31. Von erschreckenden Recherchen und einen Termin

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Marco

Auch wenn ich heute kein Training hatte stand ich früh auf und nach einer erfrischenden Dusche verschwand ich mit einem kleinen Frühstück und meinen Laptop auf dem Balkon. Die Luft war warm doch duftete schon nach Regen, dessen Ankommen schwere graue Wolken nur bestätigten. Trotzdem beschloss ich fürs Erste draußen sitzen zu bleiben um den stickigen Räumen meiner Wohnung zu entkommen.
Ich hatte noch lange wach gelegen und über den gestrigen Tag nachgedacht. Das Gespräch mit André hatte sich so detailliert in meinen Kopf eingemeißelt, dass ich mir sicher war an jedes einzelne Wort erinnern zu können. Ich hatte mir zwei Dinge für den heutigen Tag vorgenommen. Zwei Dinge vor dem Treffen mit André. Die erste Sache war ein Termin mit dem Psychologen des Bvbs zu vereinbaren, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte. Es blieb das einzige Vernünftige, das hatte ich gestern verstanden. Das zweite, was ich mir vorgenommen hatte, war eine gründliche Recherche über Essstörungen. Auch wenn mir diese Krankheiten nicht ganz geheuer waren und ich immer noch innerlich hoffte, dass Marios Zustand woher anders kam oder nur eine Phase war. Jämmerliches, dummes Hoffen.
Google schlug mir neben mehr oder weniger informativen Artikeln auch verschiedene Teste vor, die einen eine grobe Diagnose über das Essverhalten gaben. Ich versuchte einen Test aus der Sicht von Mario zu machen, jedoch war es schon bei der Angabe von seinem Gewicht schwieriger als gedacht. Wie schwer war er denn jetzt überhaupt? Ich schätzte ungefähr, 61kg konnte das passen? Wohl eher noch weniger... Dann die erste Aussage "Meine Gedanken kreisen ständig um das Thema Essen, Figur und Gewicht", ja oder nein? Ich zögerte bevor ich schließlich bejahte. Mit den weiteren Fragen wurde es nicht einfacher, jede Antwort gab ich aus meinen Gefühl heraus, aber war das richtig für ein seriösen Ergebnis? Ein zweiten Test brach ich ab und stürzte mich stattdessen auf die verschiedenen Seiten über Essstörungen. Die Fakten waren erschreckend. Mehrfach las ich, dass mangelndes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, sowie ein zu hoher Leistungsanspruch Ursachen für eine Essstörung sein konnten. Drei Faktoren, die ich nach kurzem Überlegen alle auch Mario zuordnen konnte. Besonders nach der WM 2014 waren die Erwartungen an ihn um einiges gewachsen, nicht nur durch die Medien und den zahlreichen Fußballfans, sondern auch durch sich selbst. Oft genug setzte er sich unter immer mehr Druck, wenn ein Spiel mal nicht ganz so lief wie er wollte. Auderdem erfuhr ich, dass Essstörungen auch oft das Endergebnis waren, wenn man sich versuchte von anderen Problemen abzulenken und alles mit dem Essen ausmachte. Hungergefühl um von anderen Schmerzen auszublenden und Gedanken ums Essen und Abnehmen um über andere Themen nicht mehr nachdenken zu müssen. Ähnlich wie schon Schü es mir erklärt hatte.
Folgen waren neben den in Vergleich noch "harmlosen" wie Haarausfall, Herzrhythmusstörungen, Muskelschwäche, höheres Risiko zu Depressionen und Hirn-Atrophied, Schrumpfung des Gehirns.
Als ich nach einer halben Stunde meine Recherche beendete, hatte mich die Motivation vom Beginn des Tages verlassen. Wenn Mario wirklich an einer Essstörung erkrankt war, war es dann nicht schon zu spät? Was konnte ich schon tun?

Der Termin beim Psychologen hatte ich gleich für den heutigen Tag bekommen und auch wenn ich es erschreckend fand, wie schnell es ging und am liebsten wieder absagen wollte, wusste ich, dass es das beste war. Jeder Tag länger hätte mich nur noch mehr zum Zögern gebracht und letztendlich hätte ich den Besuch gar nicht mehr gemacht. Es war wie bei einen Pflaster, je schneller umso schmerzloser.
Ich hatte noch eine Stunde Zeit, eine Stunde um sich die schlimmsten Gespräche mit dem Psychologen auszumalen. War es nicht albern, wieviel Angst ich vor einem Menschen hatte, der mir nur helfen wollte?
Zweimal wählte ich die Nummer erneut um den Termin wieder abzusagen, doch jedes Mal konnte ich mich rechtzeitig zusammenreißen und wieder auflegen. Das einfache Warten tat mir nicht gut, also beschloss ich den Rest der Stunde mit Sport zu verbringen. Ein einfaches und dennoch effektives Ablenken. Während ich auf dem Laufband schwitze wanderten meine Gedanken wieder zurück zu all den Informationen, die ich heute gefunden hatte. Besonders die Ursachen brachten mich immer mehr zum grübeln. Essstörungen können aus Ablenkung entstehen, aber wovon wollte sich Mario abkenken? Wollte er sich überhaupt Ablenken? Vielleicht waren seine Ursachen doch auch eher das geringe Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl. Oder etwas ganz anderes? Es konnte letztendlich alles sein.
Der Timer auf meinem Handy klingelte: Zeit sich fertig zu machen um pünktlich zu kommen. In mir sträubte sich erneut alles. Viel lieber wollte ich weiterlaufen, meinetwegen für den Rest meines Lebens, alles besser als zu diesem bescheuerten Psychologen zu gehen. Wofür brauchte ich den eigentlich? Ich war nicht verrückt oder irgendwie krank, warum also? Aber da meldete sich ein kleiner, fast unscheinbarer Gedanke in mir, der mich letztendlich auch vom Laufband in die Dusche und letztendlich aus dem Haus trieb.
Er könnte dir mit Mario helfen.

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