Schon fast November

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Sky

Ich hatte seit beinahe einer Woche nicht mit Luna gesprochen und auch nicht viel mit Paige, denn sie hielt eher zur Gegenseite. Heute war das Vorsprechen für die Rollenverteilung. In Vierergruppen. Und mit wem durfte ich spielen? Genau. Thor Odinson, Loki Laufeyson und Luna Melanie Williams. Ich vermisste sie, auch wenn ich mich in den Pausen beschäftigt hielt. Trotzdem würde ich nicht den ersten Schritt machen. Wir vier standen im Kreis auf der Bühne, die gelben Reclamhefte mit dem Text umklammert. „Also.", rief Shakespeare zu uns hoch. „Lysander und Demetrius sind gerade erwacht, nachdem Puck ihre Lieder mit dem Nektar der Blume beträufelt hat. Sie lieben nun nicht mehr Hermia, sondern Helena. Die wiederum ist überzeugt, dass sich die beiden gegen sie verschworen haben. Hermia kommt hinzu. Und bitte!" Bestimmt fühlte er sich gerade sehr cool. Luna ging überzeugend unsicher auf Loki zu. „Das Dunkel, das dem Aug sein Amt entzieht, macht, dass dem Ohr kein leiser Laut entflieht. Was uns die Nacht an Sehen lässt entbehren, ersetzt sie doppelt uns durch schärfres Hören. So war es nicht mein Auge, das dich fand, Lysander; nein, mein Ohr hat dich erkannt. Wie lieblos hast du mich verlassen dort?" „Wie konnt ich bleiben? Liebe zog mich fort." „Und welche Liebe könnt Lysander von mir treiben?" „Lysanders Liebe ließ ihn nicht mehr bleiben, schön Helena, die heller strahlt bei Nacht als jeder Stern, am Firmament entfacht. Was flogst du mir noch? Merk dir endlich dies: Ich hasse dich, drum wars, dass ich dich ließ."  Vor meinem inneren Augen sah ich den echten Loki diese Worte zur echten Luna sagen. Konnte sie sich nicht jemand anderen suchen? Ich wusste nicht, ob die Verletztheit in Lunas Blick echt oder gespielt war. „Du meinst nicht, was du sagst. Das kann nicht sein!" Das war dann wohl mein Stichwort. Obwohl es Helenas Worte waren und nicht meine, kamen sie von Herzen. „Ha! Sie ist auch verschworen mit den zwein? So sind sie alle drei verbündet nun, mir diesen Schabernack anzutun. Grausame Hermia, undankbare Freundin! Verbandest du, verschworst du dich mit denen, mich so zu quälen, mit so bösem Spott? Sind alle unsere heimlichen Gespräche, der schwesterliche Treueschwur und die Stunden, als wir die schnellfüßige Zeit verwünschten, weil sie uns trennte... all das vergessen? Der Kindheit Unschuld und der Schulzeit Freundschaft? Wir, Hermia, wie zwei kunstgeübte Götter schufen zu zweit mit Nadeln eine Blume, wir stickten sie, auf einem Kissen sitzend; wir trällerten ein Lied aus einem Ton, als wären unsere Hände, Körper, Stimmen und Herzen eins. So wuchsen wir zusammen, der Doppelkirsche gleich, zum Schein getrennt und doch in dieser Zweiteilung vereint. Zwei Beeren, schön geformt, an einem Stiel; dem Anschein nach zwei Körper, doch ein Herz, zwei Schildern eines Doppelwappens gleich in der Heraldik, das ein einziger Helm krönt. Und nun zerreißt du unsere alte Liebe und höhnst mit Männern deine arme Freundin? Das ist nicht freundschaftlich, nicht mädchenhaft; Du kränkst damit unser Geschlecht – nicht mich nur, wenn auch nur ich allein die Kränkung fühle."  Lunas Stimme zitterte ein bisschen. „Mich wundern deine aufgebrachten Reden, ich kränk dich nicht, doch scheint mir, du kränkst mich."  Luna, bitte. „Hast du Lysander nicht, um mich zu kränken, nachgeschickt und ihn angestiftet zu rühmen meine Augen, mein Gesicht? Und den Demetrius, deinen anderen Liebsten (der kurz davor mich noch mit Füßen fortstieß), mich Göttin Grazie, liebstes Kind zu nennen, schönäugig, himmlisch! - Warum sagt er das der, die er hasst? Und warum lügt Lysander, er lieb dich nicht (Wo du sein ganzes Herz bist!) und mir, grad mir, legt er sein Herz zu Füßen?! Doch nur mit deinem Willen, deinem Wissen! Bin ich auch nicht so begnadet wie du, so reich umliebt, so ganz vom Glück begünstigt, sondern so elend, ungeliebt zu lieben, - du solltest mich bedauern, nicht verachten." „Ich weiß gar nicht, was du alles meinst." „Nun gut, besteht drauf, heuchelt trübe Blicke und schneidet mir Gesichter hinterm Rücken, blinzelt euch zu, den guten Spaß treibt weiter, - ihr könnt damit noch großen Nachruhm ernten! Hättet ihr Mitleid, Lebensart, Erbarmen, ihr hättet mich nicht so zum Spott gemacht. Doch nun lebt wohl. Zum Teil ist's meine Schuld; bald wird Entfernung oder Tod sie tilgen." Da endlich schalteten sich Demetrius und Lysander ein. Über zwei Seiten stritten sie um Helena und beschimpften Hermia, die langsam realisierte, dass ihr Geliebter sie verlassen hatte. Das brachte sie dazu, ihre ehemalige Freundin zu beleidigen, die nicht lange brauchte, um zurück zu ätzen. Ich glaubte fast, Luna hätte Tränen in den Augen, als wir unsere letzten Sätze sprachen. „Meiner Treu! Das nenne ich mädchenhafte Sittsamkeit! Schämst du dich gar nicht? Meinen Mädchenlippen willst du ein ungeduldiges Wort entreißen? Pfui, du Betrügerin, du kleine Puppe!"  Von meinem blonden Dutt bis zu ihren dunklen Locken waren genau acht Zentimeter Größenunterschied. Luna holte Luft: „So? Kleine Puppe? Daher weht der Wind! So hat sie ihn also meine Statur mit ihrem hohen Wuchs vergleichen lassen und hat ihm ihre Länge aufgedrängt und ihn so erlangt mit ihrer langen Höhe! Und stehst du nun so hoch in seiner Gunst, weil ich so zwergenhaft und gar so klein bin? Wie klein denn? Sprich, du angemalter Maibaum, wie klein bin ich? So klein bin ich noch nicht, dass meine Nägel dir nicht an die Augen reichen."  Unser Part war zu ende. „Das reicht! Die nächsten!", rief Shakespeare in das Schweigen hinein. Luna und ich kletterten von der Bühne und staksten aufeinander zu. Ein paar Sekunden standen wir einander gegenüber. „Entschuldigung.", murmelten wir gleichzeitig und schwiegen dann verlegen. „Johnlock über alles. Weißt du doch, Lu.", flüsterte ich nach ein paar Sekunden. Sie schluchzte auf und wir fielen einander in die Arme. Unbeholfen tätschelte ich ihren Rücken. „Ich mag ihn nicht. Aber ich unterstütze dich." Mehr sprachen wir nicht darüber.

Falls jemand eine Quellenangabe braucht: Sammelband Shakespeare, übersetzt von Erich Fried. Wer das Stück nicht kennt: Zusammenfassung auf YouTube, leider auf Englisch, von Overly Sarcastic Productions : https://www.youtube.com/watch?v=sRxlrpoJivI


Sky

Am Mittwoch vor Halloween verteilte Shakespeare die Rollen: natürlich spielte ich die Helena und Luna die Hermia. Loki war Lysander, Hermias Liebhaber. Sie war im siebten Himmel. Dafür spielte Thor Demetrius, der am Ende Helena heiratete. Ich schielte zu dem blonden Hünen hoch und fand, dass es hätte schlimmer kommen können. Tara wurde Puck, einer der Jungen aus der zwölften König Oberon und Maria Königin Titania. Die Handwerker schrieben wir aus unserer Geschichte heraus, aus Nick Bottom, dargestellt von dem anderen Zwölfklässler machten wir einen Handlanger von Hermias Vater, gespielt von Phil Coulson. Clint wurde der Herzog und Natasha seine Verlobte.

Fangirlträume: Jahr mit den AvengersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt