4. Kapitel

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Eine Dissoziale Persönlichkeitsstörung. Diese Krankheit käme bei Black Flash gut infrage, schließlich hielt sie nichts von sozialen Regeln und Verboten, verhielt sich aggressiv bis hin zu gewalttätig, log und manipulierte sehr gerne. Empathie war ein Fremdwort für sie, das sie vermutlich nie verstehen würde.

Eine Histrionische Persönlichkeitsstörung. Eine beinahe passendere Krankheit, da man gut Black Flashs Wunsch nach Aufmerksamkeit erkennen konnte. Des Weiteren wirkte sie theatralisch und egozentrisch und hatte nur eine geringe Frustationstoleranz.

Eine Manie oder bipolare Störung. Ein Adrenalinjunkie. Black Flash ging immer wieder neue Gefahren ein, die gar nicht nötig wären, welche aber das Adrenalin hervorriefen, nach dem sie süchtig war. Sie hasste Ruhe und Langeweile, womöglich hasste sie es deshalb umso mehr, selbst als langweilig bezeichnet zu werden.

Die genannten Krankheiten konnten allsamt einen Auslöser haben: eine schwere Kindheit. Durch schwache Bindungen und fehlende Bezugspersonen konnte es zu solchen Störungen kommen. Natürlich war auch oft Misshandlung in der Kindheit und Jugend der Auslöser. Da nur Fälle bekannt waren, in denen sie Männer verletzt hatte, war sie vermutlich von diesen ebenso verletzt worden. Falls Black Flash eine solche Vergangenheit hatte, dann wäre es nur logisch, wenn sie einen Hass auf die Welt entwickelt hätte. Sie wollte womöglich Rache ausüben, doch andererseits könnte sie sich nach jemandem sehnen, der Gerechtigkeit in die Welt bringen würde. Wenn sie diesen jemand gefunden hätte, würde sie dann um seine Aufmerksamkeit kämpfen.

L wollte die Wahrscheinlichkeit, dass seine Thesen stimmten, berechnen, doch diese Frau schien ihm einen Hauch zu unberechenbar zu sein. Es gab einige Widersprüche, die ihn von den ersehnten 100 Prozent wegschleuderten. Black Flash hatte doch sonst nie die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Keinen Mord hatte sie als ihren gekennzeichnet, keine Menschenseele außerhalb Sapporos kannte ihren Decknamen. Diese Stadt schien ihr wohl zu genügen, obwohl sie auf L noch nie genügsam gewirkt hatte, eher größenwahnsinnig. Sie nahm sich schließlich, was auch immer sie wollte.

"Ryuzaki, ihr Standort konnte nicht ausfindig gemacht werden. Sie scheint ihr Gerät sehr gut geschützt zu haben", ertönte Wataris Stimme hinter L. Seine Gedanken wurden gespeichert, damit er später weiterarbeiten konnte.

"Sie ist ein Hacker", stellte L fest, "das erklärt, wie sie an deine Nummer gelangt ist. Aber wenn sie so gut ist, warum hat sie dann nicht mit mir direkt Kontakt aufgenommen? Entweder sie bevorzugt die einfachen Wege und macht nur das Nötigste, um an ihr Ziel zu gelangen, oder sie hackt nicht selbst. Mindestens zwei Hacker arbeiten für sie, natürlich haben diese verschiedene Fähigkeiten. Der eine konnte ihre Geräte verschlüsseln, der andere konnte mich nicht ausfindig machen."

"Das klingt tatsächlich plausibel. Gestatte mir eine Frage, L: Weshalb nimmst du dich nun doch ihres Falles an?", fragte der Mann. L sah ihn über seine Schulter hinweg an.

"Sie hat vermutlich Menschen getötet und darf nicht tun, was sie möchte. Ich muss Black Flash hinter Gittern sehen. Außerdem hat sie mich herausgefordert."

L war schlau, keine Frage, aber sogar er musste Schwächen haben, schließlich war er auch nur ein Mensch, zumindest war davon auszugehen.

Er hasste es, zu verlieren. Bei Minervas erstem Versuch war es zwar nicht geglückt, weil er sie durchschaut hatte, doch danach hatte er angebissen. L hatte die Herausforderung angenommen, hätte er das nicht getan, läge er keinerlei Wert auf seinen Sieg. Das tat er aber und das war seine Schwäche. Je öfter Minerva ihm durch die Finger gehen würde, je öfter sie ihn demütigen würde, desto frustrierter würde er sein, desto schwieriger würde es für ihn werden. Andereseits würde L es auch umso hartnäckiger versuchen, sie zu fangen.

Wie also konnte sie den kontrolliert ruhigen Detektiven reizen? Demütigen? In den Wahnsinn treiben? Am besten würde sie einfach das tun, was er verhindern wollte: ein ungezogenes Mädchen sein. Sie sollte weitere Codes an Wände schmieren, sie sollte mehr stehlen und die Staßen als ihre bezeichnen.

Minerva sollte die Stadt verlassen. Fünf Jahre hatte sie Sapporo heimgesucht wie ein lästiger Poltergeist, da würde doch niemand damit rechnen, dass sie ihre geliebte Stadt plötzlich verlassen wollen würde. Nun, das tat sie auch nicht gerne. Sie könnte andere damit beauftragen, ihre Aufgaben weiter fortzuführen, die Frage war nur, ob sie ihnen das zutraute. Man würde sie schnell schnappen und durch sie womöglich noch herausfinden, wo Black Flash wirklich war.

Eine Weile.

Für eine Weile könnte es klappen.

Aber Minerva hatte noch ein anderes Problem, um das sie sich kümmern musste. Sie hatte L versprochen, sein Gesicht zu enthüllen. Ihn ihrem Kopf gestaltete sich wie von selbst ein Plan, der zwar banal war, aber genau deswegen funktionieren könnte. Bevor sie sich jedoch um die Organisation kümmern würde, hatte sie noch Anderes zu erledigen.

Minerva stoppte das Videospiel, welches sie während ihrer Überlegungen gespielt hatte, und zückte ihr Handy. Jack Summers Nummer war schnell gewählt.

"Ja?", erklang eine unnatürlich tiefe Stimme.

"Hallo, Jack, hier ist Black Flash", sagte Minerva und grinste.

"Oh, verdammt", murmelte der Mann, "ich weiß schon. Ich habe die letzten Aufträge nicht erfüllt. Hör mir zu, Black Flash, ich möchte mein Geschäft abbrechen. Jetzt, da dank dir auf der Polizei nichts mehr von mir existiert, ist der perfekte Zeitpunkt, um ein neues Leben zu beginnen." Tatsächlich hatte der ehemalige Kopfgeldjäger es geschafft, Minerva sprachlos zu machen.

"Du hast mich benutzt?", fragte sie mit einer hysterischen Stimme, die ihren Wahnsinn mal wieder offenbarte.

"Stimmt schon, so kann man es ausdrücken, aber im Grunde hast du mir geholfen. Du hast mein Leben ungemein ins Positive gedreht, deshalb möchte ich dir danken. Ich werde -"

"ICH BIN KEIN GUTER MENSCH!", kreischte sie in das Telefon, sodass ihre Stimme augenblicklich zu schmerzen begann. "Ich will kein guter Mensch sein, also danke mir nicht. Hör auf."

"Okay, schon gut. Wie auch immer, ich habe mich dazu entschieden, ein guter Mensch zu werden. Ich werde dir all das Geld zurückgeben. Des Weiteren will ich dir noch etwas mitgeben: Böse zu sein, macht für einen kurzen Moment vielleicht Spaß, aber langfristig erfüllt es dich bloß mit Leere. Jeder Mensch braucht ein Ziel, einen Lebenssinn. Böse zu sein, gilt nicht. Wenn du dir das Leben einfach machst, macht es irgendwann keinen Spaß mehr", sagte Jack.

"Sei leise", flüsterte Minerva mit hasserfüllter Stimme.

"Okay. Viel Glück noch, Mädchen." Es kam nicht oft vor, dass Minerva das Piepen hörte, welches ihr verriet, dass der Anruf beendet war. Weiterhin hielt sie das Gerät an ihr Ohr und starrte in die Luft. Noch nie hatte ihr jemand Glück gewünscht, es gewagt, ihr Ratschläge zu geben oder sich bei ihr bedankt. Es kam ihr surreal vor.

Plötzlich schrie sie laut auf. Ihr Telefon wurde gegen die Wand geschleudert, ihre welligen, schwarzen Haare wurden ausgerissen, ihre Fäuste schlugen auf zufällige Gegenstände ein. Dann verließ sie die Energie und sie sackte auf dem Boden zusammen. Als wäre sie tot, lag sie stumm da und starrte aus dem Fenster, das bis zum Boden reichte. Sie sah andere Häuser, den grauen Himmel und die Regentropfen.

Nach einigen Minuten der Gedankenlosigkeit fühlte Minerva etwas nasses in ihrem Gesicht. Sie rappelte sich auf und befühlte mit ihren Fingerspitzen ihre Wangen. Hatte sie etwa geweint? Wann war das das letzte Mal passiert? War sie da nicht noch ein Kind gewesen? Ihr Kopf pochte unangenehm, als sie sich daran erinnern wollte, also stoppte sie.

Was hatte Jack nochmal gesagt? Jeder brauchte ein Ziel? Black Flash grinste breit und ein Lachen entfloh ihrer Kehle. Ihr einziges Ziel war L. Nur er zählte von nun an und niemand Anderer.

Black Flash [L x OC]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt