Kriegerin der Dunkelheit

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Hicca brauchte einen ganzen Monat, um die Augenbinde abnehmen zu können. Immerhin hatte sie sie mehrere Wochen umgehabt.
Für den Anfang begab sie sich in die dunkelsten Höhlen, die Valka ihr zeigte. Nicht, dass Hicca mit der Augenbinde nicht laufen konnte, im Gegenteil. Mit ihrem geistigen Auge sah die Helligkeit einfach nur überall gleich aus. Egal ob es für manche zu hell oder für andere zu dunkel war, ihre Sicht war überall gleich.
Deshalb musste sie Valka einschätzen lassen, welche Höhle die dunkelste war.
Als sie tatsächlich eine fanden, die dunkler als alle anderen war, nahm Hicca die Augenbinde ab und kniff vorsichtshalber die Augen zusammen.
Als sie ein Auge einen kleinen Spalt öffnete, war es ihr trotzdem noch zu hell und sie schloss das Auge wieder augenblicklich
"Bei den Göttern, ist das grell!" schrie sie und Valka schnaubte nur.
"Schön wärs. Ich kann absolut nichts erkennen." maulte sie. Dann holte sie eine andere Augenbinde hervor. "Nimm die hier. Sie ist dünner als die alte Augenbinde. Mit ihr dürftest du alles sehen, wenn auch ein wenig abgedunkelt."
Hicca nahm das Stück Stoff dankbar entgegen und band es sich um die Augen, bevor sie das rechte Auge wieder einen Spalt öffnete. "Hey, es funktioniert." rief sie glücklich. "Ich kann durch das Tuch sehen. Es ist zwar immer noch ziemlich hell, aber ich werde mich hoffentlich daran gewöhnen." Dann blickte sie wieder ihre Mutter an. "Bringst du mir immer mal was zu essen vorbei?"
Valka nickte. "Gute Idee. In diesem Zustand kommst du eh nicht weit, wenn sich deine Augen ans Licht gewöhnen sollen."

Damit lief der Monat und Hicca arbeitete sich Stück für Stück vorwärts. Schon nach wenigen Tagen konnte sie in der ersten Höhle die Augenbinde abnehmen und gewöhnte sich wieder ein Stück an das Licht.
Als das geschafft war, band sie sich die Augenbinde wieder um und schloss die Augen wieder. Sie konnte doch nicht diese wertvolle Fertigkeit ihres geistigen Auges einfach so wieder verlernen. Dann wäre alles umsonst gewesen.
Sie öffnete nur die Augen unter der Binde, um zu sehen ob die Höhle gerade so erträglich war.
So ging das einige Wochen und schließlich konnte sie wieder in die Haupthöhle mit den ganzen anderen Drachen zurück, und das ohne Augenbinde.
Ihr fiel auf, dass ihre normale Sicht gleichzeitig durch ihre geistige Sicht unterstützt wurde. Somit erkannte sie zwar die Felsen ganz normal, sah aber dennoch die feinen Risse.
Als sie das bemerkte, war sie rundum zufrieden. Sie würde sich nie wieder Sorgen um ihr geistiges Auge machen müssen, wenn sie es schon instinktiv mit ihren normalen Augen benutzte.
Sie schaute ins Wasser, auf der Suche nach ihrem Spiegelbild. Sie hatte nicht wirklich auf ein geistiges Abbild von sich selbst geachtet, selbst wenn es möglich war. Mit dem geistigen Auge konnte man aber keine Spiegelbilder erkennen, da man das Licht nicht wirklich sehen konnte, das reflektiert wurde.
Sie betrachtete sich selbst. Sie sah irgendwie...erwachsener aus. Diese Erfahrung hatte sie wohl ein wenig gestählt, wenn auch nur geistig, und doch hatte es auch eine körperliche Auswirkung.
Ihr Gesicht hatte jedes kleine Bisschen vom letzten Babyspeck verloren. Gewichen war ein noch kantigeres, noch spitzeres Gesicht.
Doch was sie selbst am meisten verwunderte, waren ihre Augen. Sie waren zwar schon vorher grün, aber nun war es noch ein wenig kräftiger ausgeprägt, als könnte sich ihr Blick in Seelen brennen.
'Wird wohl am geistigen Auge liegen...' dachte Hicca nicht wenig erstaunt.
In diesem Moment trat ihre Mutter heran und Hicca erschrak ein wenig. Sie war unaufmerksam gewesen. So unaufmerksam, dass sie weder Wolkenspringer, wie er gelandet war, noch Valka, wie sie an Hicca herangegangen war, gehört, oder mittlerweile besser, gesehen hatte.
Die Tochter blickte zu ihrer Mutter auf und letztere erschrak auch ein wenig.
"Wow, Hicca. Du siehst... gut aus. Verändert. Im guten Sinne. Und erst deine Augen..." Sie stieß einen bewundernden Pfiff aus. "Wärst du auf Berk geblieben, wärst du jetzt sicher von ganzen Männerscharen umringt." sagte sie und lachte. Hicca lächelte nur.
"Danke." sagte sie. Dann blickte sie wieder ins Wasser und betrachtete sich. 'Ob Ash unter ihnen gewesen wäre? Wie geht es ihm überhaupt?' Sie schnaubte und fügte gedanklich hinzu: 'Egal. Als ob das eine Rolle spielen würde. Er hat mich verraten und ist ein verfluchter Dummkopf. Ein typischer Wikinger. Ein totaler Sturkopf.' dachte sie und er verschwand aus ihrer Gedankenwelt so plötzlich, wie er gekommen war.

Die Nachtigall von BerkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt