30. Von Joes Kontrollausbruch

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"Das hast du doch mit Absicht getan!", brüllte mir Joe entgegen.
"Nein." Meine Stimme war leise und panisch, eine merkwürdige Mischung.
"Natürlich hast du es! Du hast allen den Leidenden vorgespielt, damit sie misstrauisch werden. Du willst dir doch nur eine Ausrede holen, damit du wieder essen kannst! Magersucht, ich glaub's nicht, als ob du Fettkloß eine Magersucht hättest!" Er lachte gespielt.
"Nein, das stimmt nicht. Ich will nur wieder beim Training mitmachen und sie werden doch sehen, dass bei mir alles in Ordnung ist und -"
"Du wirst diesen Test nicht machen!" Joes Stimme ließ die Wände erzittern. "Hast du das verstanden, Mario?"
Ich nickte ängstlich.
"Sie mich an und sag, dass du es verstanden hast!"
Das erste Mal, seit dem ich ihn von meinen Gespräch mit Watzke erzählt hatte, sah ich ihn an. Er hatte sich vor mir aufgebaut und wirkte noch größer als er es eh schon war. Sein Gesicht hatte weiße Flecken vor Wut und seine Ohren waren knallrot. Als Kind hatte ich es immer lustig gefunden wie sich bei Wut sein Gesicht und seine Ohren verfärbten und aus diesem Grund ihn manchmal extra aufgezogen. Aber in diesem Moment war an seinem Aussehen überhaupt nichts lustiges mehr dran, es machte mir nur noch mehr Angst.
"Ich habe es verstanden.", flüsterte ich und versuchte den Augenkontakt zu halten.
"Dann ist ja gut." Joe lächelte zufrieden und wendete sich von mir ab. "Wenn dein Training beim Verein ausfällt musst du eben in der Freizeit mehr für deine Figur und vorallem für deine Gesundheit machen."
Ich nickte gehorsam, auch wenn er es nicht sah.
"Ich werde für die nächste Zeit wieder bei dir einziehen um dich besser unter Kontrolle zu haben, deine Aktion beim Verein hat das Vertrauen zu dir wieder zerstört."
Ich wollte ihm widersprechen, sagen, dass ich wirklich nichts extra gemacht hatte, aber zu widersprechen hätte erst recht sein Misstrauen geweckt.
"Allerdings kann ich nicht mehr den ganzen Tag für dich verfügbar sein, ich habe zwei weitere Freunde, die wie du meine Hilfe in ein besseres Leben brauchen. Ich werde dir aber soweit es möglich ist immer jemanden schicken, der auf dich aufpasst."
"Wovor aufpasst?", fragt ich leise.
"Vor dir selbst natürlich.", antwortete Joe verächtlich schnaubend und drehte sich wieder zu mir um. Seine Gesichts- und Ohrenfarbe hatte sich wieder normalisiert und darum traute ich mich eine weitere Frage zu stellen: "Und wer wird auf mich aufpassen?"
"Ich denke Bill und Leon."
Diese Worte machten mir mehr Angst als ein wütender Joe. Ich merkte wie ich stark zu zittern begann. Bitte, das durfte nicht, nicht die beiden. Fast schon unbewusst gleiteten meine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Zurück in die Zeit, in der ihr Mobbing mich fast ganz kaputt gemacht hatte. Konnte es sein? Hatte ich vielleicht vor Bill und Leon mehr Angst als vor Joe?
"Hör auf damit, Mario, es nervt.",schnauzte Joe. Ich versuchte zu gehorchen, mich vergeblich wieder unter Kontrolle zu kriegen. Joe seufzte auf, dann kam er mir näher und nahm mir beruhigend in den Arm. "Ist ja gut, Kleiner, wie kriegen es doch schon hin, dein Fehler bügeln wir schon wieder aus. Ich helfe dir, dafür bin ich doch da."
Und da war der Joe, den ich solange vermisste hatte. Mein fürsorglicher bester Freund, der mich nicht mit meinen Problemen alleine ließ. Diese einfachen Worte von ihm entspannten mich wieder, noch viel mehr, sie machten mich glücklich. Es war eine Belohnung für mich. Zögernd ließ ich mich in seine Arme ganz fallen. "Danke Joe.", sagte ich leise. "Danke, dass du mich nicht alleine lässt und tschuldige, dass ich immer wieder aufs Neue Probleme bereite. Ich will dich wirklich nicht mehr enttäuschen."

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