Kapitel 25

51 1 0
                                    


Kapitel 25

Suchend schaue ich mich um, denn ich rechne eigentlich damit, dass die anderen Engel mir zu Hilfe eilen, doch als ich sie entdecke wird mir klar, warum sie mir nicht helfen können. Jeder der Erzengel steckt mitten in einem Kampf mit unheimlichen Wesen. Es müssen Cherubim sein, denn die meisten haben ein menschliches Gesicht und den Körper eines Tieres, ich frage mich, wo die jetzt so schnell hergekommen sind.

Ich drehe mich wieder nach vorne und Azzael ist schon ziemlich nah. Er hebt sein schwarzes Schwert über den Kopf und ich weiß, dass meine Zeit nun gekommen ist. Ich habe mein Bestes getan und konnte die Menschheit dennoch nicht retten, also schließe ich meine Augen und warte darauf, dass es vorbei ist. Dabei bete ich, dass es nicht weh tun wird und schnell geht. Ich höre wie Azzael das Schwert hebt und höre sogar das Zischen, als er es niedersausen lässt, aber der Schmerz bleibt aus, stattdessen nehme ich ein schmerzhaftes Stöhnen wahr. Ruckartig reiße ich die Augen auf und sehe noch, wie Robin vor mir zusammensackt. Er muss sich zwischen mich und das Schwert geworfen haben und ich frage mich, wann er aus seinem Versteck kam. Ungläubig starre ich auf seine zusammengesackte Gestalt. Azzael ist erstarrt und blickt auf Robin, während sich Verwirrung auf seinem Gesicht abzeichnet. »Ihr Menschen seid so dumm!« Seine Stimme trieft vor Verachtung. Ich beachte ihn nicht und bekomme nur am Rand mit, dass Daniel und Uriel sich frei gekämpft haben und sich nun auf Azzael zu stürzen.

Ich lege Robins Kopf auf meinen Schoß und streichle ihm vorsichtig die Haare aus dem Gesicht. Von seiner rechten Schulter bis zu den rechten Rippen hinunter zieht sich eine lange Wunde, aus der unentwegt Blut sickert. Erst in diesem Moment wird mir klar, wie viel Robin mir in der Zwischenzeit wirklich bedeutet. Tränen laufen mir über die Wangen, als ich ihm immer wieder über die Haare streiche und seinen Namen flüstere: »Robin, bleib bei uns, bitte.« Er antwortet nicht, ich sehe aber, dass sich seine Brust hebt und senkt. Sein Atem ist zwar flach, aber er atmet und das ist wichtiger alles andere, denn es heißt, dass er noch lebt. »Oh Gott, bitte lass ihn nicht sterben.« Robin stöhnt in meinen Armen und ich streichele ihm beruhigend über die Wange. Azzael schreit und dieses Geräusch dringt mir in Mark und Bein.

Ich schaue auf. Azzaels wutverzerrtes Gesicht brennt sich in mein Gedächtnis ein und plötzlich werde ich stinksauer. Zorn füllt meinen Körper mit Kraft und ich schaue mich suchend um. Einige Meter weiter kann ich das Schwert im hohen Gras erkennen. Ich lege Robin sanft auf den Boden und hoffe inständig, dass er nicht sterben muss, erst recht nicht alleine. Dann hole ich mir das Schwert und wieder durchströmt mich eine unglaubliche Kraft, als meine Finger das Heft umschließen. Azzael kämpft wie ein Berserker gegen die anderen Erzengel und sein Anblick entfacht in mir ein unbändiges Feuer. Irgendjemand muss diesem Wahnsinnigen Einhalt gebieten. Ich denke an Rache für Robin und daran, dass sein Leben einfach zu kurz war, um nun so zu enden, doch bei diesen Gedanken wird die Macht schwächer und das Schwert scheint zu erlöschen. Wieder fällt mein Blick auf Azzael. Nein, ich muss ihn nicht für Robin besiegen, sondern um der Menschheit willen. Ich schiebe meine Wut, meinen Hass und meine Rachegedanken beiseite und konzentriere mich einzig und allein auf den Engel. Dabei denke ich an die Katastrophen, an die vielen Menschen und an die Bilder aus dem Fernsehen, wo man die zerstörten Städte sehen konnte. Während dieser Gedanken scheint das Schwert in meiner Hand aufzulodern wie ein Feuer, das gerade neue Nahrung erhalten hat.

»Lieber Gott«, sage ich, um mir selbst mehr Mut zu schenken, »bitte steh mir bei und schenk mir Flügel.« Die Worte verlassen meinen Mund, ohne dass ich sie vorher gedacht hätte. Meinen Blick auf Azzael richtend gehe ich vorwärts. Ich schicke die Worte immer wieder stumm in den Himmel hinauf und als ich fast bei Azzael bin, fühle ich, wie sich etwas auf meinem Rücken einen Weg ins Freie bahnt und ich von dem plötzlichen Gewicht ins Taumeln gerate. Es ist, als würde mir auf dem Rücken ein zweites Paar Arme wachsen, doch noch während ich diese neuen Gliedmaßen ausbreite, weiß ich, dass es keine Arme sind, sondern Gott mein Gebet erhört und mir Flügel verliehen hat. Ich gehe kurz in die Knie und springe instinktiv von der Erde ab, breite meine Flügel aus und fliege in den Himmel. Dann drehe ich eine kurze Proberunde, um sicher zu sein, dass ich auch wirklich mit den Flügeln umgehen kann, doch es ist, als hätte ich mein Leben lang noch nichts anderes getan, alles funktioniert rein intuitiv. Über Azzael und den anderen Engeln, die am Boden kämpfen, bleibe ich in der Luft.

Dawns Liebe - Einmal Himmel und zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt