Kapitel 22

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Kapitel 22

Ich stehe auf dem Trainingsplatz im Kulturpark und verzweifele fast. Zwar habe ich Robins Worte nicht vergessen, dennoch setze ich mich selbst ziemlich unter Druck. Ich kann einfach nicht anders. Wenn Daniel mich anschaut, dann glaube ich, Zweifel in seinen Augen zu sehen, und ich will diese Zweifel unbedingt auslöschen, auch wenn ich selbst an mir zweifle. Dazu kommt auch noch der Streit mit Caprice und diese ganze Geheimniskrämerei. Nach einer weiteren Übungseinheit, in der ich wieder versucht habe, Schlagfolgen und Schrittfolgen zusammenbringen, lasse ich mich ins Gras sinken. Den Kopf lege ich auf ein Knie und erlaube mir, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Selbst wenn ich es – wie durch ein Wunder – schaffen sollte, den Schwertkampf zu beherrschen, so weiß ich nicht, was ich machen soll, wenn Azzael zu fliegen beginnt, dann bin ich einfach klar im Nachteil. Ich habe diese Frage noch nicht gestellt, da ich zu sehr mit den Schrittfolgen und dem anderen Schwertkram beschäftigt war. Leider wirkt sich das auch mittlerweile auf meine Schulnoten aus. Ich habe mich in allen Fächern um gut eine Note verschlechtert und meine Eltern haben mich auch schon darauf angesprochen. Wenn diese Sache nicht bald vorbei ist, dann werde ich die Schule dieses Jahr nicht bestehen, zumindest nicht so, wie ich und jeder andere es von mir erwartet. Allerdings ist noch nicht einmal ein halbes Schuljahr um, es besteht also noch Grund zur Hoffnung. Voraussetzung ist natürlich, dass ich diesen Kampf überlebe und damit die gesamte Menschheit ein Recht dazu hat, weiter zu existieren. Nach einigen Minuten Pause schnappe ich mir wieder das stumpfe Schwert und will unter Nathaniels Anweisungen weiter üben. Doch just in dem Moment kommt Caprice auf den Übungsplatz gestürmt. »Dawn!« Ihre Stimme klingt aufgebracht und das nicht nur ein bisschen. »Ca ... Cap«, stottere ich. »Was machst du denn hier?« Sie baut sich vor mir auf und stemmt die Hände in die Hüften, bevor sie sagt: »Ich bin dir gefolgt!« Caprices Augen sprühen förmlich vor Wut. »Ich wollte endlich wissen, was du so Wichtiges vor mir versteckst und dann stelle ich fest, dass du nichts besseres zu tun hast, als hier mit einem Schwert zu spielen.« Bei ihren Worten steigt Wut in mir auf. Ich reiße mir den Arsch auf und versuche, diese verdammte Menschheit zu retten, und dann kommt Cap hier an, die von nichts eine Ahnung hat, und meint, mich niedermachen zu können. »Du hast überhaupt keine Ahnung, Caprice!« Meine Stimme zittert vor unterdrückter Wut und Tränen treten mir in die Augen. Die Anspannung der letzten Tage und das ständige Gefühl des Versagens brechen sich jetzt Bahn und wollen endlich frei sein. »Ich mache das alles hier nicht aus Spaß!« Meine Fingernägel bohren sich in meine Handfläche, doch der Schmerz dringt nur bedingt bis zu mir durch und kann mich daher kaum beruhigen. Caprice weicht einen Schritt vor mir zurück und sieht total geschockt aus, das kann ich selbst durch den Schleier der Tränen, sie jetzt über meine Wangen rollen, erkennen. »Du hast überhaupt keine Ahnung!« Ich schreie meinen Frust heraus und bin kurz davor, Caprice alles zu sagen, aber dann setzt mein Verstand ein. Sie würde mir ohnehin nicht glauben. Meine Wut verpufft augenblicklich, als mir klar wird, dass ich keinerlei Beweise habe. Daniel legt seinen Arm um meine Hüfte und wendet sich an Caprice. »Lass mich dir das Ganze erklären, Caprice. Würdest du mir bitte zuhören?« Caprice nickt, ohne den Blick von mir abzuwenden. Daniel fängt an zu erzählen und erst nach einigen Minuten registriere ich, dass er ihr die Wahrheit sagt. Auf Caps Gesicht sind alle möglichen Gefühlsregungen zu sehen. Von Unglaube über Erschrockenheit bis hin zu Erstaunen und Verwunderung ist fast alles dabei. Sie wirft immer mal wieder einen Blick auf mich, doch ich sage nichts und erwidere ihren Blick auch nicht. Die ganze Zeit schaue ich auf meine Füße und beobachte Caprice nur aus den Augenwinkeln, zu mehr bin ich nicht in der Lage. Als Daniel endet, herrscht eine gefühlte Ewigkeit lang Stille. Ich halte es nicht mehr aus und schaue Caprice an. Ihr Gesichtsausdruck ist nicht zu deuten, es ist, als hätte sie eine Maske aus Stein aufgesetzt, zum ersten Mal seit Jahren weiß ich nicht, was sie denkt, und das macht mir Angst. Sie schaut ständig von mir zu Daniel und zurück. Schließlich sagt sie: »Habt ihr auch Beweise für den ganzen Mist, den ihr mir gerade hier als Wahrheit verkaufen wollt.« Ich hebe die Hände und lasse sie ruckartig wieder fallen, war ja klar, dass sie Beweise verlangt. Doch Daniel gibt ihr den Beweis. Er steht auf, schließt die Augen und konzentriert sich. Um ihn herum fängt alles an zu leuchten und einen Moment später schießen seine drei Schwingen auf dem Rücken empor, die er gleichzeitig ausbreitet. Ich kenne den Anblick ja schon, doch Caprice ist völlig geschockt. Ob auf eine positive oder negative Art, kann ich nicht sagen. Daniel lächelt auf sie herab und ein Stich der Eifersucht durchfährt mich, doch im nächsten Moment weicht dieser kleine Stich unglaublichem Stolz. Denn dieser mächtige Engel vor mir liebt nur mich. Er ist meinetwegen aus dem Himmel zu uns auf die Erde gekommen und er ist meinetwegen aus dem Himmel ausgesperrt worden. Diese Lichtgestalt gehört zu mir und ich werde alles tun, um sie zu beschützen. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, während Daniel in seiner Engelsgestalt mit Caprice redet. »Und? Glaubst du uns nun?« Zu mehr als einem Nicken ist Caprice nicht fähig. Daniel lässt seine Flügel wieder verschwinden und im nächsten Moment sieht er wieder so aus, als wäre nie etwas geschehen. Caprice sinkt ins Gras und sieht ganz blass aus. Einen Moment lang mache ich mir Sorgen und lasse mich neben ihr zu Boden fallen. Caprice sieht mich an. »Das war es also, was du mir nicht sagen konntest.«

Dawns Liebe - Einmal Himmel und zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt