Der Geist der Rache

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Zwei Wochen zuvor:
Kurze Zeit nachdem die bewusstlose Hicca aus dem Kaiserpalast geschliffen wurde, wandte sich Scipius wieder an den soeben zum Zenturio degradierten Legaten.
"Ihr könnt jetzt gehen, Zenturio. Ich habe noch einige Dinge mit eurem Legaten zu besprechen." sagte er grinsend.
Exitus setzte eine hasserfüllte Miene auf und stampfte förmlich aus dem Thronsaal.
"Ich mache mir Sorgen, dass er versuchen könnte, die Nachtigall zu befreien." murmelte Scipius dem Legaten Flavius zu. "Es wäre besser dieses Risiko aus dem Weg zu räumen."
"Ich verstehe, mein Kaiser. Gebt den Befehl und meine Männer werden ihn töten." schlug Flavius vor und deutete eine Verbeugung an, doch der Kaiser hob seine Hand.
"Nein." sagte er bestimmt. "Meine Prätorianer werden sich um ihn kümmern." Dann machte er eine Handbewegung und zwei Dutzend seiner Leibwächter begannen dem Zenturio zu folgen.
"Und nun wo wir das geklärt haben" begann der Kaiser enthusiastisch und stand händereibend auf. "können wir uns ja um die Planung des kaiserlichen Turniers in zwei Wochen kümmern. Die Nachtigall soll dort leiden."
"Mein Kaiser, mir scheint ihr habt etwas vergessen." meinte Flavius.
"Und was wäre das?"
"Die Familie eines Verräters sollte genauso leiden wie der Verräter selbst, finde ich." erinnerte er den Kaiser.
"Ah ja." murmelte er und schnappte mit den Fingern. "Prätorianer, schnappt euch auch die Familie dieses Zenturios und bringt sie ebenfalls in das Kolosseum." Kaum war er fertig, hörte man wieder sich entfernende Schritte.

Exitus war wütend. Unglaublich wütend. Flavius, der verdammte Verräter hatte alles zunichte gemacht. Seine Hoffnungen auf eine unbeschwerte Zukunft. Auch Scipius, vor allem er trug eine gewaltige Schuld daran. Sie hatten eine Chance auf Frieden und Ordnung vermasselt. Eine zufriedene Welt, geschützt von Drachenreitern, die über die Städte wachen würden.
Aber während er über all das nachdachte, was hätte sein können, wurde er das Gefühl verfolgt zu werden nicht los. Schnell bog er in einige Gassen ab und als er das Gefühl nicht loswurde ging er schneller weiter. Dabei achtete er leider weniger darauf, wo er hinging, sodass er sich kurze Zeit später in einer Sackgasse befand. Vor ihm befand sich ein Kanal und an den Seiten dicke steinerne Hauswände.
Langsam zog er sein Schwert, hob den Schild und drehte sich kampfbereit um. Er musste nicht lange warten, bis eine Truppe Prätorianer um die Ecke gerannt kam un sich vor ihm aufstellte.
"Will er mich nun auch tot sehen?" fragte Exitus grimmig.
Wortlos stürmte einer der Männer auf ihn zu und holte zum Schlag aus. Der Zenturio war darauf jedoch mehr als vorbereitet, hob seinen Schild und rammte dem Prätorianer die Kante ins Gesicht, noch bevor er zuschlagen konnte. Benommen stürzte er nach hinten und Exitus rammte ihm sein Schwert in den Bauch. Er starb mit einem lauten Schrei.
Als zwei zugleich auf ihn zugingen und der erste zum Schlag ausholte, lies der Prätorianer seine Deckung offen, was Exitus die Gelegenheit zu einem Schlag auf seine offene Schwertseite gab. Er schlitzte ihm den Brustkorb auf, dass dieser schreiend auf die Knie ging. In diesem Moment wollte der zweite zuschlagen, doch der Zenturio vollführte einen schnellen, kraftvollen Schlag von unten, sodass der Prätorianer von unten nach oben aufgeschlitzt nach hinten stürzte. Als Exitus sah, dass der erste noch am Leben war, nutzte er seinen Schild brutal ein: Er schwang ihn wild herum und ließ ihn mit dem Gesicht seines Gegners kollidieren, sodass er nach hinten geschleudert wurde.
Ein weiterer Prätorianer machte einen wilden Schwinger, unter dem sich Exitus hinwegduckte und, als er hinter ihm stand, die Spitze seines Schwertes ihm durch den Nacken trieb.
Diese Gelegenheit nutzte jedoch einer der Männer und trat Exitus mit voller Wucht in den Rücken. Er stolperte nach vorn und versuchte sein Gleichgewicht wiederzufinden. Als er es schaffte und sich dann umdrehte war es bereits zu spät. Ein weiterer Prätorianer rannte mit erhobenem Schild auf ihn zu und rammte ihn mit voller Wucht, sodass er das Bewusstsein verlor, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.
Er fiel nach hinten über die Kanalmauer, die er bis jetzt nicht wirklich beachtet hatte, und damit in den Kanal. Er versank augenblicklich, seine Rüstung war zu schwer. Und in seiner Bewusstlosigkeit konnte er ohnehin nichts unternehmen. Wenig später lag er flach auf dem Grund des Kanals.
Die Prätorianer jubelten. An der Stelle, wo Exitus über die Mauer gefallen war, befanden sich noch sein Schwert und sein Schild, wie einer bemerkte, aber es glänzte noch etwas Metallenes davor.
Er ging näher um den Gegenstand zu betrachten und wischte den Dreck herunter. Zum Vorschein kam ein Dolch mit der Aufschrift 'Damokles' auf der Klinge.
"Hey Leute, schaut mal her!" rief er und einige andere kamen auf ihn zu und betrachteten den Dolch.
"Ist ja reizend." witzelte einer.
"Wirf ihn doch hinterher, vielleicht kommt Damokles uns dann ja holen." sagte er in einem spöttischen Ton und die anderen lachten.
Auch der, der den Dolch gefunden hatte, musste grinsen und warf den Dolch wie zum Spaß tatsächlich in den Kanal, bevor die übrigen 20 Prätorianer zurück zum Palast gingen.
Der Damokles-Dolch jedoch sank langsam nach unten, zufälligerweise direkt  in die Hand des am Grund liegenden Zenturios. Als er diesen nur allzu vertrauten Griff spürte, schloss sich unterbewusst seine Hand um ihn und ein leichtes Kitzeln lief durch seinen Verstand. Eigentlich mehr ein Verlangen, das er beim Berühren dieser Waffe wahrnahm.
Er hörte es, tief in seinem halbwachen Verstand: 'Rache!'
Er schlug die Augen auf und bemerkte nun in welcher Lage er sich befand. Panisch stieß er sich vom Grund ab, nachdem er den Dolch wieder an seinen ursprünglichen Platz gesteckt hatte, und zog sich an den Mauerfugen hoch, bis er die Wasseroberfläche durchstieß und gierig nach Luft schnappte.
Er zog sich auch noch das letzte Stück hustend nach oben und ließ sich dann wieder auf die andere Seite der Mauer fallen, wo nun sein Schild und Schwert direkt neben ihm lagen.
Er lag dort eine ganze Weile, die er versuchte sich wieder zu beruhigen. Er hatte überlebt, wenn auch nur knapp, aber er hatte es geschafft. 'Ich muss zu meiner Familie. Ich muss über meine nächsten Schritte nachdenken, bevor ich etwas Übereiltes tue. Keiner weiß dass ich noch lebe, das ist meine Chance.' dachte er und schnappte sich Schwert und Schild.
Er würde nicht einfach durch die Straßen spazieren können wie sonst auch immer, das wusste er. Immerhin würden alle in Kürze wissen, dass er tot war. Er musste also von Gasse zu Gasse laufen und wich so den größeren Straßen und Menschenmassen, sowie allen Patrouillen aus.
Er tat das für gute vier Stunden. Der Marsch mit Hicca von seinem Zuhause zum Kaiserpalast hatte zwar kaum eine halbe Stunde gedauert, aber er konnte ja auch nicht einfach schnellen Schrittes durch die Straßen marschieren. Würde ihn jemand erkennen, dann wäre es aus für ihn, und zwar endgültig.
Schließlich kam dann in der Nacht doch sein Anwesen in Sicht und er atmete erleichtert auf, als er schnell hinüberschlich und geschwind die Tore öffnete.
Doch was er erblickte, ließ das Blut in seinen Adern geradezu gefrieren. Überall waren Blut und Männer wie Frauen am Boden. Sein Atem stockte, als er das Tor hinter sich zufallen ließ und wie betäubt weiterlief.
Die Bediensteten seiner Familie lagen regungslos in ihrem eigenen Blut am Boden. Er drehte eine der am Boden liegenden Frauen um und sah in ein erstarrtes, kaltes Gesicht, dem noch der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand. Irgendwer hatte das Anwesen blitzschnell überfallen.
Exitus wurde heiß und kalt zugleich. Was war mit seiner Frau und Tochter? Er rannte auf die Türen zu, die in das eigentliche Haus führten und stieß sie ohne Zögern auf. "Amelie! Fulvia!" rief er laut und begann, einen Raum nach dem anderen nach ihnen zu durchsuchen. Er hatte Angst, ihre Leichen doch irgendwo zu finden, aber sie nicht zu finden war auch nicht gerade besser.
Als er mit der Suche fertig war, rannte er wieder in den Hauptraum. "AMELIE, FULVIA, WO SEID IHR?!" brüllte er ängstlich. Er hatte jeden Raum, jeden Schrank durchsucht und sogar unter jedes Bett geschaut. Er lief wieder nach draußen, in der Hoffnung sie vielleicht doch zu finden, aber es lagen wie im Haus nach wie vor nur die Bediensteten in ihrem eigenen Blut am Boden.
Alle Hoffnung verloren fiel er auf die Knie und nahm seinen Helm ab, den er auf dem Boden achtlos aufschlagen ließ. "Das darf nicht wahr sein..." flüsterte er mit erstickter Stimme und schluchzte. Sie hatten seine Familie verschleppt und wer wusste schon was sie mit ihnen anstellen würden.
Er wusste einfach nicht was er tun sollte. Und so schrie er seine ganze Wut und Trauer über seinen Verlust hinaus.

Die Nachtigall von BerkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt