8. Von Marios Geheimnis

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In einer fließenden Bewegung nahm Marco meinen Pass an, drehte sich halb zum Tor und nagelte den Ball unter die Latten. Ich schrie ein Jubelschrei aus, der aber in Gebrüll der Fans unterging, und raste auf meinen besten Freund zu. Woody sprang mir lächelnd in die Arme und vergrub sein Gesicht in meinen Haar. "Ich liebe dich, Sunny.", raunte er mir ins Ohr.
"Ich dich auch.", antwortete ich ebenfalls leise. Marco hob mein Kinn an, schenkte mir ein verlegenes Grinsen und beugte sich langsam zu mir herunter. Ich schloss die Augen und stellte mich etwas auf die Zehen. Sein warmer Atmen Strich meine Lippen und.... ein lautes schrilles Geräusch riss uns auseinander. Ich riss die Augen auf und sah in Woodys entsetzten Gesicht bevor es langsam vor mir verschwamm und die unscharfen Konturen meines Fernseher auftauchten. "Aufhören!" Ich vergrub mein Kopf unter einen der Kissen und presste es mir gegen die Ohre. Frustriert kniff ich die Augen zu und versuchte zurück zukehren. Zurück zu Marco und somit auch nur zurück in meinen Traum - wie mir schmerzlich bewusst wurde - aber der ungebetenen Gast an meiner Haustür klingelte Sturm.
Mit einen leisen Stöhnen wälzte ich mich vom Sofa und schlurfte aus den Wohnzimmer. Auf den Weg in Flur warf ich einen Blick auf die Uhr und war sofort hellwach. 18:00, wahrscheinlich war Woody wieder da und der Gedanke steigerte meine Laune deutlich. Schwungvoll riss ich die Tür auf mit einen fröhlichen "Tut mir leid, Marco, bin eingeschlafen" und erstarrte. Vor mir stand nicht mein bester Freund. Nicht mal irgendein Freund. Vor meiner Tür stand mein größter Albtraum.
Panisch versuchte ich die Tür wieder zu zuschlagen aber er war schneller. Er stellte seinen Fuß dazwischen und drückte sie langsam wieder auf. 
"Mario, das ist aber nicht sehr nett. Willst du nicht seine Gäste rein beten?", fragte er fordernd und schob sich durch die Öffnung, die sich jetzt gebildet hatte zwischen Tür und Rahmen. Ich war wie erstarrt, beobachtete zitternd wie seine zwei treuen Freunde ihn folgten und versuchte die Panik zu unterdrücken. Erst als er mir die Hand mit Druck auf die Schulter legte, löste ich mich zusammen zuckend aus meiner Starre und flüsterte ein leises "tut mir leid, Joe, wird nicht wieder vorkommen."
"Schon gut, Kleiner." Er drückte sich an mich. "Das lernst du noch, jetzt wo ich wieder für dich da bin. Na dann, auf die früheren Zeiten, wir haben dich vermisst!"

Unsere ganze Schulzeit durch waren Joe und ich beste Freunde. Ich war mir sicher in blind vertrauen zu können und nichts unsere Freundschaft beenden konnte. Er war mein drittes Geschwisterkind gewesen und mein Fast-Blutsbruder. Die Nachmittage nach der Schule unternahmen wir zusammen und ich war mir sicher gewesen sein Zuhause besser zu kennen als mein eigenes.
In der siebten Klasse waren Bill und Leon dazu gekommen. Leiden konnte ich sie schon damals nicht wirklich, wir hatten uns eher schweigend akzeptiert für Joe. Trotzdem war damals noch alles gut gewesen und ich versuchte mich später auch immer wieder an diese Erinnerungen zu klammern um nicht an die schlechte Zeit danach denken zu müssen.
An meinen 18. Geburtstag erzählte mir Joe von der Bulimie seiner Schwester. Er machte sich keine Sorgen um Lara oder empfand Mitleid, das Einzige, was er zu ihrer Krankheit sagte war faszinierend. Zwei Wochen probierte er den Essensablauf seiner Schwester zu nachahmen, dann wurde es ihn zu langweilig. Joe wollte der Forscher und nicht das Versuchskaninchen sein und ohne es zu wissen, zog er mich in seine krankhaften Pläne mit hinein.
Ich hatte auch später nicht verstanden, wie er mich in diesen Teufelskreis rein gebracht hatte, doch plötzlich hatte ich nach unseren Gesprächen ungute Gefühle, fühlte mich unwohl und war mit mir selbst unzufrieden. Ich begann in mir nur noch Fehler zu sehen und wollte mich verändern. Irgendwann begann ich dann teils aufs Essen zu verzichten, meine Mahlzeiten fielen kleiner aus und Gegessenes erbrach ich wieder. Es war der richtige Weg, zumindest sagte Joe dies und versprach mir, mich immer zu unterstützen und für mich da zu sein.
Er trieb mich zu mehr Sport, so dass ich nach dem anstrengenden Training beim BVB mit ihn ins Fitnessstudio verschwand. Bill und Leon hatten uns grinsend beobachtet wenn wir uns abgerackert hatten und ihre Kommentare abgegeben. Meine Spitznamen waren in unseren kleinen Clique Schwabbel oder Fettbärchen gewesen, was mich nicht nur wütend machte sondern auch zum Weitermachen motivierte.
Es war das Mobben der Beiden und Joes zustimmenden Worte, die ich als Entschuldigung für mein Handeln nahm.
Schon bald ging es mir immer schlechter, ich war oft an weinen und verzweifeln. Doch jedes Mal war Joe da, tröstete mich und sprach mit neuen Mut zu, ich sollte bloß nicht aufgeben es wäre gut so. Wenn es mir besonders schlecht ging blieb er über Nacht bei mir und schon bald war ich von ihn so abhängig, dass ich noch nicht einmal ohne ihn einschlafen konnte.
Es hatte lange gedauert bis ich die Situation erkannt hatte und mich losreißen konnte. In den Wechsel nach Bayern hatte ich die einzige Möglichkeit gesehen wieder ein normales Leben zu führen. Meine größte Unterstützung war Marco gewesen, ohne, dass er etwas von meiner Geschichte wusste. Diese war und blieb mein großes Geheimnis. 

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