⊶70⊷

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Jungkook Pov

Es fühlt sich unglaublich ungewohnt an von dem hellen Licht der Sonne geweckt zu werden. Das liegt daran, dass es das erste mal ist das ich mich erinnern kann mit aufgezogenen Gardinen aufzuwachen und keine bodenlose Panik zu verspüren. Statt mit zitternden Beinen aus dem Bett zu springen, die Gardinen zu zu ziehen und minutenlang zu weinen, weil sich mein Körper einfach nicht wieder beruhigt, drehe ich mich einfach auf die Seite und starre den Becher mit der braunen Flüssigkeit an, der neben mir auf der Kommode steht.

Das letzte woran ich mich erinnern kann ist bei meinen Eltern gewesen und einen heftigen Streit wegen allem, woran ich mich wieder erinnern kann, gehabt zu haben. Es fühlt sich für mich nach wie vor unwirklich an, es war beinahe normal mit dieser Erinnerungslücke von drei Jahren zu leben und nicht zu wissen, was vorgefallen ist, das hier ist also eine vollkommen neue Situation für mich.

Ich setze mich auf und nehme den Becher in die Hand, bei welcher sich die Flüssigkeit darin als Schwarztee entpuppt. Den muss Taehyung für mich gemacht haben, er muss auch derjenige gewesen sein der mich hierher und damit von dort weg gebracht hat, aber als ich den Becher an meine Lippen führe und einen Schluck daraus trinken will, muss ich leider feststellen, dass der Tee schon seit einer längeren Zeit hier stehen muss.

Angewidert verziehe ich das Gesicht, schlucke den kalt gewordenen Tee, an dem ich bereits geschlürft habe, allerdings hinunter statt ihn auszuspucken. Kochend heißes Wasser braucht eine ganze Weile um so kalt zu werden, es muss also länger her sein das Taehyung ihn gekocht und hierher gestellt hat und das wiederum bedeutet, dass ich mir nicht sicher sein kann, was in dieser Zeit bei ihm los war.

Bei meinen Eltern habe ich das Bewusstsein ganz plötzlich verloren, es war das gleiche Gefühl wie bei jedem anderen Switch, nur kürzer und schneller vorbei. Was ist wenn Hoseok in dieser Zeit hier war und Taehyung verletzt hat? Vielleicht steht der Tee auch bereits seit Tagen hier.

Panisch schlage ich die Decke beiseite und mache mir nicht einmal die Mühe mir eine Hose oder ein Shirt anzuziehen. Nur in eine Boxer gekleidet renne ich zur Tür und reiße sie auf, habe aber kaum einen Fuß nach draußen gesetzt als ich aus dem Augenwinkel bemerke, dass da jemand am Fenster steht und mit verschränkten Armen hinaus starrt.

Ich sehe nur seinen Hinterkopf, sein Gesicht ist mir vollkommen verborgen und doch weiß ich, dass etwas nicht stimmen kann. Die Art, wie er den Kopf gesenkt hält, die verschränkten Arme und die Tatsache, das er nach wie vor noch nicht bemerkt zu haben scheint, dass ich bereits wieder wach bin, deuten darauf hin, dass er gerade intensiv über etwas nachdenkt.

"Taehyung", sage ich sanft seinen Namen um ihn nicht zu erschrecken, leider schreckt er trotzdem zusammen und dreht sich verwundert nach der Stimme um. Er entspannt sich als er sieht das sie von mir kommt, lässt die Schultern wieder sinken und lächelt erleichtert.

"Hey." Seine Stimme ist leise, ich würde sogar behaupten schwach und müde. Beim Zwinkern schließt er seine Augen ein wenig zu lange und der Blick darin ist wie erwartet traurig.

Ich ignoriere die Tatsache das ich nach wie vor nichts weiter trage als eine Boxer, gehe mit großen Schritten zu ihm und nehme ihn in meine Arme. Mit den Fingern streiche ist zart seinen Nacken rauf und runter während ich mit meinen Lippen Küsse auf seinen Hals hauche.

"Möchtest du darüber reden oder einfach nur im Arm gehalten werden?"

Wir stehen eine Weile nur da, seine Hände in meinen Rücken gekrallt, sein Gesicht an meiner Schulter vergaben. Für mich ist das eigentlich die Antwort und ich nehme es ihm nicht übel. Menschen sind neugierige Wesen, meist aus unterschiedlichen Gründen und natürlich würde ich gerne wissen was ihm so sehr zu schaffen macht, aber ich würde ihn niemals dazu drängen es mir zu erzählen. Ich rechne auch gar nicht mehr damit das wir heute überhaupt noch reden, bis Taehyung allerdings tatsächlich anfängt zu sprechen.

"Namjoon war hier während du weg warst", sagt er noch leiser als davor und fährt sich mit der Hand über das Gesicht um die Tränen wegzuwischen, die er anfängt zu vergießen. Ich nehme seine Handgelenke in meine Hände und gehe ein wenig in die Knie um ihm in das gesenkte Gesicht sehen und sicher gehen zu können das er tatsächlich weint.

"Was ist passiert?", frage ich, nehme sein Gesicht in meine Hände und suche nach allen möglichen Anzeichen nach etwas das passiert sein könnte ab, etwas was ihn so durcheinander bringt, dass er sogar anfängt zu weinen.

Ich kann mir nicht vorstellen das Namjoon ihm etwas angetan haben könnte, dafür ist dieser viel zu friedlich und Gewalt verabscheuend. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten das er der Gewaltscheuste von allen Persönlichkeiten ist, mich mit eingeschlossen.

"Er ist weg." Seine Fingernägel bohren sich tiefer in mein Fleisch, seine Lippen beben und seine Augen hat er zusammen gepresst als er erneut anfängt zu weinen, noch stärker als vorher. "Namjoon ist gegangen."

Alles was ich tun kann ist sein Gesicht in meinen Händen zu halten während ich ihn ansehe und versuche mit der Zeit zu verstehen was das bedeuten soll. Das er ihm was getan hat kann ich also ausschließen, auch wenn das von Anfang an eher unwahrscheinlich war. Der einzige, bei dem ich diese Angst gehabt hätte, wäre Hoseok.

Es kann eigentlich nur eines bedeuten und dieser Gedanke hinterlässt bei mir aus mehr als nur einem Grund Verwirrung.

Zu aller erst hätte ich niemals damit gerechnet, dass es so bald nach der wiedererlangung meiner Erinnerungen zu einer Verschmelzung kommen würde und zum anderen hätte ich auch nicht erwartet das es sich so normal anfühlen würde. Nichts ist anders, keine deutliche Veränderung. Ich fühle mich so wie immer nach einem Switch, aber Taehyungs Tränen zeigen mir das ich das ganze nicht falsch verstanden habe. Er trauert tatsächlich um Namjoon, der für ihn ein Freund, fast schon wie eine zweite Vaterfigur war.

Ich lege eine Hand auf seinen Hinterkopf und drücke ihn wieder fest an meine Brust, wissend das er nicht richtig weinen und seine Trauer raus lassen kann solange ihn jemand dabei ansieht. Beruhigend streiche ich ihm über das Haar und drücke einen Kuss auf seine Stirn.

"Er ist nicht weg", sage ich und schließe die Augen. "Sie werden immer bei uns bleiben, selbst wenn sie es nicht mehr in meinem Körper tun. Sie werden nie vollkommen aus unserem Leben verschwinden, Taehyung."

Faces |Vkook|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt