15. Von Ratlosigkeit

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Andre

Stalken musste das langweiligste und ermüdendeste Hobby aller Zeiten sein. Mit schläfrigen Augen starrte ich weiter auf die Haustür. Bis auf einen großen Mann mit zwei Koffern hatte niemand das Haus verlassen, geschweige denn betreten. Ich beugte mich über das Steuer um Marios Küchenfenster in mein Blickfeld zu bekommen. Nichts. Nicht mal das Licht war angeschaltet. Das einzige was reagierte war mein knurrender Magen. Ein weiteres Mal kam mir der Gedanke meinen Posten aufzugeben und mir in der nächsten Bäckerei das erstbeste Brötchen zu kaufen. Aber ich blieb sitzen, falls was passieren sollte wollte ich direkt an Ort und Stelle sein.
Eine weitere Minute verstrich ohne, dass etwas geschah. Wahrscheinlich duschte Mario gerade um sich danach direkt ins Bett zu legen, während ich mir den Hintern wund saß. Mein Magen meldete sich erneut, lauter als davor. Schlecht gelaunt lehnte ich mich nach hinten, warum hatte ich einfach nicht mehr gefrühstückt heute morgen? Ich konnte jetzt nicht weg, wenn was passieren würde und ich wäre nicht gleich da, könnte ich es mir nie verzeihen.
Von Gefühlen - und Hunger- geleitet stieg ich dann doch aus und stiefelte zur Haustür. Mario würde mich hassen für diesen Kontrollbesuch, das wusste ich, aber wenn der Junge schlief konnte ich auch mein Gewissen beruhigen. Die Haustür war nicht nur angelehnt, nach dem Verlassen von den einen Mann war sie nicht mehr ganz ins Schloss gefallen. Ich schlüpfte hindurch, schloss sie hinter mir und rannte die Treppe hoch.

Einen Ersatzschlüssel für Marios Wohnung hatte ich immer in meinen Portemonnaie, da dieser dazu neigte wichtige Dinge zu verlegen und verlieren. Ich schloss auf und lauschte kurz bevor ich die Tür öffnete. Stille. Es war wirklich nichts zu hören. Irgendwie beunruhigte mich das, eilig trat ich ein und sah entsetzt auf das Chaos vor mir. Stühle waren umgestoßen, Blumentöpfe und Pokale verteilten sich auf den Boden zwischen Büchern und kaputten DVDs. Panisch sah ich nich um. Was war hier passiert?  "Mario?" Keine Antwort. Ich rannte zur Küche riss die Tür auf und starrte in die Leere des Raumes. Weiter ging es zum Schlafzimmer. "Sunny? Wo bist du?" Mit zitternden Händen riss ich die Decken vom Bett, innerlich betend, dass er in einen einem von ihnen eingerollt schlief. Aber es war nicht so. Wo war er? Waren Einbrecher da gewesen? Hätte ich es nicht bemerkt, wenn dies der Fall gewesen wäre? Ganz hinten sah ich Licht durch den Türspalt des Badezimmers. Ich stürzte mich auf die Klinke und riss sie auf. "Mario?"

Marco

Das Training war jetzt schon seit eine halben Stunde vorbei und langsam wurde ich unruhig. Keiner der Beiden war noch zum Training erschienen und es schien auch keiner auf die Idee zu kommen mir kurz eine Nachricht über die neuesten Ereignisse zu schreiben. Waren sie bei Schü oder Mario und redeten? Ich warf noch einen Blick auf mein Handy: nichts. Frustriert ließ ich es in meine Tasche verschwinden und verschwand dann endlich aus der sonst leeren Kabine.

Auf den Weg nach Hause ertönte dann endlich das ersehnte Klingeln meines Handys. Ich fuhr an den Straßenrand und durchsuchte hastig meine Tasche. Wo war das blöde Ding? Das Klingeln hörte auf und ich warf hastig die verschwitzte Kleidung heraus um dann endlich mein Handy zu finden. Auf dem Display meldete sich ein verpasster Anruf: Schü. Eilig rief ich zurück.
"Marco?"
"Ja, sorry, konnte nicht eher dran." Ich holte tief Luft. "Und was ist los?"
"Bitte komm einfach schnell zu Mario, ich brauch deine Hilfe."
"Ist gut. Bin in drei Minuten da."
"Bis gleich." Andre legte auf und ich warf mein Handy auf den Beifahrersitz und wendete. Ich musste mich wirklich zusammen reißen um nicht zu rasen und den Straßenverkehr zu gefährden. Was war passiert? Warum brauchte Andre meine Hilfe?
Bis zur Marios Wohnung brauchte ich wirklich nicht mehr als drei Minuten, trotzdem kam es mir wie eine Ewigkeit vor bis ich neben Schüs Auto parkte und klingelte. Die Sprechanlage knackte. "Ja?"
"Schü, ich bin es Marco."
Als Antwort öffnete sich summend die Tür. Aus reiner Gewohnheit, weil es Sunny schon so seit Ewigkeiten machte, wartete ich bis die Tür wieder ins Schloss fiel und rannte dann erst die Treppe hoch - drei Stufen aufeinmal.
Ein blasser und ziemlich verstreut reinblickender Schü erwartete mich vor der Wohnung schon. "Gut dass du da bist. Ich bin gerade am Aufräumen, Mario schläft."
"Aufräumen?" Sunnys Wohnung gehörte zu den ordenlichtesten Orten die ich kannte. Andre nickte nur müde und ließ mich eintreten. Weit ging ich jedoch nicht, schon nach ein paar Schritten blieb ich verstört stehen und starrte auf das Chaos, welches sich vor mir ausbreitete. Es sah aus, als wäre eine Kanone eingeschlagen. "Was ist passiert?"
"Ich weiß nichts genaues. Marco..." Ich sah wie Schü mit sich ring. "Also ... Mario, er .... ich ..."
"Was? Was ist mit Sunny?" Wieder war da dieses merkwürdige Gefühl.
"Er hat sich geritzt." Die Worte kamen einer  Explosion gleich. In mir brach alles zusammen,  ich torkelte zum Sofa und ließ mich auf die Kissen fallen bevor meine Beine nachgaben.
"Marco, hey" Schü drückte mich sanft.
"Warum?", flüsterte ich mit zittriger Stimme.
"Ich weiß es nicht. Es war irgendwie nicht ganz bei Sinnen hat was von Toe oder so ähnlich gefaselt. Ich habe ihn erstmal ins Bett verfrachtet, wo er auch gleich eingeschlafen ist."
Ich sah Andre bittend an. "Wäre es okay für dich, wenn ich kurz zu ihm gehe."
"Am besten legst du dich gleich daneben, du siehst nämlich auch aus als ob dir ein bisschen Schlaf gut tun würde."
"Danke." Ich lächelte leicht. "Weck mich aber etwas später wieder damit ich dir helfen kann."
Er nickte kurz und ich suchte mir durchs Chaos einen Weg zum Schlafzimmer.
Der Raum war abgedunkelt und ich konnte Marios Gestalt nur leicht unter der Decke erkennen. Ich schlüpfte aus Schuhe und Jeans und legte mich vorsichtig neben ihn. Sein Brustkörper hebte und senkte sich gleichmäßig und sein Kopf versteckte sich halb im Kissen. Ich strich ihn vorsichtig durchs Haar und küsste es ihm kurz. Es roch so Gut, so wie nur sein Haar riechen konnte. Ich krabbelte unter die Decke und suchte eine Position, in der ich den Kleinen gut beobachten konnte. Was ging in ihm bloß vor? Wie hatte es zu so einer Wandlung kommen können in dieser kurzen Zeit, die bis zum Ritzen reichte?
Mit diesen Gedanken schlief ich irgendwann ein.

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