⊶57⊷

1.8K 308 30
                                        

Taehyung Pov

Ich habe dunkle, verlassene Orte wie diesen hier noch nie gemocht, warum auch? Sie erfüllen einen mit Angst und man ist vollkommen alleine. Es geht nicht einmal darum das etwas passieren oder jemand mich verletzten könnte, das ist mein geringstes Problem. Es ist viel eher die Einsamkeit, in der man sich selber befindet und die einem noch klarer wird als sie es ohnehin bereits war.

Selbst der Himmel wirkt heute ohne Sterne so vollkommen verlassen, wie ein Meer ohne Boden, als könnte man darin versinken und doch erkenne ich bereits aus vielen Metern Entfernung, auch ohne die Hilfe des Lichtes von Mond und Sternen, Jungkook auf einen der beiden Schaukeln sitzen, den Sand anstarrend.

Ich weiß nicht ob er mich bemerkt hat und einfach ignoriert, oder ob er viel zu sehr in Gedanken versunken ist als das er überhaupt etwas anderes wahrnehmen kann als die Stimmen und Bilder in seinem Kopf. Natürlich möchte ich ihm helfen, ihm zur Seite stehen und ihm sagen das er mit mir reden kann, aber ich verstehe auch sein Verlangen alleine zu sein, sei es nun Jungkook oder Hoseok, wobei der erste hier wohl eher der Fall wäre.

Hoseok könnte niemals so ruhig sitzen bleiben, nicht wenn er wütend ist und das war er. Ich habe ja gesehen, wie er diese Wut an der Inneneinrichtung seiner Eltern ausgelassen hat und er hat sich auch ganz und gar nicht beruhigt gehabt als er aus dem Haus hierher gestürmt ist. Das hier kann nicht Hoseok sein, das hier ist Jungkook, darauf deutet sein ganzes Verhalten hin.

Die Art wie er den Kopf gesenkt hat, die Haare extra so dass sie ihm ins Gesicht fallen und ich es nicht sehen kann. Sogar seine Finger, den Mittleren über dem Zeigefinger gekreuzt, jedes mal wenn er sich stark auf etwas zu konzentrieren versucht. Das Jungkook wieder die Kontrolle über seinen Verstand hat muss wohl heißen, dass er sich mit der Situation abgefunden und beruhigt hat. Ich wusste das er daran nicht zerbreche würde.

Mit einem stolzen Lächeln um die Mundwinkel gehe ich näher an ihn heran und strecke die Hand nach ihm aus. "Du bist unglaublich mutig, Jungkook, selbst wenn du es selber nicht weißt. Ich sehe, wie du jeden Tag über dich selber hinaus wächst."

Ich Schlinge die Arme um ihn und muss noch breiter lächeln als er sein Gesicht direkt an meinen Bauch schmiegt und mich noch fester an sich drückt. Jungkook ist ein Mensch der Nähe, jemand der aus ihr Kraft heraus holt und ich bin jemand, der ihm diese nur zu gerne gibt.

"Die anderen glauben das nicht, sie denken sie schützen mich indem sie meine Erinnerungen von mir fern halten. Was ist wenn sie recht haben? Was ist, wenn die Wahrheit mich verletzt?"

Dass das ganze nicht einfach für ihn werden würde wussten wir beide von Anfang an, aber das hier ist das erste mal das er so offen an sich zweifelt. Ich dachte eigentlich immer Jungkook wäre sich dem bewusst was wir hier tun und das er akzeptiert hätte, dass seine Vergangenheit keine Gute-Nacht-Geschichte ist die Eltern ihren Kindern erzählen würden, deswegen bin ich kurz einwenig überrascht von diesen Worten, fasse mich aber schnell wieder.

Ich streiche ihm beruhigend mit meiner einen Hand durch das Haar während ich mit den Fingerspitzen der anderen seinen Rücken rauf und runter fahre. "Die Wahrheit wird dich verletzen, hundert prozentig, aber du wirst nicht daran zerbrechen, die anderen irren sich was das angeht. Sie wissen nicht wie stark du bist, sie kennen dich nur als den kleinen Jungen, der in seiner Angst und seiner Not sechs weitere Personen kreiert hat weil er nicht alleine damit umgehen konnte, aber der bist du nicht mehr."

"Und was ist wenn doch? Was ist wenn du dich in mir irrst?" Er krallt sich hinten an meiner Jacke fest, als würde es ihm schwer fallen diese Frage zu stellen und als würde ganz viel von ihr abhängen.

"Ich habe das schon mal gesagt, du musst die Wahrheit irgendwann erfahren. Niemand möchte sie, weil sie immer schmerzt, aber wie willst du sonst an ihr wachsen?"

Jungkook erwidert nichts mehr darauf, er ist vollkommen still während er über meine Worte nachzudenken scheint. Da ist nichts als die Stille, die uns umgibt und die das ernsthafte Gespräch noch düsterer wirken lässt als es sich ohnehin bereits angefühlt hat, dabei war es länger hinfällig das wir darüber sprechen. Bis jetzt haben wir es immer vor uns hin geschoben, wie etwas was schief gehen könnte wenn wir darüber sprechen, aber vielleicht merkt Jungkook so, dass er jemanden hat der an ihn glaubt, selbst wenn er es selber nicht tut.

Ich lächle vor mich hin und betrachte die Umgebung während Jungkook sein Gesicht weiter an meinem Pullover vergraben hält damit ich seine Tränen nicht sehe. Für mich ist es nichts schlimmes wenn er weint, ganz im Gegenteil. Tränen sind kein Zeichen der Schwäche, sie sind menschlich und letzendlich sind wir das alle. Wir sind Menschen, keine Maschinen, aber wenn Jungkook nicht möchte das ich ihn so sehe, dann akzeptiere ich das.

Erst nach einer Weile fällt mir das Bild auf, das ein Stück weiter hinter der Schaukel im Sand gemalt wurde. Wirklich auffällig ist es nicht, was auch der Grund ist warum ich es erst jetzt bemerke, aber es erinnert mich an irgendetwas.

Eine Weile stehe ich einfach nur da, streiche Jungkook durch das Haar und beobachte wie in Trance diese Zeichnung, die nur von einem Kind stammen kann, bis es wie ein Blitz in meinem Kopf einschlägt.

Das Bild stammt nicht von einem Kind, es gibt eine Person, die das Motiv der Sonne besonders gerne gezeichnet hat. In Hoseoks Tagebuch stand, dass sie sich ihr Leben lang gewünscht hat die Sonne zu sehen und das es ihr größter Traum ist ihre Strahlen irgendwann auf ihrer Haut zu spüren. Sie ist die einzige, die Jungkook so gut imitieren kann, dass sie selbst Jackson glauben gemacht hat sie sei er und beinahe hätte sie es auch bei mir geschafft.

Ich nehme meine Hand von Jungkooks Kopf runter und löse mich langsam aus seiner Umklammerung. Jetzt verstehe ich auch, warum er das Gesicht an meinem Bauch vergraben hatte, er wollte damit verhindern das ich ihm in die Augen sehe und erkenne das es nicht Jungkook ist mit dem ich rede.

"Sooyoung."

Faces |Vkook|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt