29 (Lückenfüller)

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Weinend klettert Märyn zu ihrem Zimmer ins Dachgeschoss. Den restlichen Weg vom Seelenblüterhaus, das mit der Haupthalle durch einen leicht eingestürzten unterirdischen Gang verbunden ist, sind ihre Tränen versickert und ihre Wangen getrocknet. Erst als Arnim sich von ihr getrennt hat, da sind die Schmerzen in der Hand und die Tränen mit doppelter Wucht zurückgekommen. Keine Zeit in ihrem Leben hat sie sich so mies gefühlt oder besser erwähnt, das Mädchen verdrängt die mieseste Situation in ihrem jungen Leben.

Dementsprechend stört sie das Weinen, ein Seelenblüter weint nämlich nur, wenn die Lage mehr als aussichtslos für ihn ausschaut.

„Märyn?"

Die Siebzehnjährige erschreckt sich und dreht sich zu ihrem Pflegevater um. Nikolas beobachtet die Reaktion seiner Tochter gelassen, in seinen Augen spiegelt dennoch eine Spur Sorge.

„Seit...seit wie lange stehst du schon in meinem Zimmer?", fragt sie schniefend. Der Erwachsene tritt näher an sie heran, das Mädchen geht dabei nach hinten.

„Ich will dich zum Essen holen, aber dies ist schon vor zwanzig Minuten gewesen. Lucie geht bestimmt davon aus, dass wir miteinander reden, weil wir ja so wenig Zeit zusammen verbringen."

Seine Worte wählt er mit Bedacht aus, allerdings weint sie nur noch mehr. Nervlich am Ende sinkt sie auf ihre Knien.

„Mein...meine Hand tut weh."

Minutenlang hat der Mann ihr Freiraum gegeben, hat mit keinem Satz gerechnet, doch nun kümmert er sich sehr um sie.

„Weshalb tut dir deine Hand weh?"

„Ich...ich...", kein weiterer Satz möchte aus ihrem Mund, deshalb zeigt sie die verletzte Faust. Die Finger kann sie nicht mehr strecken, unangenehm ist ihr die Verletzung.

„Darf ich?", fragt er sie und möchte die Hand von ihr nehmen. Sie zögert zunächst, aber lässt ihn dann doch machen. Er streichelt über die blau unterlaufenden Fingerknöchel, dabei zuckt seine Pflegetochter zusammen. Sofort bemerkt er etwas an:

„Wir sollten ins Krankenhaus fahren, die Hand muss geröntgt werden."

Märyn schluckt. Heute Morgen hat sie die Probleme besiegen können, die Angst hat sich jedoch schlimm geäußert. Nach dem Arztbesuch ist sie froh gewesen, für die nächste Zeit keinen Arzt im weißen Kittel mehr über den Weg zu laufen, aber nun. Nun muss sie erneut zur Untersuchung und vielleicht kommt sie diesmal nicht so schnell aus der Sache heraus. Ihr Gesicht wird kreidebleich.

„Können wir keine Salbe verwenden und gut ist?", versucht das Mädchen der Angstentgegenstellung zu entkommen, doch der Mann schüttelt den Kopf.

„Sei vernünftig. Die Hand kannst du nicht bewegen, sie ist sicherlich gebrochen. Den Schmerz sieht man dir übrigens an."

Bei der Aussage wird sie von weiß zu rot im Gesicht. Schmerzen hat sie tierisch, sie zugeben will das Mädchen allerdings keineswegs. Ihre Denkweise ist hauptsächlich wie des eines Seelenblüters, ins Krankenhaus gehen darf einer dementsprechend nur nach Menschenkenntnis.

Freiwillig dorthin gehen niemals, in der Regel wird ausdrücklich daraufhin gewiesen, bei einem Unfall den Rudelführer in Kenntnis zu setzen und in die Halle zu kommen. Dort wird einem geholfen. Jedoch wenn der Mensch einen Krankenwagen alarmiert hat, dann muss man versuchen, einen langen Aufenthalt zu vermeiden.

Es ist untersagt, denn das Geheimnis um die Existenz muss gewahrt werden. Wenn Märyn aber nun in die verbotene Einrichtung geht, hat sie dann dieses Gebot gebrochen.

„Für den Fall, dass du operiert werden musst, unterschreibe ich sämtliche Papiere für eine vorzeitige Entlassung. Dann kurierst du dich in deinen Bett aus und meinetwegen kannst du auch am Montag zur Schule. Höchstwahrscheinlich wirst du nicht dort bleiben müssen, Ehrenwort."

Er streckt ihr die Hand zum Einschlagen hin, die sie zögerlich mit der gesunden Hand nimmt.

„Versprochen?"

 „Versprochen Märyn. Ich würde vieles für dich tun, dass dir hilft, auch dich vor den bösen Ärzten schützen", sie kichert gedämpft in die Runde, „Kein Scherz. Du bist meine Tochter und als Vater, wenn auch nicht biologisch, mache ich das. Ich finde, es ist meine Pflicht dazu."

SeelenblüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt