Kapitel 14

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Kapitel 14

Nach der Schule gehe ich nur mit Caprice nach Hause. Daniel ist schon etwas früher gegangen, hat aber versprochen, mich später abzuholen und den gestrigen Nachmittag noch einmal zu wiederholen, worauf ich mich wirklich freue. Hoffentlich hält er sein Versprechen, in mir ist immer noch die Angst, dass er wieder einfach so verschwinden könnte.

»Und? Für wen wirst du dich entscheiden?« Caps Stimme klingt aufgeregt und meine Augenbrauen schießen nach oben, während ich sie fragend anschaue. »Wie meinst du das?« Caprice stößt mit ihrer Schulter gegen meine und wackelt mit den perfekt gezupften Augenbrauen, während sie sagt: »Ach, komm schon, du weißt, was ich meine.« Ich schüttele den Kopf. »Nein, ich weiß nicht, wovon du redest, Cap.« Sie verdreht in ihrer typischen Art die Augen. »Robin und Daniel?« Ach daher weht der Wind. Nun bin ich diejenige, die ihre Augen verdreht. »Da gibt es nichts zu entscheiden.« Bei meinen Worten merke ich, dass ich rot anlaufe. Wenn wirklich beide mich wollten, dann hätte ich mich schon längst entschieden. »Du hast dich schon entschieden.« Caps Stimme klingt fast wie ein Quietschen, so überrascht und aufgeregt ist sie. Mein Gesicht wird noch heißer. Toll! Jetzt weiß sie mit Sicherheit, dass sie recht hat. »Und? Wer ist es?« »Niemand.« Ich beschleunige meine Schritte und gehe so ein ganzes Stück weiter vor, Cap muss ein bisschen laufen, um mich wieder einzuholen. »Komm schon, du kannst es mir doch sagen. Es ist so aufregend, mal auf der anderen Seite zu stehen.« Meine Augenbrauen schnellen wieder nach oben. Sie findet es aufregend? Was soll ich dann erst sagen? Zum Glück kommen wir in diesem Moment an der Kreuzung an und ich verabschiede mich schnell von Caprice, bevor sie mich mit weiteren Fragen löchern kann. Sie ist wenig begeistert, das sehe ich ihr an, aber ich werde sie später entschädigen wenn ich ihr alle Einzelheiten meines Treffens mit Daniel erzähle. Caprice fleht mich noch einmal an, aber ich bin schon im Gehen, also drehe ich mich um und zwinkere ihr noch einmal zu, ehe ich sie endgültig stehen lasse.

Daniel ist pünktlich und holt mich wieder mit seinem Audi ab. Wir nehmen den gleichen Weg wie gestern und schon nach wenigen Minuten erreichen wir den Parkplatz. Abermals ist Daniel unheimlich schnell aus dem Auto heraus und öffnet mir die Tür. Lächelnd steige ich aus, folge ihm den Weg hinauf und freue mich schon auf die gemeinsame Zeit. Auch diesmal ist kaum jemand am Belvedere zu sehen, obwohl wir genauso tolles Wetter wie gestern haben. Der Boden des Belvederes ist diesmal zusätzlich zu der schönen Picknickdecke mit Rosenblättern bestreut. Entzückt schaue ich mich um. Es sieht wirklich wunderbar aus, auch wenn mich leichte Zweifel beschleichen, ob hier nicht mehr als nur freundschaftliche Hintergedanken am Werk waren. »Hast du das gemacht?« Ich drehe mich zu Daniel um und schenke ihm ein Lächeln. »Ich hatte Hilfe.« Daniel zwinkert mir zu und lächelt mich strahlend an. Wir lassen uns auf der Decke nieder und Daniel schenkt mir ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit ein. Das gab es gestern noch nicht. »Was ist das?« Ich schnuppere an dem Glas und es riecht süß und sehr lecker. »Met«, sagt Daniel und lächelt mich weiterhin an. »Ist das mit Alkohol?« Ich klinge wie der letzte Looser und werde rot. »Nur ganz wenig. Du brauchst keine Angst zu haben, ich möchte dich nicht abfüllen oder so.« Wieder ein Zwinkern und ich erröte noch mehr. »Daran habe ich auch nicht gedacht.« Na gut, vielleicht ein bisschen, aber das muss er ja nicht wissen. Ich nippe an dem Getränk, um es erst einmal vorsichtig zu kosten. Es ist wirklich sehr lecker und schmeckt so süß, wie es riecht. »Wirklich lecker.« Daniels Gesicht erstrahlt bei meinem Kommentar. »Freut mich, dass er dir schmeckt. Es ist ein sehr exklusiver Tropfen, den man hier nicht bekommt.« Wir genießen die Zeit und plaudern miteinander. Dabei versuche ich ihn nach den Umweltkatastrophen auszufragen, doch er geht nie auf meine Fragen ein, sondern wechselt gleich das Thema. Ich merke genau, dass er etwas weiß, aber nichts dazu sagen will. Außerdem ist er die ganze Zeit so nervös und hibbelig, als ob er mit sich ringen würde, weil er noch irgendetwas sagen will. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr steckt er mich mit seiner Nervosität an. »Daniel, was ist los?« Fragend sieht er mich an, als ich die Frage ein wenig genervt stelle, weil es mir zu viel wird mit seinem Herumgezappel. »Nichts. Was sollte los sein?« Ich seufze. »Ich kenne dich zwar noch nicht so lange, aber du bist die ganze Zeit so hibbelig und kannst nicht still sitzen. Also, was ist los? Das passt nämlich so gar nicht zu dir.« Daniel scheint sich unwohl zu fühlen. Hoffentlich habe ich nicht in ein Wespennest gestochen. Ich kann nur hoffen, dass es nichts Schlechtes ist, was ihm durch den Kopf geht. »Ich erkläre es dir später, lass uns bitte erst diesen wundervollen Nachmittag genießen.« Ich will gerade weiter nachfragen, als sich der Himmel verdunkelt. Schwere Wolken haben sich vor die Sonne geschoben. Es sieht aus, als würde sich ein Sturm zusammenbrauen. Aus dem Nichts kommt ein fieses, finsteres Lachen, das mir jede Menge unschöne Schauer über den Rücken jagt. »Was ist das?« Daniels Gesicht verfinstert sich. »Dawn! Geh bitte! Sofort!« Seine Stimme lässt mich erstarren. So habe ich Daniel noch nie erlebt. Seine Stimme ist völlig verfremdet und passt nicht zu dem liebenswerten Menschen, der er immer ist. »Geh! Sofort!« Ich zucke zusammen und laufe zum Ausgang. Irgendetwas sagt mir, dass ich auf Daniel hören soll und gehen muss. Doch am Ausgang komme ich nicht weiter, denn eine dunkle Gestalt stellt sich mir in den Weg und lässt mich nicht vorbei. Der Mann sieht unglaublich gut aus, doch auf eine böse und widerwärtige Art, die bei mir eine Gänsehaut verursacht. Sein Anblick macht mir Angst. Außerdem stimmt irgendetwas an ihm nicht, was mich stutzen lässt. Seine Haut erinnert mich ein wenig an Mocca, so dunkel ist sie, und seine Haare hängen ihm in schwarzen Locken über die Schultern. Doch am schlimmsten sind seine Augen, sie sind dunkelbraun und völlig emotionslos. In ihnen glitzert etwas, dass ich nur als Wahnsinn bezeichnen kann. Und dann entdecke ich, was das komische an ihm ist, hinter seinem Rücken ragen weiße Schwingen auf. Der Mann da vor mir hat tatsächlich Flügel. Und nicht nur ein paar einfache Flügel, sondern drei Schwingen. Eine links, eine rechts und eine in der Mitte, die wie ein Horn über seinem Kopf aufragt. Daniel eilt zu mir, schiebt mich hinter sich und ich registriere kaum, was die beiden sprechen, doch mein Gehirn nimmt die Worte dennoch auf, als könnte es eine wertvolle Information sein, die ich später noch brauchen werde. »Azzael, was willst du hier?« Daniels Worte triefen vor Verachtung. »Das weißt du ganz genau, Daniel.« Der ... Mann, oder was auch immer er ist, zeigt eine Reihe blendend weißer Zähne, doch das Grinsen entstellt sein Gesicht zu einer grausamen Maske, die mich an ein Ungeheuer erinnert. »Denkst du, ich lasse wirklich zu, dass du dein Ziel erreichst? Niemals! Auch wenn es keine Rolle spielt, da die Menschen bald von der Oberfläche der Welt verschwunden sein werden.« In der Hand von Azzael erscheint ein schwarzes, glänzendes Schwert. Durch Daniels Körper geht ein Zittern und ich weiche einige Schritte zurück. Plötzlich zerreißt Daniels Pullover und darunter brechen drei Flügel hervor. Azzaels Schwingen erscheinen plötzlich im Vergleich zu Daniels glänzend weißen Flügeln nur noch in einem hellen Grau. Denn Daniels Flügel überstrahlen alles, sie leuchten wie Schnee in der Sonne. Die Flügel anzuschauen, ohne die Hand vor die Augen zu halten, ist fast unmöglich. Auch in Daniels Hand erscheint nun ein Schwert, aber seines ist golden und strahlt wie die Sonne. Kaum ist es erschienen, beginnt auch schon der Kampf. Ich verstecke mich hinter einer der Säulen und schaue zu ihnen hinüber. Der Kampf findet nicht nur auf dem Boden statt, sondern auch in der Luft. Sie umkreisen sich wie zwei Löwen, die nur darauf warten, dass ihr Gegner einen Fehler macht, und ihre Schwerter klirren schneller aufeinander, als ich zu gucken vermag. Bei jedem Schlag sprühen Funken in alle Richtungen und ich warte nur darauf, dass sich das trockene Laub entzündet. Ich habe keinerlei Ahnung vom Schwertkampf, sehe aber ganz genau, dass Daniel klar im Nachteil ist. Er weicht immer weiter vor diesem Azzael zurück und ich kann deutlich erkennen, dass Daniel sich nur verteidigt und kaum Luft hat, um selbst einen Angriff zu wagen. Sollte er es dennoch einmal schaffen, ist sofort Azzaels Schwert zur Stelle und Daniel hat Mühe, der scharfen Klinge auszuweichen, um nicht von ihr durchbohrt zu werden. Obwohl ich nicht weiß, was hier los ist, und ich glaube, dass das Ganze nur ein Traum sein kann, habe ich Angst um Daniel. Hoffentlich fing der Traum erst mit dem heutigen Picknick an. Nicht, dass die gesamte schöne letzte Zeit nur geträumt war. Ich kneife mir in den Arm und zucke zusammen. Wohl doch kein Traum, doch um ganz sicher zu gehen, konzentriere ich mich auf den Geruch um uns herum und bin erleichtert, als mir der Duft von trockener Erde in die Nase steigt. Mutti hat mir mal erzählt, man kann zwar Schmerzen spüren, wenn man träumt, jedoch nichts riechen, also muss ich wirklich wach sein. Daniel und Azzael verschwinden über dem Tempel und ich wage mich weiter nach draußen, um sehen zu können, was da oben vor sich geht. Oh ja, Daniel ist wirklich klar im Nachteil. Azzaels Schwert saust ständig auf ihn hinunter und Daniel kann nur abwehren und nicht angreifen, so wird er niemals gewinnen. Im nächsten Moment saust das schwarze Schwert auch schon auf seinen Arm nieder, diesen Schlag kann Daniel nicht ablenken und das Schwert trifft ihn am Oberarm. Dort wo das Schwert aufgeschlagen ist, klafft nun eine tiefe Wunde, Blut läuft seinen Arm hinab und ich kann mich von der grausigen Schönheit nur schwer losreißen. Ich kann nicht aufhören, diese Wunde anzustarren, denn das Blut sieht aus, als wäre es flüssiges Gold, und ich überlege für einen Moment, dass ich es unbedingt auffangen muss, damit keiner dieser wunderschönen Tropfen auf die Erde fällt und somit für immer vergeht. Noch während ich die Wunde anstarre, schließt sie sich auch wieder wie im Zeitraffer. Kurz darauf ist nur noch eine goldene Kruste zu erkennen. Dennoch fallen ein paar Tropfen Blut auf den Stein hinunter. Einer trifft auf ein Blatt, das ein Zischen von sich gibt und dann total verbrannt verschwindet. Einige Sekunden lang kann ich nichts anderes tun, als auf den Fleck zu starren, wo eben noch das Blatt lag, und ich bin froh, nicht versucht zu haben, das Blut mit der bloßen Hand aufzufangen. Dann schaue ich wieder nach oben. Daniel hat inzwischen einige weitere Wunden davongetragen. Das Blut, das auf den Tempel tropft, verdampft zischend, hinterlässt aber keine Spuren im Stein. Offenbar kann es nur organische Sachen verätzen. Wieder fängt Daniel sich eine Wunde ein und ich muss irgendetwas tun. Suchend blicke ich mich nach einem Stein oder etwas Ähnlichem, um aber ich finde nichts. Plötzlich kommen mir Worte in den Sinn und es drängt mich, sie auch auszusprechen. Wenn ich das nicht tue, werde ich platzen, da bin ich mir sicher. Das Gefühl wird immer stärker, machtvoller, drängender, also flüstere ich: »Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben«, Azzael erstarrt in der Luft und sein Blick fliegt mit einem Ruck zu mir herum, »weder Engel noch Mächte noch Gewalten«, meine Stimme wird fester und Azzael schießt auf den Boden und landet. Langsam kommt er auf mich zu und mit jedem Schritt, den er macht, gehe ich einen kleinen Schritt rückwärts, während meine Stimme immer lauter wird, in dem Wissen, dass es sehr, sehr wichtig ist, diese Worte auszusprechen: »weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur« Azzaels Gesicht wird zu einer schrecklichen Maske des Wutes und ich weiß, dass mir nur noch wenige Sekunden bleiben, um die Sätze zu vollenden, die in meinem Kopf schwirren, sonst wird dieses schwarze Schwert mir den Kopf von den Schultern trennen, als würde es durch Butter schneiden. Am Rande nehme ich wahr, dass Daniels Schwert und seine Flügel verschwunden sind. Er kniet vor dem Belvedere in einer ergebenen Haltung. Ich atme noch einmal tief ein uns schreie förmlich die Worte heraus, während Angst mich lähmt und ich keinen Schritt mehr Rückwärts machen kann: »uns scheiden kann von der Liebe Gottes« Azzael ist stehen geblieben, es sieht aus, als könnte er sich nicht mehr bewegen und die letzten Worte verlassen meinen Mund: »die in Jesus Christus ist, unseren Herrn!« Bei dem letzten Wort, öffnen sich die Wolken und eine unsichtbare Macht zerrt an Azzael, der zurückgezogen wird in die Wolken. Man kann noch einen letzten, markerschütternden Schrei hören, dann ist Azzael verschwunden. Die Wolken schließen sich und lösen sich anschließend auf, als wären sie nie da gewesen. Der Tag ist wieder genauso schön, wie er begonnen hatte. Völlig perplex starre ich in den Himmel, während Daniel langsam aufsteht und auf mich zukommt. »Ist alles ok mit dir, Dawn?« Ich brauche einen Moment, um mich auf Daniel zu konzentrieren. Nach einigen Sekunden frage ich: »Was zur Hölle war das?« Oh je, ob ich Hölle überhaupt noch sagen darf? Ich meine, dass es Engel gibt, habe ich ja eben gerade gesehen, aber was ist mit den dunklen Gegnern in der Unterwelt? und hätte nicht Azzael dann eigentlich auch dorthin gehört und nicht in den Himmel? Daniel schweigt, er scheint nicht zu wissen, was er sagen soll, und ich schaue wieder hinauf in den Himmel. Hoffentlich kommt dieser gruselige Typ niemals wieder.

Dawns Liebe - Einmal Himmel und zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt