Kapitel 16
Immer noch starre ich Daniel an. Ich kann nicht fassen, was er da gerade gesagt hat. Daniel hingegen lächelt mich beruhigend an und ich fühle mich abermals wie ein Fohlen, das er beruhigen muss. »Ich werde es dir zeigen, komm her.« Er klopft neben sich, ich setze mich wieder an seine Seite und er wischt abermals mit der Hand über die Oberfläche des Wassers. Wieder sehe ich ein Bild, nur dass diesmal kein Engel oder ein anderes himmlisches Wesen erscheint, sondern ein Bild von mir. Es ist, als würde ich in einen Spiegel sehen, nur schaut mein Spiegelbild in eine andere Richtung. Es hat genauso braune Haare wie ich, die gleichen Augen, den gleichen Mund, das gleiche Gesicht. Sogar die Frisur ist meiner nicht unähnlich und da ist dieses Gefühl der Verbundenheit, während es gleichzeitig scheint, als würde ich eine Fremde sehen. Ich schaue Daniel an und spreche ohne zu überlegen. »Ich sah schon damals genauso aus wie jetzt.« Er lächelt mich an und nickt. Noch einmal schaue ich auf das Wasser, bevor ich mich wieder an Daniel wende: »Ist das immer so? Dass man genauso aussieht wie im vorherigen Leben?« »Nein.« Daniel schüttelt langsam den Kopf. »Es ist die eigene Entscheidung, ob man genauso aussehen möchte oder ein ganz anderes Äußeres hat, bei Letzterem hat man jedoch keinerlei Mitspracherecht, wie man nachher auf die Erde kommt. Dann hätten wir ja nur noch Supermodels. Du hast dich für dein früheres Aussehen entschieden, damit ich dich immer wiederfinden kann.« Er deutet mit dem Kopf auf das Wasser und sagt mir so, dass ich weiter zuschauen soll. Mein Spiegelbild bewegt sich und ich kann nun auch die Umgebung wahrnehmen, in der ich in der Vergangenheit laufe. Es sieht so aus, wie ich mir das Paradies vorstelle. Da sind wunderschöne Bäume, Weiden, Buchen und noch andere, eine nahezu unendliche Pflanzenvielfalt . Ein großer See dominiert die Umgebung. Das Wetter ist angenehm wie an einem Frühlingstag und die Farben sind so strahlend, als hätte ein Künstler sie dort sorgfältig platziert. Neben dem See steht ein malerisches Haus, wie ich mir immer mein Eigenheim vorgestellt habe. Es ist nicht groß, eher so wie ein kleines Cottage. Davor blühen unzählige Blumen verschiedener Arten in allen möglichen und unmöglichen Formen und Farben. Ich gehe einen gewundenen Weg entlang, der um den See führt und ebenfalls von den verschiedensten Gewächsen gesäumt wird. Mein Gesicht blickt ausdruckslos und ziellos umher, als wenn ich etwas suchen würde. Ich scheine irritiert und völlig verwirrt zu sein, ein gehetzter Ausdruck tritt in mein Gesicht, als ich mich umblicke und zu begreifen versuche, wo ich hier gelandet bin. Ein Engel tritt an meine Seite und versucht, mich zu beruhigen. »Keine Angst Mädchen, es ist vorbei. Du hast es überstanden und bist nun im Himmel. Aber du musst dich beruhigen, damit du weiterziehen kannst.« Er lächelt ein göttergleiches Lächeln, doch das scheint mich nicht zu beruhigen. »Himmel? Das kann nicht sein. Ich darf noch nicht tot sein!« Der Engel, den ich jetzt als Gabriel erkannt habe, legt mir eine Hand auf die Schulter, doch auch das scheint keine gute Idee zu sein, denn ich schüttele die Hand ab und gehe rückwärts, den Blick immer auf den Engel vor mir gerichtet. »Beruhige dich«, sagt Gabriel mit sehr sanfter Stimme. »Es hat alles seine Richtigkeit, du bist da, wo du im Moment sein solltest.« »A ... Aber meine Schwester! Sie braucht mich!« Den letzten Satz schreie ich förmlich hinaus. »Deine Schwester ist in guten Händen, vertrau mir.« Gabriel geht mit gehobenen Händen, als würde er sich ergeben, langsam auf mich zu. Doch ich gehe immer weiter zurück und merke dabei nicht, dass ich mich direkt auf den See zubewege. »Dawn, bleib stehen.« Nun klingt Gabriels Stimme leicht panisch, denn aus seiner Sicht kann er genau sehen, worauf ich mich zubewege. Ich schüttele entsetzt den Kopf, im gleichen Moment stolpere ich über einen Stein und falle rückwärts in den See. Die Szene wechselt und zeigt mich, wie ich auf einen weißen Boden falle, der unter mir sanft nachgibt. Überraschung zeichnet sich auf meinem Gesicht ab. Ich setze mich aufrecht hin und schaue mich um. Dieser Ort sieht so anderes aus als das Paradies, in dem ich mich eben noch befunden habe. Alles ist weiß und strahlt eine unglaubliche Ruhe und Friedlichkeit aus, ich fühle mich sofort wohler als noch vor wenigen Augenblicken. Auch scheint von diesem Ort eine wohlige Wärme auszugehen, die mein Innerstes erfüllt. Ich stehe auf und wandere einfach los. Dabei blicke ich immer wieder nach links und rechts, wo hohe Säulen im griechischen Stil aufragen und scheinbar bis in die Unendlichkeit reichen. Als ich nach oben schaue, kann ich sehen, dass der Himmel genauso blau ist wie auf der Erde, doch irgendwie scheint das blau viel klarer und leuchtender zu sein. Ich kann nirgendwo eine Sonne sehen, dennoch ist es so hell wie an einem strahlenden Sommertag. Als ich um die nächste Biegung gehe, bleibe ich vor Erstaunen stehen. Dort gibt es eine Art Lichtung, die von hohen Weiden gesäumt wird. In der Mitte steht der schönste Brunnen, den ich jemals gesehen habe, und davor steht ein Engel mit drei Flügeln auf dem Rücken. Eine Schwinge links, eine Schwinge rechts und eine Schwinge ragt direkt aus der Mitte hervor. Der Mann dreht sich um und starrt mich an. Über meine Wangen legt sich eine leichte Röte und ich bin unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Ich starre ihn einfach an. Aber auch Daniel scheint es die Sprache verschlagen zu haben, denn er mustert mich nur mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen. Einige Sekunden später hat er sich wieder gefasst. »Nanu, wer bist du denn und wie bist du hierher gekommen?« Er lächelt und dieses Lächeln vertieft die Röte auf meinen Wangen. »Ich bin Dawn. Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin«, sage ich und klinge dabei unsicher und auch verängstigt, obwohl dort doch Daniel vor mir steht. Daniel kommt auf mich zu und lächelt mich dabei an. Ich mache einen kleinen Schritt zurück, bleibe dann aber doch stehen. Er berührt meinen Arm, augenblicklich werde ich richtig rot und schaue zu Boden. »Komm, lass uns ein Stück gehen, Dawn.« Ich lasse mich von ihm führen und wir unterhalten uns. In seiner Gegenwart scheine ich aufzublühen und immer wieder werfe ich ihm schmachtende Blicke zu, wenn er mich gerade nicht ansieht. Mein Spiegelbild bekommt jedoch nicht mit, dass auch er mich die ganze Zeit verstohlen beobachtet und mein Anblick ihm immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Dann treffen wir auf einen sichtlich aufgeregten Gabriel. »Gott sei Dank, Daniel, du hast sie gefunden.« Daniel schmunzelt, als er sich an den anderen Engel wendet. »Dann hast du sie also verloren?« Ich blicke zwischen den Engeln hin und her und die Verwirrung steht mir ins Gesicht geschrieben. »Ja, ich wollte sie gerade beruhigen und in die Zwischenwelt einführen, aber sie war so außer sich und ihre Seele so unruhig, da ist sie in den See gefallen. Ich habe alle Himmel nach ihr abgesucht, doch sie ausgerechnet hier zu finden, habe ich nicht erwartet.« Daniel lächelt mich an. »Na, nun hast du sie ja gefunden.« Gabriel versucht, mich an den Arm zu nehmen und mit sich zu ziehen. Doch ich verstecke mich wie ein verängstigtes Kind hinter Daniel und klammere mich an seinen Arm. Den anderen Engel starre ich nur ängstlich an. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagt Daniel mit seiner samtweichen Stimme. »Gabriel ist der Wächter des Paradieses. Er wird dich an den Ort bringen, wo du hingehörst damit du zur Ruhe kommen kannst.« Ich schüttele nur den Kopf. »Der Einzige Ort, an den ich gehöre, ist dort, wo meine Schwester ist.« Ich klinge verängstigt und eingeschüchtert, werfe Gabriel aber trotzdem einen trotzigen Blick zu. Daniel schaut auf mich herab und wendet sich dann an seinen Freund. »Ihre Seele ist wirklich tief erschüttert. Was ist mit ihr passiert?« Gabriels Gesicht überschattet nun ein trauriger Ausdruck. »Sie wurde brutal ermordet.« Schockiert reiße ich die Augen auf. Daniel schaut wissend auf mich hinab, als wäre ihm durch Gabriels Aussage alles klar geworden. Er überlegt einen Moment, bevor er sagt: »Dann lassen wir sie doch erst einmal hier, bis sie sich beruhigt hat und ihre Seele genug Ruhe finden konnte, um weiter zu ziehen.« Gabriel sieht aus, als hätte Daniel eben vorgeschlagen, den Teufel persönlich in den Himmel zu holen. »Das ist strengstens verboten! Sie dürfte nicht mal hier sein, allein dafür könnte sie schon in den siebten Himmel verbannt werden.« Daniel lächelt. »Ich glaube nicht, dass der Allmächtige ein verirrtes Schäfchen gleich in den siebten Himmel verbannt. Sie bleibt hier. Sieh du es als ein Befehl von mir an, dann musst du auch nichts fürchten.« Unbehaglich schaut Gabriel zwischen Daniel und meinem anderem Ich hin und her. »Du bist der Boss hier, Daniel.« Er hebt einmal kurz die Arme, schüttelt den Kopf, dreht sich dann um und geht. Daniel lächelt mich an. »Dann komm mal mit, ich zeige dir, wo du solange bleiben kannst.« Ich lächele zaghaft zurück und wir gehen. Während Daniel mich führt, schaue ich mir die Umgebung an. Überall kann man diese hohen Säulen sehen, der Himmel scheint fast nur aus ihnen zu bestehen. Doch ich kann auch Türen erkennen, allerdings stehen sie frei in der Gegend, ohne von Wänden gehalten zu werden, und hinter ihnen scheint nichts zu sein. Auch Bäume sind überall zu sehen. Sie ähneln denen auf der Erde, nur dass diese hier oben weiß sind. Weiße Blätter, weißer Stamm, weiße Äste. Alles ziemlich seltsam und so farblos.
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Dawns Liebe - Einmal Himmel und zurück
FantasyDawn ist eine Einzelgängerin wie sie im Buche steht, sie hat nur eine Einzige Freundin, Caprice. Alle anderen meiden sie wie die Pest. Mit ihren siebzehn Jahren, hat sie sich bereits an dieses Leben gewöhnt und ihr dickes Fell hilft ihr, diesen Allt...