Widersetzung, Unterstützung, Verbindung

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Den Rest des Tages sprach Hicca kein einziges Wort mit irgendwem. Stattdessen rannte sie in den Wald, aber nicht auf die Lichtung, in der sie früher Zeit mit Ohnezahn verbracht hatte und vor knapp zwei Wochen gefangen genommen wurde. Letzteres, fiel ihr auf, hatte sich die letzten Tage noch nicht mal so angefühlt. Sie hatte sich nicht wie eine Gefangene gefühlt. Aber sie war auch nicht wirklich frei. Wahrscheinlich, so dachte sie, hatte sie einfach nur versucht das Beste aus ihrer Lage zu machen. Das funktionierte wohl auch bis zum gestrigen Tag ganz gut.
Aber jetzt fühlte sie sich wieder wie eine Gefangene. Allein auf einer Insel, ohne jemanden der sie wirklich verstand. Abgesehen vielleicht von Heidrun und Fischbein und ein bisschen sogar Grobian, aber ansonsten gab es auch nur noch Gothi, aber mit ihr konnte man ja nicht wirklich über seine Situation sprechen.
Berk war für sie ein Gefängnis ohne Gitter geworden. Es bestand aus Fels, Erde, Wasser und Luft. Und natürlich einem ganzen Haufen Leute, die ihr allesamt gewaltig auf die Nerven gingen. Vor zwei Tagen hätte sie Ash noch nicht mit dazu gezählt, aber jetzt...
'Wie man sich doch in einem Menschen täuschen kann...' dachte sie wütend und kickte ein kleines Steinchen weg, während sie auf einem Felsen saß, das Kinn auf die Hände gestützt und die Ellenbogen auf den Beinen. 'Auf Drachen ist wenigstens Verlass. Fast immer wenigstens.'
Wo waren die anderen Drachen überhaupt? Wieso war Blitzflamme nicht längst zurück. 'Sie würde mich nie im Stich lassen. Irgendwas ist dazwischen gekommen.' überlegte sie. Aber im Nordosten war nicht gerade viel, das einen Skrill aufhalten könnte, und vor allem nicht wenn dieser über den Wolken flog und so Schneestürmen aus dem Weg gehen konnte. Nein, es musste etwas anderes sein.
Hicca dachte eine Weile nach, kam dann aber zu keinem vernünftigen Schluss und schob das Thema beiseite. Stattdessen dachte sie darüber nach, wie sie die morgigen... Geschehnisse vielleicht umgehen könnte.
Auf einem Drachen zu fliehen wäre momentan unmöglich. Wie auch, wenn keiner da ist? Also musste sie sich etwas anderes überlegen. Ein Boot mit Proviant wäre eine schlechte Idee gewesen. Sie war zwar zusammen mit Ohnezahn eine Eins im Fliegen, aber eine absolute Null im Segeln. Das war eines der für Wikinger alltäglichen Dinge, die sie nie gelernt hatte oder es eben seit drei Jahren einfach nur nicht für nötig hielt, auch wenn sie es möglicherweise hätte erlernen können. Im Wald verstecken wäre auch keine besonders gute Idee. Immerhin würde sie die Braut des Häuptlings sein und da würde jeder Bewohner Berks mitsuchen, sofern er oder sie nicht zu alt, zu jung oder zu kränklich war. Alles in Allem würden wahrscheinlich 150 Berkianer nach ihr suchen, sollte sie sich im Wald oder einer Höhle verstecken. Berk war zwar groß, aber die Berkianer waren viele an der Zahl. Es wäre also egal, wie sie es anstellen würde und an welchen Ort sie gehen würde. Wenn die Wikinger organisiert und taktisch vorgehen würden, dann hätten sie die Insel in zwei Stunden durchgekämmt und Hicca gefunden. Und selbst wenn sie wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend rennen würden, dann könnte die Suche trotzdem nur so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass noch immer ausreichend Zeit war, sie zu Ash zu schleifen.
Egal was sie tat, es würde in ihrem Tod oder in einer verdammten Hochzeit enden. So gern sie es auch hätte, aber sie könnte nicht einfach jeden abschlachten, der anwesend war. Das hätten sie dann doch nicht verdient. Sie waren zwar allesamt Idioten, die nur ihrer Tradition folgten, aber nichtsdestotrotz waren die meisten Leute friedliche, brave Menschen. Wenn man einmal von der Vorliebe fürs Drachentöten absah, auch wenn es schwierig war.
Und selbst, wenn sie es versuchen würde, könnte sie maximal fünf töten, bevor sich jemand auf sie werfen und sie somit kampfunfähig machen würde.
Hicca erkannte, dass sie keine Wahl hatte.
Sie musste sich beugen.
Aber sie würde sich ganz gewiss nicht ganz ihrem Schicksal hingeben. Sie hätte noch immer ein gutes Mitspracherecht, vor allem wenn man weiterhin Angst vor ihr hatte.
Doch momentan blieb ihr nichts anderes übrig, als zurück ins Dorf zu gehen. Jeder, der sie schief ansah, erhielt von ihr einen durchdringenden Blick, der allein schon bei vielen eine Gänsehaut auslöste. Denn Gerüchte sprachen sich schnell herum. Mittlerweile wusste jeder, dass sie Inga Ingermann eiskalt und ohne Bedenken bewusstlos geschlagen hatte. Mit Hicca wollte sich also im Moment keiner anlegen, geschweige denn einen Witz über sie in ihrer Anwesenheit zu machen.
Es war schon Abend, aber nicht so spät, dass die normalen Berkianer schon schlafen gehen würden. Hicca war das jedoch egal. Sie hatte ohnehin nichts zu tun, als legte sie sich einfach wieder auf den Tisch mit den Fellen, den Grobian in der letzten Nacht für sie gemacht hatte, und schloss die Augen.
Eingeschlafen war sie trotzdem noch längst nicht.

Die Nachtigall von BerkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt