Kapitel 19

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Kapitel 19

Als ich mit meinen Hausaufgaben fertig bin, setze ich mich auf mein Bett und lese seit Tagen das erste Mal wieder. Doch weit komme ich nicht, denn kurze Zeit später klingelt mein Handy und ein Blick auf die Anzeige verrät mir, dass es Daniel ist. Ein breites Grinsen erscheint auf meinem Gesicht, gegen das ich weder etwas tun kann noch etwas tun will, und schnell gehe ich ran. »Hi.« Meine Stimme klingt leicht heiser und ich muss mich einmal räuspern. »Hi, Dawn.« In Daniels Stimme kann ich ein Lächeln hören und sofort beginnen die Schmetterlinge in meinem Bauch einen wilden Tango zu tanzen. »Sag mal, meinst du, wir könnten uns heute Abend noch treffen? Ich möchte gerne mit dir reden.« Er will mit mir reden? Na, ob das etwas Gutes sein kann, im Film kommt nach dem Satz immer etwas Schlechtes. Ich denke nur ganz kurz nach und sage dann: »Klar geht das noch. Wo wollen wir uns denn treffen?« »Ich hole dich in zwanzig Minuten ab, o. k.?« Er klingt erfreut über meine Zusage und sofort wird mir leichter ums Herz, es hätte mir ruhig mal jemand vorwarnen können, dass in einer Beziehung die Gefühlsachterbahn an der Tagesordnung ist. »Gerne«, sage ich und wenige Sekunden später ist das Telefongespräch auch schon beendet. Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich vor meinem Kleiderschrank und weiß nicht, was ich anziehen soll. Nichts scheint mir passend zu sein. Ich hole ein Teil nach dem anderen heraus ,nur um es dann frustriert in die nächste Ecke zu feuern. Schließlich entscheide ich mich für eine Jeans und mein neues Lieblings-Longshirt. Wenige Minuten später steht dann auch schon Daniel vor der Tür. Mutti guckt mich ganz erstaunt an, als ich ihr sage, dass ich noch einmal weggehe, sagt aber nichts dagegen. Innerlich hatte ich mich schon gegen ein Verbot gewappnet, umso besser, dass ich jetzt mit Erlaubnis gehe und kein schlechtes Gewissen zu haben brauche. Daniel steht an seinem Auto und lächelt mir entgegen, ich kann nicht anders und muss sein Lächeln erwidern. Es ist kaum zu glauben, dass der Mann da vor mir meinetwegen aus dem Himmel gekommen ist und auf so viel verzichtet hat. Ich begrüße Daniel mit einem schüchternen Kuss, dann hält er mir die Tür auf und ich steige ein. Wir fahren wieder zum Belvedere und ein ungutes Gefühl steigt in mir auf. Jetzt, wo ich weiß, dass dieser Ort den Übergang zwischen der sterblichen Welt und dem Himmel darstellt, bin ich ziemlich ehrfürchtig. Wieder fahren wir mit dem Boot hinaus und das ungute Gefühl verstärkt sich, denn Daniels Gesichtsausdruck sieht immer wieder abwesend aus, als wäre er in Gedanken weit weg. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und breche das Schweigen. »Was ist los?«, frage ich, als wir ein Stück von dem belebten Teil weg gerudert sind. Daniel seufzt und sieht mir in die Augen, so viele Emotionen sind in ihnen zu lesen, ich kann seine Zuneigung und Liebe zu mir erkennen, aber auch Sorge steht darin geschrieben, und ich habe das unweigerliche Gefühl, dass mir das, was er gleich sagen will, nicht gefallen wird. »Es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss.« Was jetzt wohl kommen mag? Langsam mache ich mir wirklich Sorgen und ich beobachte, wie er sich durch die Haare fährt, was er immer tut, wenn er nervös ist. »Azzael ist der Grund, warum ich nicht zurück in den Himmel kann. Er hat ein Siegel erstellen lassen, das mir den Zugang zum Himmel verwehrt. Ein Siegel kann nur von einer menschlichen Seele erstellt werden. Er muss sich eine Seele aus dem siebten Himmel geholt haben, anders kann ich es mir nicht erklären.« Der siebte Himmel? Das hört sich doch gar nicht schlecht, an finde ich, immerhin kommt sie nicht aus der Hölle. Doch sofort unterbricht Daniel meine positiven Gedanken mit der nächsten Aussage. »Der siebte Himmel ist das, was ihr hier unten im allgemeinen als Hölle bezeichnet.« Erstaunt hebe ich die Augenbrauen. »Die Hölle ist im Himmel?« Daniel lacht und es ist das schönste Geräusch, das ich seit langem gehört habe. »Es ist nicht wirklich eine Hölle. Es ist der siebte Himmel. Das heißt, dort kommen die Seelen hin, die auf der Erde große Schuld auf sich geladen haben. Jeder erlebt den siebten Himmel anders. Es ist für jeden so, wie in seinem persönlichen Alptraum zu leben, auch muss man immer wieder das Leid durchleben, das man zu Lebzeiten seinen Mitmenschen angetan hat.« Was wohl mein persönlicher Alptraum wäre? »Und was hat diese Seele genau gemacht?«, frage ich nun, um zu verstehen, was Daniel davon abhält, in den Himmel zu gehen. »Sie hat ein Siegel erstellt, das dafür sorgt, dass sich die Himmelstüren für mich verschließen. Und solange Azzael an der Macht ist, wird sich das leider nicht ändern.« Geschockt schaue ich Daniel an. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, war Azzael der zweitmächtigste Engel nach Daniel, wie sollte man ihn besiegen, wenn Daniel nicht mehr in den Himmel zurück konnte? »Und gibt es im Himmel noch jemanden, der stark genug ist, um Azzaels Macht zu brechen?« Daniel schüttelt den Kopf, schaut mich aber mit einem undefinierbaren Ausdruck an. »Im Himmel nicht, aber auf der Erde.« Also kann doch nur Daniel gegen Azzael antreten und ihn entmachten. »Du bist die einzige Hoffnung und gerade du kannst nicht in den Himmel zurück.« Daniel schüttelt den Kopf. »Nein, Dawn. Nicht ich bin die einzige Hoffnung, sondern ein Mensch.« Verständnislos blicke ich Daniel an. Ich weiß wirklich nicht, was Daniel damit sagen möchte, und hoffe, dass er endlich mit der Sprache herausrückt. Daniel seufzt erneut, als würde er eine schwere Last mit sich herumtragen, die ihm die Luft aus den Lungen drückt. »Es gibt da doch dieses Schwert, das nur von einem Menschen benutzt werden kann.« Ich nicke, an das Gespräch erinnere ich mich noch sehr gut, aber dieses Detail mit dem Schwert habe ich vergessen. Doch jetzt wo Daniel es mir in Erinnerung gerufen hat, erinnere ich mich auch daran, dass Daniel sagte, dieses Schwert sei auch im Himmel. »Und ihr wusstet nicht, wer dieser Mensch ist«, beende ich meinen Gedanken laut. »Aber jetzt wissen wir es.« Als Daniel diese Worte ausspricht, sieht er nicht gerade sehr glücklich aus, dabei ist es doch eine wirklich gute Nachricht. Eigentlich müsste er sich doch freuen, sie wissen nun endlich, wie sie Azzael auf die Pelle rücken können. Das ist doch gut, oder nicht? Aber Daniel macht nicht den Eindruck, als wäre das etwas Gutes. »Und wer ist es? Oder wisst ihr noch nicht, wo dieser Mensch ist?« »Doch«, sagt Daniel mit einem bedauernden Lächeln. Er sagt mir jetzt bestimmt gleich, dass dieser Typ irgendwo am anderen Ende der Welt lebt und er mich deswegen verlassen muss. Dieser Gedanke versetzt mir einen Stich, doch ich versuche, mich bereits innerlich darauf vor zu bereiten. »Wir wissen, wo sie ist.« Sie? Das kann doch wohl nicht wahr sein. »Eine Frau soll diese Welt retten?«, in meinen Ohren klingt meine Stimme genauso ungläubig, wie ich mich fühle, immerhin kennen sich in der heutigen Zeit kaum noch Menschen mit dem Schwertkampf aus und diejenigen, die es doch tun, sind bestimmt nicht weiblich. Daniel nickt und sieht mir dabei fest in die Augen. Er verbirgt noch irgendetwas wirklich Wichtiges und ich werde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit mir zu tun hat. »Spuck es aus, Daniel! Was verschweigst du mir? ich kann dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.« Er lächelt mich entschuldigend an, ehe er zögernd weiter spricht: »Du bist diese Frau, Dawn.« Die Worte dringen nur ganz langsam zu meinem Gehirn durch. Was hat er da gerade gesagt? Er macht Witze. Ja genau, das alles ist ein Witz und dazu noch ein ausgesprochen schlechter. Ich lache, doch Daniels Miene ist ernst und mein Lachen bleibt mir im Hals stecken. »Kein Witz?«, frage ich und merke, dass meine Stimme ganz dünn klingt. Daniel schüttelt den Kopf. »Kein Witz«, sagt er leise und ich bin kurz davor auszuflippen. Mir entwischt wieder ein kurzer Lacher, doch dieses Mal klingt er eher verzweifelt. »Das kannst du nicht ernst meinen, Daniel.« Doch er scheint es todernst zu meinen, wenn ich seiner Mine trauen darf. »Es tut mir leid, Dawn. Ich wünschte wirklich, es wäre anders oder es gäbe noch eine weitere Möglichkeit, doch die gibt es leider nicht.« Ich muss mich erst einmal sammeln. In meinem Inneren tobt ein Aufruhr von Gefühlen und es ist, als würde ein Orkan in mir wüten. Ich weiß nicht so recht, wo ich hinschauen soll, deswegen blicke ich nur auf meine Hände, während mir tausend Sachen durch den Kopf gehen. Warum ich? Wie soll ich das anstellen, muss ich dazu in den Himmel, was passiert wenn ich es nicht schaffe und woher soll ich denn bitte wissen, wie man mit einem Schwert umgeht? Daniel berührt meine Hand und diese kleine Brührung reißt mich aus meinen Gedanken. Als ich aufschaue, sehe ich in Daniels tiefblaue Augen und die Welt um uns herum scheint zu versinken. In seinen Augen steht grenzenlose Zuneigung und Vertrauen geschrieben. »Du wirst das schaffen, Dawn! Und denk daran, ich bin immer an deiner Seite und werde dich auf keine Fall alleine lassen.« Ein Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht. Es tut wirklich sehr gut zu wissen, dass Daniel da ist. Dennoch weiß ich nicht, wie ich das schaffen soll. »Aber, Daniel, ich weiß nicht einmal, wie man ein Schwert hält, geschweige denn, wie man damit kämpft. Mal abgesehen davon, dass wir dieses Schwert noch nicht mal haben.« »Ja, das mit dem Schwert ist wirklich ein Problem. Für das andere habe ich bereits eine Lösung gefunden.« Daniel grinst mich an. »Nathaniel, zeig dich.« Neben Daniel erscheint ein Junge. Er sieht nicht viel älter aus als ich und hat braune Haare, die in einem ordentlichen Zopf auf dem Rücken zusammengeflochten sind. Seine braunen Augen blicken freundlich in meine und sein Gesicht ist genauso überirdisch schön wie das von Daniel. »Hallo, Dawn«, sagt Nathaniel mit einem Lächeln. »Ich bin Nathaniel. Eigentlich bin ich ein Schutzengel, aber ich bin auch ein Schwertmeister und werde dir beibringen, wie man mit einem Schwert kämpft.« Ich muss schlucken, bevor ich auch nur ein Wort heraus bekomme. »Hallo«, ist dann alles, was ich sagen kann, doch dann schaue ich Daniel an. »Ist er schon die ganze Zeit hier?« Daniel schmunzelt und schüttelt den Kopf. »Nein, er war zwar in unserer Nähe, aber nicht hier auf dem Boot.« Okay, ich denke, das muss ich nicht verstehen. Als ich Nathaniel erneut anschaue, schenke ich ihm ein Lächeln. Auch wenn ich nicht weiß, was das hier werden soll, so ist er doch da, um uns zu helfen, denn wenn Daniel ihm vertraut, dann kann ich es auch. Mein Blick sucht wieder den von Daniel. »Und du bist dir ganz sicher, dass es kein Fehler ist?« Daniel nickt und sagt: »Ja, sehr sicher.« Das letzte bisschen Hoffnung wird zerschmettert und ich lasse den Kopf hängen. Das Schicksal der Menschen soll also von mir abhängen. Ich fühle mich wie die Hauptfigur in einem Fantasy-Roman, nur habe

Dawns Liebe - Einmal Himmel und zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt