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In der Nacht von Sonntag auf Montag träumt Arnim nicht wie üblich nichts oder von dem Mädchen, dass ihm den Kopf verdreht, er träumt tatsächlich einen Traum. Einen leibhaftigen Traum, indem er als direkte Person mitbeteiligt ist, auch wenn es für ihn merkwürdig erscheint.

Der Traum beginnt damit, dass er an einem für ihn fremden Ort aufwacht. Es ist finster und alles erscheint ihm größer, dementsprechend schauriger. Als sei der Junge keine siebzehn, sondern drei Jahre alt, noch jünger könnte sogar eher passen. Plötzlich hört er Geheule von mehreren Wölfen, zuckt im Liegen zusammen. Er dreht den Kopf in jede erdenkliche Richtung, nimmt einzelne Strukturen in der Dunkelheit wahr, die ähnlich eines Baumes aufgebaut sind. Mit seinen Augen bleibt er an seinen Körper, besonders den Händen hängen. Sie sind klein, winzig klein, selbst die Finger sehen nicht mehr aus wie seine. Die Hand wirkt nicht schmal und lang, seine Großmutter beschreibt sie als Geburtshelferhände, sondern rundlicher und niedlicher, eben wie die Händchen eines kleinen Kindes.

Da er das Geheule noch in den Ohren nachklingen hört, steht er von der Matratze auf, die mit Laub und einer staubigen Decke bedeckt ist und reckt sich erst einmal die Glieder. Entweder sind Wölfe in seiner Nähe oder ein Trottel verscherzt sich einen Streich mit ihm, den der Junge nicht lustig findet. Geschätzt bringt seine Größe gerade mal einen Meter höchstens zustande, für ihn eine Tatsache, dass er verrückt wird oder wie soll man einen Altersunterschied von mindestens vierzehn Jahren in die Vergangenheit erklären.

Den Blick abermals auf die Umgebung gerichtet, findet er eine sehr schwache Lichtquelle, bei der Arnim eine Gestalt vermutet, die einen Schatten wirft. Vorsichtig nähert der Junge sich dem Licht, doch er stoppt, nachdem er ein Geräusch vernimmt. Das Weinen eines Kindes dringt an sein Ohr, dass vermutlich von der Figur kommt, die den kleinen Raum das Licht stiehlt oder auch nicht.

Seine Füße tapsen leise auf den Boden, wobei er nach einigen Schritten den Kopf einziehen muss, um sich nicht zu stoßen. Angst übermannt ihn, als er aus dem Raum krabbelt, der sich wirklich in einem Baum befindet, denn das Wolfsgeheul sitzt noch tief in seine Knochen. Mondlicht dringt zwischen den Bäumen hervor, erhellt wenigstens die Umgebung zum Leiten und Orientieren. Arnim schaut zum Himmel empor, wo Sterne vereinzelt die Blätterkronen durchbrechen können, wenn der Wind seine Züge macht. Er schaut sich nach dem Kind um, das weint. Neben der Öffnung an einem anderen Baum sitzt ein kleines Mädchen, maximal vier Jahre alt, weint sich ihre Äuglein wund. Der Junge möchte sich neben sie setzen, wird jedoch augenblicklich von einer größeren Gestalt zurückgedrängt, die ihn in die Höhle setzt. Eine schlanke Frau Ende zwanzig hält ihn fest, blickt tief in seine Augen. Ihre Rehaugen erinnern den Jungen an irgendwen.

„Sternchen, du sollst dich doch verstecken. Eigentlich schlafen, aber bestimmt ist es dir zu laut hierfür. Aber bitte verstecke dich, Mama und Papa holen dich sofort zu sich, wenn wir nach Hause gehen können."

Die Frau wirkt traurig, darauf deuten auch die wassergefüllten Augen hin. Ehe er etwas sagen kann, verschwindet sie in sekundenschnelle aus dem Augenwinkel. Er ignoriert die Worte der Frau, sobald sie gewiss ihn nicht mehr hören kann, denn er will zu dem weinenden Mädchen gehen, weshalb er vorsichtig aus der Höhle läuft, deren Eingang wie von Geisterhand die Höhe einer halben Tür hat und er ohne den Kopf zu stoßen durchlaufen kann.

Das Mädchen sitzt immer noch an der selben Stelle, bebt mit ihren ganzen Körper bei jedem Schluchzen und ruft leise nach ihrer Mama. Die Stimme klingt verzweifelt, fast schon flehend in die bedrohliche Stille. Geschwind lässt sich der Junge an den Baum nieder, an den das kleine Mädchen wie ein Häufchen Elend kauert.

„Warum weinst du?"

In Gedanken schreckt er vor seiner kindlichen Stimme auf, nach außen hin zeigt er keine Regung.

SeelenblüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt