eine unglaublich große Hilfe, aber das heißt nicht, dass ich sie den ganzen Tag um mich haben will. Schrecken machen Krach, das weiß sogar ich schon und ich habe mich nebenbei noch um einen Haushalt zu kümmern.“ erklärte Fulvia.
Sie schwiegen eine Weile. Gothi machte sich währenddessen an die Arbeit. Sie untersuchte Heidruns Fingernägel, ihre Zunge und warf ein paar Knochen, die sie nun zu lesen begann.
„Weißt du, was Amelie die ganze Zeit macht?“ fragte Hicca wieder auf einmal.
Fulvia seufzte. „Sie trainiert den ganzen Tag mit Valka das Kämpfen und Reiten auf Drachen.“
Hicca nickte nachdenklich. Sie verstand die Römerin bis zu einem gewissen Grad. In Rom gab es keine Kriegerinnen wie auf Berk und daher war das alles noch etwas ungewohnt für Fulvia, ihre Tochter wie einen Mann kämpfen zu sehen.
„Es ist besser so.“ versuchte Hicca sie zu beruhigen. „Sollten andere Wikingerstämme einfallen, aus welchen Gründen auch immer, dann brauchen wir jede Hand, die eine Waffe halten kann. Jeder muss sich selbst verteidigen können. Auch die Frauen.“ Sie fügte noch hinzu: „Vor allem die Frauen.“
Damit endete ihr Gespräch erneut und sie widmeten ihre Aufmerksamkeit nun Grobian, der versuchte, Gothis Zeichensprache zu entziffern.
Verwirrt zog er eine Augenbraue hoch. Dann wandte er sich an Heidrun. „Gothi glaubt, du hast einen Parasiten im Bauch.“
„Einen Parasiten?!“ fragte Heidrun erschrocken, wurde jedoch von einem Stockschlag unterbrochen, der auf Grobians Kopf niederging.
„AU! Was ist denn? Nicht meine Schuld, dass du eine lausige Zeichnerin bist!“ beschwerte sich der Schmied.
Gothi rollte mit den Augen und deutete auf eines ihrer Zeichen, die sie in den Sand gekritzelt hatte. Fulvia trat nun ebenfalls skeptisch heran.
„Ein Wurm?“ fragte Grobian wieder. Nächster Schlag. „HEY! Verrückte alte Hexe…“
Die kleine Frau holte schon wieder verärgert aus, als Fulvia auf einmal schnaubte. „Vielmehr ein Würmchen.“ sagte sie und Gothi hielt inne.
Nun verstand auch Hicca, was vorging und sie musste breit grinsen. Sie entschloss sich, auch ein wenig ihren Spaß zu haben und setzte eine ernste Miene auf. „Ach so. Ja, ein ganz besonderer Parasit ist das.“
„Was ist an ihm so besonders?“ fragte Heidrun ängstlich, während Fulvia und Hicca gerade so einen Lachkrampf unterdrücken konnten, Gothi ein amüsiertes Grinsen zeigte und Grobian die Welt nicht mehr verstand.
„Nun,“ begann Fulvia. „er ernährt sich einige Monate von allem, was du zu dir nimmst. Dann gibst du ihm einen Namen, kaufst ihm Kleidung und lässt ihn die nächsten Jahre bei dir wohnen. Ach, und zusätzlich bekommst du noch einen speziellen Titel:“ sagte sie und machte eine dramatische Pause. „Mutter.“
Einige Sekunden war es totenstill. Heidrun hing der Mund weit offen. Dieser Anblick war zu viel für ihre beiden Folterer.
Sie lachten auf einmal laut los, während Heidrun versuchte, ihre Kinnlade wieder unter Kontrolle zu kriegen. Grobian blinzelte ein paar mal, als ob er dachte, er hätte sich verhört.
„ICH HASSE EUCH!“ schrie Heidrun auf einmal aufgebracht, doch fühlte sie sich mehr hilflos und verspottet als wütend. „Warum tut ihr so etwas? Ich dachte, es wäre was Schlimmes mit mir…“ Sie hielt inne und ihre Augen wurden größer, je mehr sie über die Tragweite dieser Eröffnung nachdachte. „Bei den Göttern!“ murmelte sie und fuhr sich gestresst mit den Fingern durch die Haare. „Ich werde Mutter! Fischbein wird Vater! Ich muss es ihm sagen. Ihm und seinen Eltern. Es gibt so viel zu tun. Wir müssen über Namen reden, ein Zimmer vorbereiten, entsprechende Sachen kaufen-“
„Wow, Heidrun. Ganz ruhig! Atmen.“ beschwichtigte sie Hicca, etwas schockiert über den plötzlichen Redeschwall ihrer Freundin.
Heidrun nahm sich den Ratschlag zu Herzen und atmete ein paar mal tief durch. Gothi kritzelte währenddessen wieder etwas Neues in den Sand.
Grobian sah es sich an. „Wie? Einen und einen halben Montag? Was soll- AUA!“
Fulvia grinste und sah sich das Geschriebene selbst an. „Sie meint, Heidrun ist seit einem und einem halben Monat schwanger, nicht Montag.“ verbesserte sie.
Nun sah Grobian wirklich skeptisch aus. „Bitte wie lange?“ fragte er und drehte sich zu Heidrun um. „Habt ihr beiden nicht erst vor drei Wochen geheiratet?“
Heidrun blickte mit tiefroten Wangen zu Boden, während sich auf Hiccas Gesicht ein Grinsen ausbreitete. „Das war es also, was Fischbein verheimlicht hat.“ stellte sie amüsiert fest.
Grobian kratzte sich nachdenklich am Schnurrbart. „Naja, schätze mal, das lässt sich nicht mehr ändern.“
Plötzlich ertönte ein lautes Hornsignal.
Hiccas Kopf schnellte nach oben. „Was war das?“ fragte sie alarmbereit.
Der Schmied beruhigte sie. „Alles in Ordnung. Ein Hornstoß bedeutet, dass ein Handelsschiff gesichtet wurde. Zwei wären-“
Ein zweites Hornsignal.
Grobian zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „unbekannte Schiffe? Das ist seltsam. Na, solange es nicht drei sind…“
„Was würden denn drei bedeuten?“ fragte Hicca nach.
„Drei würden einen Angriff bedeuten. Aber es sieht nicht so aus, als würde nochmal jemand ins Horn blasen.“
„Das würde ich mir mal ansehen.“ murmelte sie vor sich hin und ging aus der Hütte.

Ash war bereits da, um die Neuankömmlinge zu empfangen. Dennoch setzte er eine grimmige Miene auf und verschränkte die Arme, obwohl es meistens auf Berk einen freundlichen Empfang gab. Aber diese Männer waren bewaffnet und genauso waren es ihre Schiffe.
Zwei Männer gingen vom Schiff. Ein breiter Glatzkopf mit Schnurr-, länglichem Kinnbart und zwei Schwertern auf dem Rücken überkreuzt, der außerdem wie ein Kneipenschläger aussah und ein Mann mit schwarzen, kurzen Haaren, einem Bart, der seinen Mund umrahmte und nur einem Schwert auf dem Rücken. Trotz einer auffälligen Narbe am Hals, die offenbar von einer Drachenklaue stammte, sah der zweite eleganter und etwas vornehmer aus als der erste.
„Nennt eure Namen und euer Anliegen!“ forderte Ash augenblicklich.
„Aus dem Weg, Bursche!“ blaffte der Glatzkopf. „Hol lieber den Häuptling!“
„Aber, aber. Reiker, wir wollen doch keinen schlechten Eindruck hinterlassen.“ sagte der zweite ruhig.
Der Blick des jungen Häuptlings wurde wütend. „Ihr beide steht bereits vor dem Häuptling.“ knurrte er.
Während der erste, der allem Anschein nach den Namen Reiker trug, nur spöttisch eine Augenbraue hochzog, deutete der zweite stattdessen eine respektvolle Verbeugung an. „Dann nehmt meine ausdrückliche Entschuldigung und die meines Bruders an. Wir wollen doch nicht unhöflich sein. Er ist nur manchmal etwas… direkt.“
„Ihr seid Brüder?“ fragte Ash nun etwas ruhiger.
„Wie unaufmerksam von mir…“ sagte der zweite. „Mein Name ist Viggo Grimborn und das hier neben mir ist mein Bruder Reiker Grimborn.“ Er streckte lächelnd seine Hand aus.
Ash ergriff und schüttelte sie. „Ist mir eine Freude. Ich bin Ash Hofferson der Furchtlose, Häuptling von Berk. Dürfte ich nun erfahren, warum ihr hier seid?“
Viggo begann zu erklären. „Nun, um ehrlich zu sein: Wir sind, beziehungsweise waren, Drachenjäger. Mein Bruder und ich jagten und verkauften Drachen schon seit wir alt genug dafür waren.“ Die Miene des jungen Häuptlings verfinsterte sich. „Aber erst vor Kurzem erfuhren wir von einer Insel namens Berk, die im perfekten Einklang mit Drachen lebt. Und warum sollte man Drachen jagen, wenn sich Geschäfte mit ihrer Hilfe anstatt auf ihre Kosten noch profitabler gestalten könnten? Wir sind hierher gesegelt um zu sehen, ob dieser Frieden tatsächlich möglich ist.“
Ashs Miene erhellte sich. „Und wie er das ist. Kommt, ich führe euch herum.“
Bevor er sich jedoch aufmachen konnte, platzte eine Frau im grünen Kleid aus der Menge hervor, die sich mittlerweile gebildet hatte, und ging direkt auf ihn zu.
Ash lächelte, nahm sie in die Arme und küsste sie innig. „Hast du mich vermisst?“ flüsterte er, nachdem sich seine Lippen von ihren lösten.
„Auch.“ sagte sie nur grinsend und sah dann über seine Schulter. „Wer sind denn unsere Neuankömmlinge?“
„Hicca, das sind Viggo und Reiker Grimborn, ehemalige Drachenjäger, doch nun hier um den Frieden zwischen Wikingern und Drachen zu sehen.“ stellte er ihr die beiden vor. Dasselbe machte er umgekehrt. „Gebrüder Grimborn, das ist meine wunderschöne Frau Hicca Hofferson.“
Viggo trat mit einem freundlichen Lächeln heran, während sein Bruder mit misstrauischer Miene und verschränkten Armen im Hintergrund blieb. Er nahm Hiccas Hand in seine und beugte sich zu ihr hinunter, um ihr einen sanften Kuss darauf zu drücken. „Mir scheint, euer Mann untertreibt, Milady. Eine Schönheit wie euch sieht man selten.“
Hicca lächelte zurück. „Ich danke euch, Grimborn.“ Dann wandte sie sich wieder Ash zu. „Ich muss etwas mit Fischbein besprechen.“
Er nickte nur und begann dann, seine Gäste herumzuführen. Hicca blickte den beiden Grimborns nur misstrauisch hinterher. Irgendetwas an ihnen war seltsam, aber was?
Sie ging zu Fischbein, der das Geschehen ebenfalls gespannt mitverfolgt hatte. „Was hälst du von den beiden?“ fragte sie ihn.
Er zuckte nur mit den Schultern. „Viggo scheint mir ganz in Ordnung zu sein, im Gegensatz zu seinem Bruder.“
Ihr Kopf schnellte herum. „Wie kommst du darauf, dass Viggo der bessere von beiden ist?“
„Er erscheint mir ganz einfach etwas vornehmer, kultivierter.“
„Das sind meist die Schlimmsten.“ murmelte sie.
„Weißt du was, Hicca?“ sagte er und drehte sich auf einmal ganz zu ihr um. „Ich glaube, du bist einfach nur paranoid. Berk hat Gäste. Besser noch: ehemalige Drachenjäger, die nun vorhaben, sich zu bessern. Ich verstehe ja, dass du als Nachtigall viel mit Drachenjägern zu tun hattest, aber willst du ihnen nicht einmal die Chance geben, sich zu bessern? So wie du uns eine Chance gegeben hast?“
Damit wandte er sich von Hicca ab und stapfte davon. Dabei ließ er sie fassungslos und mit offenem Mund zurück.

Nachdenklich ging Hicca zurück in ihres und Ashs Haus. Etwas an diesen beiden Drachenjägern kam ihr fischig vor und sie würde herausfinden, was. Sie öffnete den Schrank mit ihren Waffen, zog daraus ihre Handschuhe und Armschienen und legte sie an. Wenn diese Männer tatsächlich gefährlich waren, dann würde sie ihnen nicht unvorbereitet entgegen treten.
Sie versteckte die Armschienen unter den Ärmeln ihres Kleids und wenn jemand nach ihren Handschuhen fragen würde, könnte sie einfach behaupten, dass sie sie in der Schmiede bräuchte, damit sie sich nicht versehentlich die Hände verbrannte.
Schnell und möglichst unbemerkt schlich sie wieder nach draußen und durch Berks Straßen, bis sie unten beim Hafen ankam.
Vor dem Schiff jedoch standen zwei Männer der Drachenjäger, die dafür sorgten, dass sich auch ja niemand auf das Schiff schlich. Sie sahen Hicca nur skeptisch an, doch sie winkte gelassen und ging den Hafen weiter entlang.
„Wozu brauchen sie Wachen, wenn sie nichts zu verbergen haben?“ murmelte Hicca leise vor sich hin. „Vielleicht sollte ich mich etwas auf dem Schiff umsehen.“
Sie ging direkt zur nächsten Anlegestelle, von der aus das Schiff der Drachenjäger zehn Meter entfernt war und die Wachen auf der anderen Seite. Sie nahm ein paar Schritte Anlauf, sprang, und was sie damit nicht schaffte, legte sie stattdessen mit ihren Greifhaken zurück. An der Bordwand angekommen zog sie schnell die Greifhaken wieder ein und versenkte stattdessen die Faustklauen im Holz.
„Was war das?“ hörte sie eine der Wachen fragen. Sie hielt den Atem an.
Der andere winkte nur ab. „Vielleicht nur so ein dämlicher Schrecken. Kannst ja die Berkianer fragen, ob sie dir eins dieser verblödeten Viecher zum Haustier machen.“ Beide lachten hämisch, während Hicca erleichtert ausatmete.
Gleichzeitig jedoch kniff sie verärgert die Augen zusammen. Sie hatten gerade Drachen beleidigt. Wenn sie also Frieden mit ihnen suchten, warum hatten sie dann eine derart geringe Meinung von ihnen?
Leise zog sie ihre Klauen aus dem Holz und kletterte damit an der Bordwand hoch, indem sie die Spitzen zwischen die Bretter steckte, ohne Spuren zu hinterlassen. An einem Fenster angekommen kletterte sie hinein und landete in einer Art Zelle, die ein großes, grünliches Gitter als Tür hatte.
„Eine Drachenzelle.“ murmelte sie und begann, sich auf ihr geistiges Auge zu konzentrieren, um das Gitter zu untersuchen. Alles war normal, bis auf eine Stelle, die aussah, als hätte man eine entstandene Delle versucht zurückzubiegen. Die Stelle sah aus, als wäre sie erst vor Kurzem bearbeitet worden.
„Und erstaunlich gut in Schuss gehalten.“ knurrte sie leise, bevor sie noch etwas bemerkte. Sie öffnete ihre Augen und sah, dass es eine leichte, kaum bemerkbare Farbänderung an dem Metall gab. Sie roch kurz daran, bevor sie angewidert zurückzuckte. „Drachenblut. Und nicht sehr alt.“
„Fassen wir zusammen: Ein Drache war vor vielleicht zwei Tagen noch in dieser Zelle. Jemand ist hier rein gekommen, um den Drachen zu töten, doch er hat sich gewehrt und eine Delle in die Zellentür gerammt. Gebracht hat es nichts, er wurde trotzdem getötet und dabei ist das Blut herumgespritzt. Jemand hat außerdem die Delle in der Tür berichtigt und das Blut wieder entfernt, nur nicht von der Tür. Die Drachenjäger waren gründlich, sie wollten also nicht, dass man etwas sieht. Sie wollen es geheim halten.“
Ihre Augen wurden groß, als sie begriff. „Ich wusste es! Sie sind nicht hier, um Frieden zu schließen, sondern um weitere Drachen zu fangen. Das muss ich Ash-“
„Hast du sie gesehen?“
„Ich glaube schon.“
Viggo und Reiker waren wieder da. Hicca kletterte schnell aus dem Fenster und krallte sich an der äußeren Bordwand fest.
„Woran hast du sie erkannt?“ fragte Reiker.
„Zuerst an den Haaren, danach an den Augen. Wobei die Augen das Hauptmerkmal sind. Seine Beschreibungen waren ziemlich treffend.“ antwortete Viggo.
„Und was machen wir jetzt?“
„Wir warten, Bruder. Sollte er ihrer Intelligenz bezüglich die Wahrheit gesagt haben, wird sie den Rest von Berk früher oder später gegen sich aufwiegeln.“
„Wir warten? Das ist idiotisch! Wir sollten sofort zuschlagen.“
„Im Gegenteil: Es ist absolut narrensicher. Und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, bringen wir sie zu ihm.“
Hicca hatte genug gehört. Die beiden Grimborns heckten etwas aus, wahrscheinlich eine Entführung. Zumindest sollten sie SIE zu IHM bringen. Wer diese beiden Personen waren, galt es für Hicca noch herauszufinden.
Lautlos sprang sie von der Bordwand ab, aktivierte ihre Greifhaken und zog sich damit zum Steg. Dort angekommen ging sie wieder in aller Ruhe um das Schiff herum, wo sie den beiden Schiffswachen wieder zuwinkte, als ob nichts wäre und dann wieder zurück ins Dorf ging.

Sie lief direkt auf ihres und Ashs Haus zu, wo sie auf ihren Mann warten und ihm dann von den Drachenjägern erzählen würde. Sie öffnete die Tür, doch zu ihrer Überraschung war er bereits da.
„Hallo, Hicca.“ begrüßte er sie mit einem Lächeln.
„Ash! Was machst du denn schon hier?“ fragte sie überrascht.
Er lachte kurz auf. „Für heute ist schon alles getan. Wieso? Soll ich wieder gehen?“
Sie blinzelte ein paar mal überrascht. „Nein! Nein, so ein Unsinn! Eigentlich wollte ich mit dir reden.“
„Also gut.“ sagte er. „Sag schon, was ist los?“
„Ich glaube, Viggo und Reiker hecken irgendwas aus.“
Er seufzte. „Hicca, ich habe für so etwas keine Zeit.“
Verärgert verschränkte sie die Arme. „So weit ich weiß, hast du jede Menge Zeit, also hör mir zu!“
„Du weißt, dass deine Anschuldigung lächerlich ist?“ unterbrach er sie erneut.
„Nicht, wenn du mir-“
„Viggo ist durch und durch freundlich und einsichtig. Warum also beschuldigst-“
„WIRST DU MIR WOHL ZUHÖREN!“ schrie sie ihn genervt an, was ihn für einen Moment wirklich die Stimme verschwinden ließ.
Sie seufzte. „Ich bin auf ihr Schiff geschlichen und habe sie be-“
„Du hast WAS?!“ rief er nun.
Ihre Augen verengten sich zu bedrohlichen Schlitzen. „Hast du ein Problem damit?“
„Und ob! Weißt du was passiert wäre, wenn man dich erwischt hätte?! Berks Gastfreundschaft wäre in Verrufenheit geraten!“
„Das ist alles worum du dich sorgst?! Den Ruf des Dorfes?! Dich interessiert nicht, was diese Bastarde von Drachenjägern mit mir angestellt hätten?!“
„Hörst du wohl auf, unsere Gäste zu beleidigen!“
„Wenn du wüsstest, was ich gefunden- Ach, es hat doch mit dir alles keinen Sinn! Du gibst doch nicht einmal einen feuchten Dreck auf meine Meinung! Genau wie mein Vater vor dir!“
„Hicca…“ sagte er auf einmal bedrohlich leise.
„Du bist so unglaublich dämlich, Ash! Du hörst lieber auf Fremdlinge als auf deine eigene Frau, obwohl du mir von allen am meisten vertrauen solltest! Und warum?! Oh, ich glaube ich weiß es! Du bist ein beschissener Häuptling! Du bist idiotisch, leichtsinnig, naiv und außerdem-“
*KLATSCH*
Das nächste, was Hicca wusste, war, dass sie auf den Boden fiel. Verwirrt rieb sie sich die schmerzende Wange und sah zu Ash hinauf. Er stand da, mit wutverzerrtem Gesicht und einer noch erhobenen Hand.
Hicca starrte seine Hand an und rieb sich wieder die schmerzende Wange, als sie realisierte, was gerade passiert war.
Ash schien es ebenfalls zu begreifen. Er blinzelte, sah erst auf seine Hand, dann auf seine am Boden liegende Frau und auf einmal wurde er blass. Die ganze Wut, die in seinem Gesicht zu sehen war, war auf einen Schlag verraucht und verwandelte sich in Angst.
Sofort begab er sich vor ihr auf die Knie, um sie in die Arme zu schließen und zu beruhigen, bevor noch ein Unglück passierte.
Bevor er aber überhaupt die Arme nach ihr ausstrecken konnte, trat sie ihm schon gegen die Schulter, wodurch er fast das Gleichgewicht verlor und zurücktaumelte.
„FASS MICH NICHT AN!“ schrie sie.
„Hicca…“
„NEIN! LASS MICH IN RUHE!“
Er stand wie betäubt da, sah auf seine Frau herab, wie sie ihm hasserfüllte Blicke zuwarf, und fühlte sich gerade, als sei er die absolute Krönung aller Abscheulichkeiten. Er hatte seine eigene Frau geschlagen. Die Frau, nach der er sich vor wenigen Monaten erst noch gesehnt hatte. Die Frau, mit der er vor wenigen Wochen erst geschlafen hatte.
Und was hatte er jetzt getan? Sie geschlagen. Und wofür?
„Hicca, bitte…“ murmelte er schwach.
Sie rappelte sich langsam auf und pfiff einmal kurz. Sofort kam Ohnezahn durch die Vordertür herein gestürzt, stellte sich zwischen das Paar und knurrte Ash wild und bedrohlich an.
Hiccas Augen füllten sich mit Tränen. „Glaub ja nicht, dass ich diese Nacht in deinem Haus verbringen werde, Hofferson!“ sagte sie mit erstickter Stimme und schluchzte. „Oder eine danach…“
Mit diesen Worten wandte sie sich schnell von ihm ab und lief aus dem Haus.
„Hicca, warte!“ rief Ash ihr hinterher und wollte ihr nachlaufen, aber Ohnezahn knurrte wütend und blockierte ihm mit seinem Schwanz den Weg.
Als der junge Häuptling tieftraurig und kurz vor der Verzweiflung stehen blieb, schnaubte der Nachtschatten nur uns schlug ihm mit seiner Schwanzflosse gegen den Kopf, bevor er ebenfalls nach draußen stolzierte.
Es dauerte eine Weile, bis sich Ash wieder fasste. Vor plötzlicher Wut auf sich selbst ging er auf die Wand zu und schlug seine Stirn ein paar Mal dagegen. „Idiot! Idiot! Idiot! Idiot! Idiot! Du verdammter Vollidiot!“

Hicca rannte schon fast aus dem Dorf, schluchzte, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und scherte sich nicht darum, was die Leute wohl denken mussten, wenn sie sie so sahen. Sie lief geradewegs auf einen Strand zu, mit Ohnezahn dicht hinter sich, der mitleidig gurrte und versuchte, seine Reiterin zu beruhigen.
Dabei folgten ihr noch vier aufmerksame Augenpaare.

„Drei Jahre! Drei verfluchte Jahre, Ohnezahn! Da besiegt man Drago Blutfaust, Alvin den Heimtückischen, bekämpft alle möglichen Sorten von Drachenhassern, befreit Drachen ohne Ende, wird zu einer berühmten Kriegerin und dann hört man einem noch nicht einmal zu! Was muss ich denn noch machen?!“ rief sie wütend, während sie am Strand und Ohnezahn neben ihr saß. Sie seufzte niedergeschlagen. „Früher habe ich mir immer gesagt: ‚Hicca! Reiß dich zusammen! Du kriegst das schon hin. Wenn du erst erwachsen bist wie die anderen, werden auch alle auf dich hören wie auf alle anderen.‘“
Ohnazahn gab ein verständnisvolles Gurren von sich.
„Ich bin es dennoch gewöhnt, das man nicht auf mich hört, aber geschlagen wurde ich dabei noch nie.“ Sie seufzte wieder. „Was ist an mir, dass noch nicht einmal Ash auf mich hören will?“ Sie sagte eine Weile nichts, bevor sie sich an ihren treuen Gefährten wandte. „Du glaubst mir doch, oder?“ fragte sie sanft.
Er sah sie fast schon erschrocken an und leckte ihr versichernd die Wange.
Sie kicherte, auch wenn es widerlich war. „Ach, Ohnezahn. Wenigstens auf dich kann ich mich immer verlassen.“ sagte sie und umarmte ihren Drachen.
„Hicca?“ fragte auf einmal eine ihr bekannte Stimme. Sie hoffte zwar, dass es Ash war, aber ihr geistiges Auge sagte etwas anderes.
Überrascht drehte sie sich um. „Fischbein! Was machst du denn hier?“
„Zum Nachdenken. Und du?“ fragte er neugierig.
„Bin ich auch. Was liegt dir auf dem Herzen?“
„Sag ich erst, wenn du mir verrätst, was dich bedrückt.“ entgegnete er grinsend.
Sie seufzte. „Na schön. Komm her und setz dich.“
Er tat es und sah sie dann von der Seite an. Er kniff die Augen zusammen. „Warum ist deine Wange gerötet?“
Erschrocken winkelte sie ein Bein an, stützte ihren Ellenbogen darauf und verdeckte mit ihrer Hand die Stelle, wo Ash sie zuvor geschlagen hatte. „Oh, das ist- ähm… Das ist nichts, wirklich.“
„Mhm.“ machte er nur skeptsisch, ließ aber das Thema auf sich beruhen. „Also, worüber denkst du nach?“
„Keiner hört mir zu…“ sagte Hicca. „Nicht einmal Ash.“
„Wobei denn?“
Sie winkte ab. „Wenn ich sagen würde, dass die Drachenjäger wahrscheinlich aus einem anderen Grund hier sind als sie zugeben, würdest du mir glauben? Vorhin hast du zumindest nicht so gewirkt.“
Auf einmal wurde Fischbein todernst. „Lustig, dass du das sagst. Die Grimborns haben mich über ein paar seltsame Dinge ausgefragt. Naja, eigentlich nur dieser Reiker. Viggo hat nur aufmerksam zugehört.“
„Was hast du ihnen gesagt?“
„Als ich erwähnte, wie wir Drachen beruhigen und zur Not auch einschlafen lassen, haben sie sich auf einmal seltsam verhalten. Sie haben nach dem Mittel gefragt und ich sagte, dass wir es Drachengras nennen. Sie fragten mich noch über Form, Farbe und Vorkommen aus, was ich zu meinem Bedauern ihnen sogar vollkommen begeistert erzählt habe. Erst vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, wie seltsam sie sich tatsächlich aufgeführt haben.“
Hiccas Augen wurden groß. „Zu Recht, Fischbein!“ sagte sie erschrocken. „Ich habe mich auf ihr Schiff geschlichen. Sie halten ihre Käfige noch immer verdammt gut in Schuss und vor wenigen Tagen haben sie auch noch mindestens einen Drachen getötet.“
Fischbein wurde bleich. „Wenn das wahr ist, dann müssen wir das Ash erzählen. Selbst wenn er dir allein nicht geglaubt hat, uns beiden zusammen muss er zuhören.“
„Wenn ich das nur zulassen könnte…“
Ihre Köpfe schnellten herum und bevor sie reagieren konnten, wurde dem knurrenden Ohnezahn ein duftender Beutel gegen den Kopf geworfen. Etwas genervt schnüffelte er an dem vor ihm liegenden Säckchen, bevor er plötzlich einschlief.
„Ohnezahn? Ohnezahn, wach auf!“ rief Hicca und rüttelte an ihrem Nachtschatten.
„Es ist zwecklos. Vielen Dank übrigens, Fischbein.“ sagte die Stimme wieder und trat aus dem angrenzenden Wäldchen hervor.
„Reiker.“ knurrte Fischbein.
„Was willst du, Drachenjäger?“ fauchte Hicca wütend.
Reiker grinste nur. „Ihr beide seid einfach zu klug. Ihr wisst zu viel.“ Er betrachtete Hicca von oben bis unten. „Viggo hatte recht, du bist es wirklich, Nachtigall. Ihr kommt am besten beide mit, dann bleibt ihr noch eine Weile am Leben.“
„Vielleicht sollten wir auf ihn hören, Hicca.“ flüsterte Fischbein ihr zu. „Ich habe meinen Hammer nicht dabei.“
„Schluss mit dem Unsinn, Fischbein.“ sagte sie. „Und du, Grimborn, wenn du mich kennst, dann solltest du es besser wissen als mich allein herauszufordern. Auch, wenn ich ein wenig aus der Übung bin.“
Sein Grinsen wurde breiter. „Wer hat denn gesagt, dass ich allein gekommen bin?“
Auf dieses Kommando kamen drei weitere Drachenjäger aus dem Wald.
„Das dürfte mir Spaß machen.“ sagte Hicca bedrohlich und ließ ihre Faustklauen ausfahren. „Fischbein, hast etwas um dich zu verteidigen?“
Er nickte. „Einen Dolch für den Notfall.“
„Der muss reichen.“
Die Drachenjäger zogen ihre Schwerter und Äxte. Reiker zog gleich beide Schwerter von seinem Rücken. „Rührt sie nicht an! Sie gehört mir. Kümmert euch um den Fettsack!“
Mit diesen Worten ging er langsam voraus, während Hicca ihm entgegenlief.
Mit einem Überkopfschlag ließ er seine Klinge auf sie niedersausen, doch sie blockte mit ihren Klauen und verhakte die Klinge mit einer Hand. Mit der anderen holte sie aus, um das Metall zu zerteilen, doch es prallte nur mit einem metallischen Klirren ab.
Reiker grinste hämisch. „Du bist nicht der einzige, der das Rezept für das Gronckel-Eisen besitzt.“
Hicca knurrte wütend und ging in die Offensive über. Während sie mit dem Grimborn beschäftigt war, rannten die anderen an ihr vorbei und konzentrierten sich auf Fischbein, der jedoch mit einer Schnelligkeit auswich und blockte, wie man es nicht von einem Mann seiner Statur erwarten würde.
Nach einer Weile schaffte es Hicca dennoch, Reiker zu besiegen. Sie ritzte ihm in seine dominante, rechte Hand, was ihn vor Schreck die Klinge fallen ließ, schlang ihren Greifhaken um seine Beine und zog daran, sodass er nach hinten kippte und auch sein zweites Schwert durch die Luft segelte.
Sie wollte gerade die Faustklauen in seiner Kehle versenken als-
„Ich würde das an deiner Stellte nicht tun.“ sagte Reiker ohne jede Furcht oder Angst in der Stimme.
„Wieso sollte ich dich nicht jetzt sofort töten?“ knurrte die Nachtigall.
„Weil dein Freund sonst stirbt.“
Erschrocken sah sie mit ihrem geistigen Auge hinter sich und musste leider sehen, dass Reiker die Wahrheit sprach. Fischbein wurde von zwei Männern gleichzeitig auf den Knien gehalten, während der dritte ihm die Axt an die Kehle hielt.
„Lasst ihn frei!“ verlangte Hicca. „Oder ich töte ihn!“
„Das wirst du nicht.“ meinte Reiker. „Du würdest doch nicht das Leben eines Freundes aufs Spiel setzen? Ich sehe hier nur einen Ausweg aus dieser Lage: Du ergibst dich.“
Hicca wollte ihm so gerne den Hals durchschneiden und ihn langsam und qualvoll verrecken sehen, aber sie konnte nicht einfach guten Gewissen Fischbeins Leben dabei riskieren. Das würde sie sich weder selbst, noch Heidrun ihr verzeihen. Hicca wusste, dass sie nicht mit dem Gedanken zurechtkommen würde, für den Tod eines werdenden Vaters und die Zerstörung einer werdenden Famile verantwortlich zu sein.
Sie sah den Grimborn hasserfüllt an und machte zwei Schritte zurück. Währenddessen stand Reiker wieder auf.
„Weg mit deinen Waffen, Vögelchen!“ verlangte er.
„Nur über meine Leiche!“
„Auch über die deines Freundes?“
Verärgert biss sie sich auf die Unterlippe. Schließlich zog sie doch Handschuhe und Armschienen aus und warf sie zornig auf den Boden.
„Sehr schön…“ sagte Reiker zufrieden. „Und jetzt wird erledigt, wofür wir hergekommen sind.“
Bevor Hicca reagieren konnte, landete seine Faust seitlich an ihrem Kopf.
Alles wurde schwarz.

Die Nachtigall von BerkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt