Neustart

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JACK

Es ist nicht schwer, Elsa zu finden. Das liegt nicht etwa daran, dass ich über meinen siebten Sinn spüre, wo sie ist, oder der Spur aus vereinzelt auf den Fensterscheiben blinkenden Eisblumen folgen müsste. Nein, selbst Bunny hatte erraten können, welchen Weg sie genommen hat. Es liegt ganz einfach daran, dass die Werkstatt der Dreh- und Angelpunk des Hauses ist, und sich Jeder irgendwann dorthin verläuft – besonders, wenn man wütend und orientierungslos ist.
Und genau darin liegt der Zauber dieses Hauses: Egal in welcher Situation man sich bis eben befunden hat, die Werkstatt verkehrt es ins Positive (und mal ganz ehrlich- was gibt es Schöneres als Spielzeuge, Wichtel und ganz viel Chaos?)
Selbst North ist der Meinung, der Trubel dort sei die beste Medizin – außer vielleicht Früchtebrot.

North soll Recht behalten. Als ich Elsa finde, steht sie staunend neben Carl – dem Yeti – und wird von einem blauen Flugzeug umkreist. Wenn Carl es gebaut hat, sollte es höchstwahrscheinlich rot sein.
Ein glückliches Lachen steht ihr ins Gesicht geschrieben, und ihre Augen leuchten. Mitten im Türrahmen bleibe ich wie erstarrt stehen, kämpfe mit dem bittersüßen Anblick, der sich mir bietet, und versuche, die Gefühle in mir herunterzuschlucken.

Zu sehen, wie sie zum ersten Mal die Magie von Weihnachten erlebt, wie die kleinsten Dinge sie zum Lachen bringen, ein Lachen, dass ich so sehr vermisst habe, und glaubte, für immer verloren zu haben, wie glücklich sie ist. Das alles erinnert mich so sehr an den Traum, den ich einmal gehabt habe, und macht mir schmerzlich bewusst, was ich nicht mehr habe.
Was mir der Mond genommen hat.
Unerwarteter Hass und Verbitterung branden in mir auf und vermischen sich mit dem scharfen Schmerz, als Elsa mich bemerkt und ihr Lachen gefriert.

Was habe ich getan, dass sie mich so wenig leiden kann?

Das wird schon wieder, rede ich mir selbst ein und überwinde beinahe zwanghaft meine Starre.

„Hey", beginne ich wenig geistreich. Elsa nickt kurz und sieht sich demonstrativ in der Werkstatt um. Ich bin nicht sicher, ob ihre Ablehnung auf mich persönlich oder unseren Überfall gerichtet ist. Ich bete für letzteres.
Carl grunzt vorwurfsvoll und dreht sich um.

„Was auch immer ich dir getan habe", murrte ich mehr zu mir selbst. Doch Elsa dreht sich beinahe sofort zu mir um. „Was ?"

Sie hört mir also doch zu. Innerlich grinsend fange ich vielleicht doch an, an mein Mantra zu glauben. Hoffen wir, dass ich es nicht versaue. „Ich wollte mich für den Überfall entschuldigen." Angenervt verdrehe ich die Augen. „Die Anderen sind manchmal so feinfühlig wie ein Rudel Yetis. Und ich... Tja, ich bin als letztes zu den Hütern gestoßen und habe wohl einfach gehofft, dass sie es nicht wie beim letzten Mal machen." Betreten betrachte ich meine Fußspitzen.

„Und jetzt haben sie dich vorgeschickt."

„Das kann man so nicht sagen", relativiere ich und ziehe eine Eisblume hinter meinem Rücken hervor. „Aber trotzdem: Entschuldigung."

 Vorsichtig nimmt sie die Rose entgegen. „Angenommen."

Einen Moment sagt keiner von uns Beiden etwas und ich überlege fieberhaft, was ich als nächstes sagen könnte, als Elsa das Schweigen bricht.

„Dieser Ort ist unglaublich." Staunend sieht sie sich um.

„Ja. Obwohl ich fast jeden Tag hier bin, finde ich es jedes Mal wieder erstaunlich, was North hier auf die Beine stellt."

Überrascht löst sie den Blick von einem kleinen fliegenden Heißluftballon und sieht wieder mich an.

„North macht all das hier?"

„Oh nein", antworte ich lachend und nicke zu den Yetis, „er hat genügend Unterstützung, die die Spielzeuge baut. Aber ja, er koordiniert das Ganze. Ohne ihn würde es den Ort nicht geben."

„Aber... -„ Sie lässt den Satz unausgesprochen stehen.

Ich beschließe, ihr ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

„Ich verstehe einfach noch nicht ganz, warum er das tut."

Aha. Der interessante Teil.

„Tja, das ist gleichzeitig einfach und schwer zu beantworten, und ich gebe zu, am Anfang konnte ich es auch nicht nachvollziehen", fange ich meine voraussichtlich längere Erklärung an. Elsa hört aufmerksam zu, auch wenn ihr Blick immer wieder wie magisch angezogen nach rechts und links wandert. Dabei kann ich mir ein kleines schiefes Lächeln nicht verkneifen, bevor ich weitererkläre. Sie ist zu süß, wenn sie von etwas fasziniert ist.

„Ein Hüter zu sein", fahre ich fort und lehne mich an einen Tisch mit blauen Nussknackern „war in meinen Augen ein lästiger, anstrengender Job. Ich war es gewohnt, immer zu tun, was ich gerade wollte, aber als Hüter hat man gewisse Verpflichtungen. Man muss sich um die Kinder kümmern, sie beschützen. Zum Beispiel, wie North es hier tut", ich deute auf die Werkstatt.
„Bunny schenkt ihnen Hoffnung, Sandy gibt ihnen Träume, Tooth bewahrt ihre Erinnerungen, North bewahrt das Staunen in ihnen und ich bin für den Spaß zuständig. Was uns ausmacht – unser Innerstes – geben wir an die Kinder weiter. Der Mond hat uns aus diesem Grund ausgewählt, wie er auch dich gewählt hat."

Jetzt habe ich ihre volle Aufmerksamkeit.

„Mit dem Spielzeug bewahrt er das Staunen in ihnen. Ich konnte es nicht glauben, dass man all das freiwillig machen könnte, aber dann bin ich eine Weile bei ihnen geblieben und habe gelernt, dass es jede Stunde Wert ist. Ich habe nie bereut, ein Hüter geworden zu sein, auch wenn es Konsequenzen hat. Die Kinder müssen an dich glauben. Tun sie das nicht, dann stirbt der vergessene Hüter."

Ich mache eine kurze Pause, um abzuschätzen, ob ich sie verschreckt habe, doch sie sieht noch genauso gespannt aus, wie vorher.

„Ich war sehr lange Zeit unsichtbar. Niemand – kein Mensch – konnte mich sehen, und erst durch meine Zeit bei den Hütern hat sich das geändert. Ich habe erkannt, was es wirklich bedeutet, ein Hüter zu sein, und dass die Kinder mir viel mehr zurück geben , als ich ihnen je schenken könnte. Dass es jede Sekunde wert ist, ein Hüter zu sein. "

Ich halte inne, selbst überrascht, wie die Worte aus mir herausgesprudelt sind, wie wahr sie sind. Ich hätte nicht damit gerechnet, mich so in Rage zu reden. Auch Elsa schien überrascht zu sein. Entschuldigend und etwas peinlich berührt lächele ich sie schief an und für einen Moment ist es, als gäbe es nur uns beide in der Werkstatt. Dann reißt North laut scheppernd die Tür auf und der Moment ist vorbei.

„Wo ist er nur wieder hingeflogen, dieser Nichtsnutz?", wettert North in Bühnenlautstärke. Damit bin dann wohl ich gemeint. Zu freundlich.

„Ich freue mich auch, Euch zu sehen, danke", merke ich trocken an.

„Ich habe gleichgesagt, wir sollten sie in Ruhe lassen", meldet sich Tooth wieder zu Wort und kommt hinter North hervor. „Aber auf mich hört ja wieder keiner."

„Papperlapapp!"

Tooth ignoriert ihn geflissentlich.

„Jack, mein Lieber, hast du ... ?"
Sie lässt den Satz unausgesprochen in der Luft hängen und blickt nun zu Elsa, als hätte sie sie eben erst erblickt. Sofort ändert sie die Richtung und fliegt stattdessen zu ihr.
„Hallo Elsa. Wir hatten nicht wirklich einen guten Start, und dafür möchte ich mich entschuldigen." Sie hält ihr die Hand hin.
„Ich bin Tooth."

Zögerlich, aber selbstbewusst, nimmt sie ihre Hand.
Das ist mein Mädchen, denke ich stolz, denn ich weiß wie schwierig es für sie ohne ihre Handschuhe ist. Ob mit Erinnerung oder ohne, es ist nie einfach, die Kontrolle zu behalten, und Elsa macht ihre Sache wirklich ausgezeichnet.
So gut, dass ich für einen Moment vergesse sie verloren zu haben.

Jelsa - Gefrorener Kuss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt