Kapitel 18
Als Daniel sich in seiner Wohnung befand, stand ihm immer noch das Grinsen im Gesicht. Der Tag war einfach herrlich gewesen und Dawn glaubte ihm endlich, dass er sie liebte. Es machte ihm auch alles viel leichter, dass sie nun wusste, wer er war und dass es Engel gab. Seine Freude wurde lediglich ein wenig getrübt, als er an Azzael dachte. Niemals hätte er gedacht, sein Freund, sein Bruder, würde ihn so sehr hintergehen und ihn sogar vor einem Menschen angreifen und zu vernichten versuchen. Und dann das Schwert, wie sollte er da heran kommen, wenn er nicht mal in den Himmel kam? Die wichtige Frage war hier außerdem, wieso er nicht nach Hause konnte? Und selbst wenn er das Schwert hatte, woher sollte er wissen, welcher Mensch der Richtige war? Gab es nur einen einzigen Menschen, der das Schwert benutzen konnte? All diese Fragen machten ihm zu schaffen, deshalb setzte er sich zu einem Gebet nieder, um mit Gott in Kontakt zu treten. Der Allmächtige ließ diesmal nicht lange auf sich warten. »Daniel, mein Sohn«, ertönten seine Worte mit Daniels Stimme in dessen Kopf. »Vater, es ist so viel passiert. Ich weiß von dem Schwert, doch ich weiß nicht, wie ich es bekommen soll. Kannst du mir sagen, warum ich nicht mehr in den Himmel kann? War es vielleicht dein Erlass?« Daniel wusste, wenn Gott ihn verbannt hätte, dann hätte er wahrscheinlich auch nicht mit ihm gesprochen, doch er musste diese Frage stellen. »Nein, das war nicht mein Erlass, doch ich kann dir auch nicht sagen, wer dafür verantwortlich ist, das musst du allein herausfinden.« Daniel unterdrückte ein Stöhnen, obwohl er die Antworten des Allmächtigen kannte, hoffte er doch jedes Mal, etwas anderes zu hören. Da ihm das nicht weiterhalf, ging er zum nächsten Thema über. »Was ist mit dem Schwert? Gibt es nur einen einzigen Menschen, der es einsetzen kann, oder gibt es mehrere, die in Frage kommen?« »Es gibt nur einen einzigen Menschen, Daniel. Nur er hat das Herz und das Wissen, das es braucht, um sich Azzael entgegenzustellen. Und nur ein einziger Mensch auf dieser Erde hat die richtigen Beweggründe.« Daniel durchfuhr ein Schock. Die Worte seines Schöpfers hatten einen unglaublichen Verdacht in ihm geweckt und er hoffte von ganzem Herzen, dass sich dieser nicht bestätigen würde. »Du wirst mir nicht verraten, wer dieser Mensch ist, oder?« Einen Moment lang herrschte Schweigen und Daniel hoffte inständig, dass seine Vermutung nicht bestätigt werden würde. »Du weißt es doch schon längst«, ertönte da die Stimme seines Gottes und zerschlug alle Hoffnung darauf, dass er sich irrte. Wie eine Vase, die einem aus den Fingern glitt, zerschellte sie in tausend Teile und würde niemals wieder zu reparieren sein, es würden immer diese winzigen Stücke, feiner noch als Sternenstaub, fehlen. Daniel schloss die Augen. »Was ist, wenn sie es nicht schafft?« »Das wird sie. Hab nur genug Vertrauen in sie und hilf ihr, so gut du kannst.« Daniel wollte widersprechen, wollte Gott sagen, dass das Ganze ein Irrtum sein musste, dass es sich doch um eine andere Person handeln musste, dass es doch noch einen weiteren Menschen geben musste, der die Macht dazu hatte. Doch er wusste ganz genau, dass Gott ihm nicht eine solche Bürde auferlegt hätte, wenn sie vermeidbar gewesen wäre. »Ich glaube an dich, mein Sohn.« »Aber wie soll ich ihr das beibringen? Was soll ich zu ihr sagen?« »Du wirst schon die richtigen Worte finden.« Damit beendete Gott die Verbindung und Daniel blieb mit seinen trüben Gedanken allein zurück.
Währenddessen streifte Gabriel im Himmel umher. Er hatte gerade den Notruf von Daniel erhalten und wollte nun sehen, ob er herausfinden konnte, was Daniel davon abhielt, in den Himmel zurückzukommen. Gabriel war sich sicher, dass Azzael etwas damit zu tun hatte, doch er wusste nicht, wo er anfangen sollte zu suchen. Er ging gerade um die Säulen herum, als er einen wutschnaubenden Azzael den Gang entlang stürmen sah. Schnell versteckte Gabriel sich hinter einer der Säulen, immer darauf bedacht, nicht gesehen zu werden und in den trüben Schatten zu bleiben. Azzael stürmte in einen der kleineren Konferenzräume und Gabriel stellte sich an die Tür, um zu lauschen. Die Stimmen klangen gedämpft nach draußen und Gabriel merkte, dass noch jemand im Raum war. Er breitete die Flügel aus, legte sie sich wie einen Cocon um den Körper und verschwand. So konnte er sicher sein, dass man ihn nicht sofort entdeckte, auch wenn andere Erzengel in der Lage waren, ihn zu sehen, wenn sie sich nur genug Mühe gaben. Gabriel lauschte auf das, was drinnen gesprochen wurde. »So ein Mist aber auch!« Azzaels Stimme triefte nur so vor Wut. Die zweite Stimme meldete sich zu Wort: »Nun beruhige dich erst einmal. Was wolltest du überhaupt auf der Erde?« Die Stimme gehörte Cassiel. Da es nur einen weiblichen Erzengel gab, war das nicht allzu schwer herauszufinden. »Denkst du etwa, ich will, dass Daniel sich noch mit diesem Menschen amüsiert?« Einen Moment lang herrschte Stille in dem Raum, bevor sich Cassiel wieder zu Wort meldete: »Das ergibt doch keinen Sinn, Azzael. Warum solltest du so etwas Blödes tun?« »Das geht dich einen Scheißdreck an!« Azzaels Stimme war so laut geworden, dass selbst Gabriel vor der Tür zusammenzuckte. »Ich gehe auf die Erde, wann und wo ich will! Und du hast das nicht infrage zu stellen!« Cassiel schwieg und Gabriel fragte sich, wie Azzael diesen Wesenszug so lange vor allen geheim halten konnte. Weiterhin interessierte ihn, was der Auslöser für diese unbändige Wut war, die in dem Erzengel schlummerte. »Ich meine ja nur, dass es ein ziemlich unkluger Schachzug von dir war. Er kann nicht zurückkommen, das Siegel hält ihn davon ab. Aber durch deinen Auftritt hast du dich verraten. Er hat dir vorher doch vertraut, oder etwa nicht?« »Soweit ich weiß, hat Gabriel ihm schon längst von meinem Plan erzählt und außerdem geht es nicht mehr um Geheimhaltung, Daniel soll ruhig wissen, mit wem er es zu tun hat und wie gering seine Chancen sind, noch etwas zu ändern.« Als Gabriel seinen Namen hörte, zuckte er abermals zusammen. Er fragte sich, von welchem Siegel die beiden da sprachen. Es musste etwas damit zu tun haben, dass Daniel nicht in den Himmel zurück konnte. »Außerdem«, fuhr Azzael fort. »hält das Siegel nur, solange meine Macht ungebrochen bin. Die Menschenseele war zwar sehr, sehr stark, aber sie brauchte dennoch zu viel von meiner Magie und deswegen bin ich derjenige, der das Siegel aufrechterhält. Und Daniel ist der Einzige, der mir wirklich gefährlich werden kann.« »Noch ein Grund mehr, warum du dich von der Erde fernhalten solltest. Daniel kann dir hier oben nicht gefährlich werden, aber wenn du zu ihm gehst, spielst du ihm doch direkt in die Hände.« »Ich werde mich nicht hier im Himmel verkriechen, um mich dann von ihm als Feigling beschimpfen zu lassen.« Azzaels Stimme war voller Verachtung. »Dein Stolz wird dich eines Tages noch zu Fall bringen, Azzael.« Cassiels Stimme war leise, dennoch konnte Gabriel jedes Wort verstehen. Azzael schien Cassiel nicht gehört zu haben, woraus Gabriel schloss, dass Cassiel dichter an der Tür stand und der oberste Erzengel sich im Moment am anderen Ende des Raumes aufhalten musste. »Wie läuft es mit den Cherubim? Machen sie auch immer brav, was du sagst?« »Sie tun ihre Pflicht, aber es gibt zu viele, die gegen meinen Plan sind. Wahrscheinlich würden sie ohne meine Anweisungen gar nichts mehr machen.« Gabriel hatte genug gehört, er schlich sich davon, bevor man ihn noch entdecken konnte. In seinem Domizil ging er auf seinen Brunnen zu, das Erste, was er tun wollte, war Daniel zu unterrichten. Gabriel ging an seinen Brunnen und rief nach Daniel, dessen Gesicht bereits Sekunden später auf der glatten Wasseroberfläche erschien. »Gabriel. Hast du schon etwas herausgefunden?« Daniel wirkte irgendwie müde, abgehetzt und hoffnungslos, doch Gabriel verschob die Gedanken auf später, zuerst gab es Wichtigeres zu besprechen und Garbiel hatte Angst, dass ihnen nicht mehr genug Zeit dafür blieb. »Ja, ich weiß jetzt, warum du nicht zurück in den Himmel kannst.« Plötzlich wirkte Daniel wieder hellwach, als hätte ihm jemand einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf geschüttet. »Und? Was ist der Grund?« »Azzael hat durch eine Menschenseele ein Siegel schaffen lassen, solange Azzaels Macht ungebrochen ist, wirst du nicht in den Himmel zurück können.« Daniel schien in sich zusammen zu sacken. »Azzael sagte auch, dass die Cherubim ihm nur widerwillig folgen. Es gibt wohl einige, die gegen seinen abscheulichen Plan sind.« Daniel nickte nur geistesabwesend und Gabriel fragte sich, was ihn wohl beschäftigte. »Was ist los mit dir, mein alter Freund?«, fragte Gabriel, als Daniel auch einige Minuten später noch nichts gesagt hatte. »Ich weiß jetzt, wer der Mensch ist, der das Schwert benutzen kann.« Gabriel war total überrascht, konnte seine Neugier aber nicht verbergen. »Und wer ist es?« Daniel schwieg so lange, das Gabriel schon befürchtete, er würde gar nicht antworten. »Es ist Dawn.« Das verschlug Gabriel die Sprache, er brauchte einige Sekunden, bis er sich wieder gefangen hatte. »Wie kommst du darauf?« Er konnte sich absolut nicht vorstellen, dass dieses schüchterne, gutherzige Mädchen gegen den fiesen Erzengel kämpfen sollte. Das wäre ja wie David gegen Goliath. »Ich hatte eine Unterhaltung mit Gott.« Gabriel wurde immer verblüffter. »Hat er dir gesagt, dass sie es ist?« Daniel schüttelte traurig den Kopf. »Nicht direkt, aber das, was er gesagt hat, lässt keinen anderen Schluss zu.« Gabriel überlegte fieberhaft, es musste doch einen anderen Ausweg geben, aber vermutlich würde er auch zu keinem anderem Ergebnis kommen. Wenn Daniel so niedergeschlagen wirkte, dann hatte er sich vermutlich auch schon mehr als nur einen Gedanken gemacht. Doch Daniel musste sich irren, das konnte gar nicht sein. Dawn hätte nicht die geringste Chance, gegen den erfahrenen Erzengel zu bestehen. »Du musst dich irren, Daniel.« Gabriel wusste, dass er verzweifelt klang, aber das war ihm egal. »Glaub mir, Gabriel, ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich mich getäuscht habe, aber das habe ich nicht.« »Was hat Gott denn gesagt?« Während Daniel sich die Worte des Allmächtigen ins Gedächtnis rief, wartete Gabriel angespannt auf die Antwort. »Er sagte, dass nur ein Mensch das Wissen und das Herz hat, das es braucht, um sich Azzael entgegenzustellen. Und nur ein einziger Mensch auf dieser Erde habe auch die richtigen Beweggründe dafür. Überlege doch mal Gabriel: Das Herz: Dawn hat ein unglaublich reines Herz, das sie sogar in den zweiten Himmel brachte.« »Das mit dem Himmel war ein Versehen«, unterbrach Gabriel ihn. »Das hätte jeder anderen Seele auch passieren können.« »Mag sein«, lenkte Daniel ein, »aber es ist eben Dawn passiert. Und die richtigen Gründe hätte sie auch: Sie würde alles für ihre Freunde tun, selbst für Leute, die sie ihr Leben lang nicht gut behandelt haben, wäre sie bereit, auf ihr Glück zu verzichten, wenn es vielen dadurch gut ginge. Und ich glaube, auch für mich würde sie jederzeit alles riskieren.« »Das beweist noch gar nichts!« Gabriel wollte einfach nicht glauben, dass ein so zierliches Mädchen wie Dawn gegen Azzael kämpfen sollte. »Vielleicht nicht. Aber du vergisst das Wichtigste: sas Wissen. Nur Dawn weiß um die Engel. Es gibt keinen Menschen auf der Erde, der sonst noch von uns weiß.« Dieses letzte Argument konnte auch Gabriel nicht mehr widerlegen. »Wie soll das bloß gehen, Daniel? Und wir haben noch nicht einmal das Schwert.« Daniel sah so hoffnungslos aus, wie Gabriel sich fühlte, doch dann trat ein entschlossener Ausdruck auf das Gesicht des ehemaligen obersten Erzengels. »Wir dürfen nicht aufgeben, Gabriel. Wir müssen Dawn so gut wie möglich beistehen, und wenn wir an sie glauben, dann kann sie es vielleicht schaffen. Aber wenn wir schon von vornherein aufgeben, dann wird das nichts werden.« Gabriel versuchte, etwas von Daniels Entschlossenheit in sich aufzunehmen, was aber gar nicht so einfach war. Er holte einmal tief Luft und überlegte, doch das Erste, was ihm einfiel, war die Tatsache, dass Dawn wahrscheinlich gar nicht mit einem Schwert umgehen konnte. »Wenn Dawn überhaupt eine Chance haben soll«, sagte er zu dem Bild auf der Wasseroberfläche, »dann muss sie erst einmal lernen, mit einem Schwert umzugehen.« Daniel nickte. »Da hast du wohl recht. Aber wer soll ihr das beibringen? Ich bin kein besonders guter Lehrer, vor allem nicht bei Dawn.« »Dann ziehe doch Nathaniel zu Rate. Er ist der beste Schwertkämpferb den ich kenneb und du kannst dir sicher sein, dass er auf deiner Seite steht.« Nathaniel war ein Schutzengel, der Gabriel unterstand. Er war sozusagen Gabriels rechte Hand und wusste über einen Großteil der Sache Bescheid. »Würdest du mit ihm reden und ihn dann zu mir auf die Erde schicken?« Daniel wirkte erleichtert und Gabriel nickte. »Natürlich.« Einen Moment schwiegen die beiden und jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, dann brach Daniel das Schweigen und sagte: »Ich muss dann auch gehen, denn ich möchte Dawn gleich in Kenntnis setzen. Ich glaube nicht, dass ich das noch über mich bringe, wenn ich es weiter vor mir her schiebe.« »Sag mal, Daniel«, hielt Gabriel seinen Freund noch zurück, »wie viel Zeit ist bei euch vergangen, seit Azzael da war?« »Erst ein Tag. Also ziemlich genau vierundzwanzig Stunden. Warum fragst du?« »Merkwürdig«, antwortete Gabriel, »genauso viel Zeit ist hier vergangen, seit Azzael zurück kam und sich in seinem Domizil einschloss. Erst heute Nachmittag kam er wieder angestürmt.« »Du meinst, bei euch ist die gleiche Zeit vergangen wie hier auf der Erde?« Gabriel nickte. »Das ist eine Katastrophe.« »Das kannst du wohl laut sagen«, meinte Gabriel. Daniel seufzte. »Egal, das Grübeln bringt uns nicht weiter und die ganze Sache ist nur noch ein Grund mehr, Azzael das Handwerk zu legen.« Gabriel nickte, während sich auf seinem Gesicht ein grimmiger Ausdruck ausbreitete. »Also mein Freund«, verabschiedete Daniel sich, »pass gut auf dich auf da oben.« »Du da unten auch«, antwortete Gabriel und einige Sekunden später war Daniels Bild verschwunden. Gabriel konnte nur hoffen, dass Dawn ihre Aufgabe bewältigen würde, ohne an ihr zu zerbrechen, das würde er sich nie verzeihen.
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Dawns Liebe - Einmal Himmel und zurück
FantasyDawn ist eine Einzelgängerin wie sie im Buche steht, sie hat nur eine Einzige Freundin, Caprice. Alle anderen meiden sie wie die Pest. Mit ihren siebzehn Jahren, hat sie sich bereits an dieses Leben gewöhnt und ihr dickes Fell hilft ihr, diesen Allt...