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,,Mirae? Mirae!? Was zum Teufel ist mit dir los. Du bist heute total unkonzentriert!", schimpft Sehun und nimmt mir die Tube mit der Tinte aus der Hand, die ich soeben in das falsche Regal einräumen wollte. Ich würde gern behaupten, dass alles in Ordung wäre, aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Seit dem Wochenende bin ich total abgelenkt. Meine Gedanken schwirren um den Samstagabend, besser gesagt was da vorgefallen ist. Nicht nur ich habe ihn geküsst, sondern er mich auch. Ich weiß nicht, was mit uns durchgegangen ist und will eigentlich nicht darüber nachdenken. Aber es geht nicht anders. Wie schon vermutet, habe ich ein schlechtes Gewissen, welches mich nicht in Ruhe lässt und dafür sorgt, dass ich mich nicht richtig auf meine Arbeit konzentrieren kann. Und das obwohl Marion und ich noch nicht einmal so lange zusammen sind.

,,Es tut mir leid Sehun. Ich pass jetzt besser auf", entschuldige ich mich und nehme die nächste Tube in die Hand. Diesmal achte ich darauf, sie wirklich in das richtige Regal zu stellen. Aber erneut werde ich von Sehun aufgehalten: ,,Nein. Du wirst jetzt nach Hause gehen, und dir deinen Gedanken klar werden. Ich weiß nicht, was am Wochenende vorgefallen ist und es ist mir auch egal. Aber wir brauchen dich hier zu einhundert Prozent. Wir können uns keine Fehler erlauben. Also nimmst du dir Urlaub und klärst deine Probleme." Sehun ist nicht sauer. Aber er macht sich Sorgen, nicht nur um mich, sondern um den Ruf von diesem Studio. Er hat ja Recht. Wenn ich Fehler mache, dann leidet unser Studio darunter und das können wir uns nicht erlauben, denn wir zählen zu den besten im Land.

,,Ich kann hier nicht weg. Kim würde ausrasten und mich zurück holen. Außerdem habe ich Termine", stelle ich fest und versuche nun die dritte Packung Tinte einzuräumen. Diese schafft es auch in das Regal, nur leider in das falsche. ,,Das regel ich schon. Aber es ist wichtig, dass du alles klärst. Geh und sorge dafür, dass du wieder bei einhundert Prozent bist", zwingt er mich förmlich. Ich kann es nicht richtig fassen. Nicht er ist mein Boss sondern anders herum, und dennoch verhält er sich so. Aber das ist auch das gute an ihm. Er lässt sich von mir nicht immer etwas sagen. Wenn es darauf ankommt bleibt er standhaft und kann mit mir umgehen, denn ich bin auch nicht perfekt und mache Fehler. Den nächsten versuche ich jetzt zu umgehen, indem ich auf Sehun höre und widerwillig nach Hause gehe.

Wie zu erwarten komme ich in meinen vier Wänden aber auch nicht zur Ruhe, sondern habe nur noch mehr Zeit über meine Fehler und die schrecklichen Gefühle nach zu denken. Überall wo ich hinschaue, sehe ich Ji Yong und mich, wie wir uns küssen und daneben stehen Marion und Eun-Mi, die nicht glauben können, was sie da sehen. Es wird auch nicht besser, wenn ich versuche an etwas anderes zu denken. Die Gedanken und Vorstellungen werden nur noch realistischer und infizieren meinen Verstand.

,,Okay das reicht!", sage ich zu mir selber um endlich diesem Graus ein Ende zu setzen. Ich werde jetzt zu Marion gehen um sie aufzuklären und ehrlich mit ihr zu reden. Es bringt nichts gutes mit sich, alles zu verschweigen und wie unnötigen Ballast mit mir herum zu schleppen. Ich mache mich mit den Schuldgefühlen nur selber fertig. Vielleicht sind diese weg, wenn ich erst einmal mit Marion geredet habe und sie mir verzeiht, oder die ganze Situation als weniger schlimm einschätzt.

Ich lasse mir Zeit um bei Marion in der Kanzlei anzukommen. Ich weiß, dass sie nicht zu Hause ist. Es ist Montag mitten am Tag, da ist sie arbeiten, so wie ich es eigentlich auch sein müsste. Und dennoch probiere ich es bei ihr zu Hause. Manche würden sagen, ich will das Gespräch nur heraus zögern, so ist es auch. Aber es besteht doch immer eine minimale Chance, dass sie doch nicht in ihrem Büro ist. Aber wie zu erwarten macht mir bei ihr zu Hause niemand auf. Also schlendere ich zur Adresse, die mir Marion einmal per Nachricht geschickt hat, falls mal etwas sein sollte, wie zum Beispiel heute.

Vorsichtig betrete ich das Gebäude, an welchem ich angekommen bin und schaue mich in Ruhe nach irgendwelchen Schildern um, die mir ganz sicher den Weg weisen können, da ich mich sonst in den Gängen verlaufe. Nach kurzem Suchen finde ich auch Schilder und befinde mich wenige Augenblicke später vor einer Tür, an dem der Name meiner Freundin, wahrscheinlich eher noch Freundin, steht.

Ich klopfe an und warte auf das 'Herein' von der, mir nur allzu gut bekannten Stimme. Langsam drücke ich die Tür auf Strecke erst einmal den Kopf herein, wodurch ich Marion an ihrem Schreibtisch sitzen sehe. Als sie von ihren Unterlagen aufschaut und mich entdeckt, kann sie ihr Grinsen nicht mehr kontrollieren. Sie scheint sich über meinen Besuch zu freuen, noch.

,,Mirae komm rein und setzt sich doch. Was führt dich in mein kleines Reich?", fragt sie. Ich mache das, was sie mir sagt, ohne meinen Grund für den Besuch zu nennen. Ich will nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und ihr sofort die gute Laune vermiesen, denn sie scheint heute wirklich gut drauf zu sein. ,,Wieso die gute Laune?", will ich daher wissen, weil es mich wirklich interessiert, was mit ihr ist, warum sie so glücklich ist.

,,Wir beide, gehen heute Abend auf ein Konzert und danach eine Kleinigkeit essen. Es sollte eigentlich eine Überraschung werden, aber da du jetzt nun einmal da bist kann ich nicht widerstehen, es dir schon jetzt zu verraten", erklärt sie. Dabei glänzen ihre Augen, als ob es das beste Vorhaben auf der gesamten Welt ist. Sie freut sich so sehr darauf, mit mir den Abend zu verbringen. Wenn ich ihr jetzt sage, was ich eigentlich wollte, dann wird sie mich erst Recht nicht verzeihen. So schweige ich also und tu so, als ob ich mich tierisch auf den Abend freue, denn in Wahrheit ist mir überhaupt nicht danach Musik zu hören, möglicherweise noch zu tanzen und Marion dir heile Welt vor zu spielen.

,,Super ich freu mich drauf. Dann gehe ich am besten jetzt nach Hause um mich ein bisschen frisch zu machen." Ich stehe auf und klatsche dabei in die Hände. Mein aufgesetztes Lächeln tut langsam weh und ich weiß nicht, wie lange ich es noch aushalte. ,,Aber du wolltest mir doch auch noch etwas sagen", unterbricht Marion mein schnelles Abhauen. Doch ich winke nur ab und meine, dass es bis morgen oder so auch noch Zeit hat.

Also flüchte ich so schnell wie möglich aus dem Büro und letztendlich auch aus dem großen Gebäude, um meine Gefühle an der nächst besten Mülltonne auszulassen. ,,Verdammt!", rufe ich und trete gegen das Metall, was an meinem Fuß mehr Schaden verursacht als als an dem Behälter. ,,Glaubst du, die arme Mülltonne kann deine Probleme lösen, nur weil du sie malträtierst?", macht sich jemand hinter mir über mich lustig. Ein Blick über die Schulter verrät mir erst einmal gar nicht, um wen es sich handelt, da die Person ein total eingehülltes Gesicht hat. Mir ist auch im Moment völlig egal, wer sich hinter diese Maskerade steckt, weshalb ich mich einfach nur wieder umdrehe, um den Weg nach Hause fort zusetzten.

,,Mirae, warte! Das war doch nur ein Scherz." Es überrascht mich sehr, auf einmal Taehyun vor mir stehen zu sehen. Er hat seinen Mundschutz abgenommen und lächelt mich an. Ich zwinge mich zurück zu lächeln. Eigentlich freue ich mich ja auch, ihn zu treffen. Aber ich habe jetzt keine Zeit für Taehyun, da ich mich schließlich für ein Date fertig machen muss.

,,Du bist ziemlich gestresst oder?" Auf seine Frage nicke ich nur und setzte mich langsam wieder in Bewegung. Mein Freund läuft neben mir her und kickt immer wieder einen Stein von seiner ursprünglichen Stelle weg. ,,Ja, ich bin gestresst, weil ich jetzt auf ein Date muss, auf welches ich gar keine Lust habe, weil ich mich mit der Person eigentlich aussprechen muss und jetzt so tun muss, als ob alles in Ordnung wäre!", erzähle ich aufgeregt ohne Luft zu holen. Es ist das erste mal, seit dem Wochenende, dass ich mit jemanden darüber rede, wenn auch nicht bis ins kleinste Detail erklärt.

,,Dann geh doch nicht", meint Taehyun und zuckt mit den Schultern. ,,Du hast leicht reden. Wenn ich nicht auf dieses Konzert mit gehe ohne einen Vernünftigen Grund zu haben, dann brauch ich gleich gar nicht mehr ankommen, glaube ich." Wir biegen in eine kleine Straße ab, die eine Abkürzung zu mir ist. Diesen Weg gehe ich ziemlich oft, meistens wenn ich keine Lust habe, von Kameras eingefangen zu werden.

,,Dann sagst du halt, dass ein guter Freund von dir ganz dringend Hilfe brauchte, weil er sich seinen Fuß gebrochen hat", lacht er. Ich schaue ihn nur belustigt an und schüttle den Kopf. Was er so für eine Fantasie hat, ist schon komisch. ,,Und wer sollte sich denn den Fuß gebrochen haben", frage ich. Im nächsten Moment erschrecke ich ziemlich, da Taehyun neben mir ganz plötzlich zusammen sackt und auf schreit. ,,Oh Gott Taehyun was ist denn jetzt los?", schreie ich förmlich vor Schreck und lasse mich neben ihn fallen. Mein Freund lacht auf dem Boden und stützt sich auf den Unterarmen ab. ,,Ich habe mir gerade den Fuß gebrochen. Jetzt musst du mich pflegen Mirae, weil du dran Schuld bist."

,,Warum bin ich Schuld?" Krampfhaft überlege ich, ob ich wirklich etwas gemacht habe. Ich habe ihn nicht angerempelt oder geschubst, noch ihm das Bein gestellt. ,,Ja du hast mich abgelenkt. Da habe ich mich nicht mehr auf meine Füße konzentriert", erklärt er. Ich schlage ihm lachend auf die Brust und helfe ihm hoch. Taehyun hat hiermit offiziell meinen Abend gerettet, er wird mich ablenken und für gute Laune sorgen.

ᶜʰᵃⁿᵍᵉᵈ ˡᵒᵛᵉ  ɢ-ᴅʀᴀɢᴏɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt