Der Grund zu handeln

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JACK

Bunny hat Recht.

Drei Wörter, die in meinem Kopf herumgeistern, und sich schließlich zu einem Entschluss zusammengefügt haben.

Es ist Zeit, die Fakten zu akzeptieren, und nicht länger in der Vergangenheit zu leben. Ja, der Mond hat Elsas Erinnerungen und ihre Gefühle für mich genommen, aber das heißt noch lange nicht, dass das auch so bleiben muss. Was es wirklich heißt, ist, nicht länger feige in Selbstmitleid zu versinken, sondern die Ärmel hochzukrempeln und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Es heißt, Elsa zurück zu gewinnen, und zwar auf die altmodische Art - schließlich hat sie sich schon einmal in mich verliebt. Fakt ist auch, dass ihre Erinnerungen noch irgendwo sein müssen. Die Erinnerungen jedes Hüters waren bei Tooth gespeichert und 19 erfüllte Jahre verschwinden nicht einfach, und da Tooth sie nicht hat, können sie nicht in dieser Welt sein. Das ist nur logisch, da ausnahmslos alle Erinnerungen aller Kinder dieser Welt bei ihr landen. Tja, nun ist Elsa aber nicht von dieser Welt, was nur einen logischen Schluss zulässt:

Ihre Erinnerungen sind in Arendell.

Diese Erkenntnis kam mir gestern Nacht, nachdem Bunny gegangen war, und ich mit meinen Gedanken alleine blieb. Und während die Waldtiere sich langsam wieder aus ihren Verstecken heraustrauten, wurde mir klar, dass der Schlüssel zu Elsas Erinnerung direkt in ihrer Vergangenheit liegt - in dem Weg nach Arendell. Das einzige, was ich dafür brauche, ist ein Mondstein - wie ich den blauen Kristall des Amuletts getauft habe - und eine neue Ausgabe des verbannten Buches.

Uns bis ich das gefunden habe, gewinne ich Elsa, so wie jeder Junge sein Mädchen für sich gewinnt, zurück - mit Liebe.

ELSA

Überraschender Weise schlafe ich tief und fest die ganze Nacht. Ich hätte beim besten Willen nicht gedacht, dass ich diese Nacht überhaupt ein Auge zu tun würde, aber der Tag war offenbar so erschöpfend, dass ich noch in der Sekunde, in der mein Kopf das Kissen berührt hat, eingeschlafen bin.

Als sich die Hüter verabschiedet haben, um wieder ihren Pflichten nachzugehen und ich die meisten Antworten auf meine Fragen kannte, hat mir ein Wichtel in Norths' Auftrag mein Zimmer gezeigt, in dem ich für's Erste wohnen sollte. Und obwohl noch so viele Gedanken in meinem Kopf kreisten, bin ich sofort eingeschlafen. Erst das Klingeln einer kleinen Wichtelmütze weckt mich und ich murmele meinem Wecker ein verschlafenes „guten Morgen" zu. Pflichtbewusst stellt er einen Teller halbmond-förmiger Kekse - Vanillekipferl, wenn ich mich recht erinnere - ab und marschiert hinaus. Ich gönne mir noch einen Moment liegen zu bleiben, um mir zu überlegen, wie ich mich am besten verhalten sollte. Bestimmt werde ich die Anderen gleich beim Frühstück treffen, und dort werde ich ihnen auch erklären müssen, welchen Entschluss ich gefasst habe. Sie haben vollkommen Recht, wenn sie sagen, dass sie mich gestern mit dem Schwur zur Hüterin überrumpelt haben. Natürlich werde ich nicht blind zusagen. Ich denke, ich werde es wie Jack machen und erst einmal mit eigenen Augen sehen, was es heißt, eine Hüterin zu sein und erst dann entscheiden, ob ich wirklich eine von ihnen werden möchte.

Als ich aus dem Zimmer trete, lande ich in einem langen Gang mit weiteren Türen rechts und links von mir. Seufzend versuche ich, mich zu entscheiden, welchen Weg ich zuerst probiere, als mir rechts von mir etwas Glitzerndes auffällt. Auf dem Boden der Tür nebenan ist Eis.
Woher ...?
Ich gehe näher heran, bis ich genau vor der Tür stehe. Das Eis kommt ganz sicher aus dem Raum dahinter. Noch während ich überlege, einfach hineinzugehen, schwingt die Tür nach innen auf und jemand tritt so schwungvoll heraus, dass er ungebremst in mich hineinläuft. Ich sehe mich schon auf dem Boden liegen, als ich in letzter Sekunde festgehalten werde.

„Entschuldige, ich - Elsa?"

Jack Frost starrt mich überrascht an, bevor er mich so geistesgegenwärtig aufgefangen hat.

„Was machst du hier?"

„Ich ...", beginne ich, überlege es mir dann aber anders. „Das gleiche könnte ich dich fragen." Er zieht die Augenbrauen verwirrt zusammen. „Ich wohne hier."

Er wohnt hier? Aber...? Durch den Spalt in der Tür linse ich in das Zimmer hinein. Nein, ich habe mich nicht getäuscht. Dort ist ganz klar das Glitzern von Eis zu sehen - und dort soll er wohnen? Das ist doch viel zu kalt für ihn, außer .... .

Mir kommt wieder in den Sinn, wie er im Globusraum meinte, er hätte den verängstigten Wichtel einmal eingefroren. In dem Moment habe ich mir nichts dabei gedacht, weil ich dachte, so etwas wäre normal. Erst nach den Gesprächen mit den Anderen ist mir aufgefallen, dass dem nicht so ist. Ich will ihn gerade auf das Eis ansprechen, als er meinen Gedankenprozess unterbricht.

„Und du ... ?", fragt er auf mein Schweigen hin.

„Ich auch. Direkt nebenan".

„North hat dir das Zimmer", er zeigt entgeistert auf meine Tür, „gegeben?!"

„Ähm... ja...?"

„Das ist...." Jack lässt den Satz unvollständig in der Luft hängen. Dann scheint er einen Entschluss gefasst zu haben, zieht er die Tür hinter sich zu und greift nach meiner Hand. Sofort beschleunigt sich mein Herzschlag, obwohl wir nur zügig den Gang entlang gehen. "Komm, wir gehen zu den anderen.", verkündet er und führt durch das Haus. Ich werde mir wohl nie merken können, welchen Weg ich wohin nehmen muss. Schon gar nicht, wenn Jack sie mir zeigt.

JACK

Mit Elsa hinter mir stoße ich die Tür zum Frühstücksstand auf und stürme hinein.

Was fällt North eigentlich ein, mir nicht zu sagen, dass er sie direkt neben mir einquartiert hat!

„Das ist nicht dein Ernst!", fahre ich ihn an, und es wird augenblicklich still im Raum. Bunny hat mitten in der Bewegung inne, die Möhre halb zum Mund geführt und selbst die Wichtel sind für einen Moment still. Ich muss offenbar genauso wütend aussehen, wie ich bin.

„Jack, was daran ist problematisch?" Er überspringt den Teil, dass er nicht wisse, wovon ich spreche, und kommt gleich zur Sache.

„Ja, weil ...." Ich stocke. Warum ist es denn so ein Problem? Warum rege ich mich so auf? Ich habe keine Ahnung.

„Jack.", lenkt Tooth meine Aufmerksamkeit auf sich und deutet mit einem Blick auf Elsa's und meine mit einander verschränkten Hände. Ich habe vollkommen vergessen, dass ich sie noch immer festhalte. Plötzlich ist mir die Situation unangenehm und ich merke, dass Elsa nervös das Gewicht von einem auf das andere Bein verlagert. Sie steht immer noch nicht gerne im Mittelpunkt, was für eine Königin natürlich unpraktisch ist. Vielleicht ist es aber auch nur eine angeborene Schutzfunktion, um ihre Kräfte zu verbergen.

Wie auch immer.

Meine Wut ist verpufft und ich verlasse wortlos den Saal, flüchte vor der Situation und mir selbst. Ich brauche einen ruhigen Ort, einen Moment zum Nachdenken, und so springe ich aus dem nächstbesten Fenster ins Freie und fliege auf das Dach. Hier wird mich so schnell niemand finden.

Obwohl es früh am Morgen ist, leuchten noch die Sterne über mir, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Am Nordpol ist das Winterhalbjahr angebrochen und die Sonne geht kaum noch auf. In Gedanken betrachte ich das Glitzern des mondbeschienenen Schnees und frage mich, was mit mir eigentlich los ist. Eigentlich ist offensichtlich, warum ich so aus der Haut gefahren bin. Ich war überfordert. Dass sie jetzt auf einmal so nah bei mir ist, aber gleichzeitig auch nicht. Dass sie das Zimmer neben mir bezieht und jeden meiner Gedanken sieht, auch die, die im Moment nicht für sie bestimmt sind. Zumindest nicht, solange sie vergessen hat, wer ich bin. Für sie bin.

Ich beginne, mir einzureden, dass alles halb so schlimm ist. Vielleicht habe ich damit sogar recht. Je eher ich einen Weg zurück nach Arendell oder Ihre Zuneigung zu mir finde, desto weniger Probleme habe ich. Ich sollte endlich wirklich handeln, statt immer wieder nur zu grübeln. Ruckartig springe ich auf und verlasse das Dach.

Ich habe mich bei jemandem zu entschuldigen.

Jelsa - Gefrorener Kuss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt