⊶73⊷

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Taehyung Pov

Sie sieht unglaublich friedlich aus, während sie neben mir auf der Wiese etwas abseits vom Krankenhaus sitzt und ihr Gesicht der Sonne entgegen streckt. Das Wetter ist tatsächlich schön, was ziemlich ungewöhnlich ist für diese Zeit im Jahr und in mir die Vermutung weckt, dass die Sonne nur für sie so hell strahlt, weil sie spürt, wie sehr Sooyoung sie liebt.

"Ich habe gehört, dass Menschen sich nicht an ihre Geburt erinnern können", sagt sie plötzlich in die Stille hinein, allerdings weiterhin ohne mich anzusehen. Ihr Blick ist starr gen Himmel gerichtet, die Brust hebt und senkt sich dank ihren ruhigen Atemzügen. Sie war in einen Autounfall verwickelt, offiziell verursacht durch einen Anfall, weswegen man Jungkook dafür keine Schuld geben wird, aber sie ist denoch so ruhig.

Wenn ich sie wäre, würde ich mir mehr Sorgen machen. Jungkook erleidet in letzter Zeit generell nur noch plötzliche Stwitchs, die ihn ganz ohne Vorwarnung und schmerzlos treffen. Irgendetwas verändert ihn und die Ruhe von Sooyoung, die ich vor einige Tagen erst bei Namjoon vernommen habe, lässt mich auch eine Vermutung daraus schließen.

"Bei mir ist es genau so. Ich weiß nicht mehr, wie es passiert ist, ich weiß nur noch das ich plötzlich da war. Eltern habe ich keine, aber ich habe einen Bruder, Jimin und das ist für mich genug." Sie lächelt glücklich und öffnet zum ersten mal seit Minuten die Augen um mich ansehen zu können. "Seokjin, Namjoon, Yoongi, Hoseok, Jimin und auch Jungkook sind meine Familie, mehr als ich mir in dieser Dunkelheit jemals zu erträumen gewagt hätte und du bist jetzt auch ein Teil davon."

Es ist unglaublich, wie viel lediglich die Persönlichkeit eines Menschen verändern kann. Vor mir sitzt Jungkook, es ist sein Gesicht, alles davon, aber es ist Sooyoung, die aus ihm spricht und irgendwie verschwindet das Bild von Jungkook jedes mal wenn eine andere Persönlichkeit auftaucht. Im Moment sehe ich ihre Blonden Haare, den Pony, den sie immer wieder zurecht zupft, die großen brauen Augen und dieses besondere Lächeln, das viel heller scheint als das Licht der Sonne.

Sie ist die Persönlichkeit, die ich als letztes kennen lernte, aber ich habe trotzdem das Gefühl zu ihr die engste Bindung zu haben. Sie ist älter als ich, zumindest wenn man von dem Alter in ihrem Tagebuch ausgeht, aber sie ist denoch irgendwie das kleine Mädchen, das damals im Keller all die Hoffnung aufgegeben und sich mit der Auswegslosen Situation angefreundet hat. Sie ist jemand, bei dem ich das Gefühl bekomme ich müsste sie beschützen.

"Es ist meine letzte Möglichkeit jemandem all die Dinge zu sagen, die ich schon immer mit jemandem teilen wollte." Ich rege mich kein Stück, als sie etwas von mir weg rückt und sich dann mit dem Kopf auf meinen Schoß legt. "Ich weiß, dass du ein Junge bist, aber für mich bist du meine beste Freundin, die ich nie hätte. Ist es in Ordnung, wenn ich dir einige Sachen über mich erzähle, die ich schon immer mit einer Freundin teilen wollte?"

Ich schließe kurz die Augen um die Tränen, die sich bilden, zurück zu halten und nicke dann langsam. Sie klatscht glücklich in die Hände und steckt mich mit ihrem Lächeln an. Ich weiß, was das hier werden soll, es ist genau sowie mit Namjoon, aber ich kann und will es nicht ändern. Alles was ich tun kann ist für sie schöne Erinnerungen an ihre Zeit mit mir und in diesem Körper zu schaffen.

"Mein größter Traum war es stets die Sonne zu sehen, das weißt du ja, aber vor allem der Sonnenuntergang hat es mir immer besonders angetan. Dank ihm hat sich Orange zu meiner Lieblingsfarbe entwickelt. Was ist deine Lienlingsfarbe, Taehyung?"

Es ist eine Frage, mit der ich bereits gerechnet habe, aber auf die ich trotzdem nicht vorbereitet bin. Ich hatte nie wirklich eine Lieblingsfarbe. Schwarz mochte ich schon immer, beim Thema Kleidung stand mir diese Farbe nämlich am besten, aber die Aussage mancher Menschen, dass das keine Farbe sei, hat mich irgendwann so sehr genervt, dass ich jedes mal sagte ich hätte keine. In letzter Zeit allerdings habe ich gemerkt wie es mir eine Farbe besonders angetan hat.

"Gold", sage ich und muss beinahe über ihren verwirrten Ausdruck lachen, der sich bei genauerem nachdenkt bei ihr Bilder.

"Warum Gold?"

Ich sehe sie an, direkt in in ihre Augen. "Jungkooks Augen sehen so aus als würden sie in dieser Farbe leuchten, wenn er glücklich ist."

Für einen Moment sieht sie mich einfach nur an, den Mund einen Spalt breit offen und die Augen ein wenig überrascht über diese Antwort, aber nur wenige Sekunden später verzieht sie angewidert das Gesicht.

"Du liebst ihn wirklich", sagt sie und entspannt dann langsam ihre Züge. "Eine Zeit lang habe ich mir einzureden versucht, dass Jungkook ein schlechter Mensch ist. Nachdem wir entkommen waren, hatte er nicht nur die Entführung und die Gefangenschaft vollkommen vergessen, sondern auch mich. Jetzt weiß ich aber, dass es nicht seine schuld war, ich bin nach der Entführung einfach nicht mehr aufgetaucht, er hatte keine Ahnung von meiner Existenz."

Sie wirkt tatsächlich gelassener als das erste mal, als ich ihr begegnet bin. Vielleicht liegt es daran, das sich ihr Wunsch mit der Sonne erfüllt hat oder aber auch der, eine Freundin gefunden zu haben mit der sie reden kann, auch wenn es komisch ist von mir selber in der weiblichen Form zu sprechen, es fühlt sich tatsächlich an als wären wir Freunde.

"Der Tod ist nichts neues für mich, nichts wovor ich mich jemals fürchtete, aber mir war es wichtig, nichts zu bereuen wenn es irgendwann vorbei sein sollte. Deswegen ist da etwas, was du für mich tun musst, Taehyung."

Damit bewahrheitet meine Vermutung sich endgültig. Sie spricht vom gehen, genau sowie es Namjoon getan hat bevor er verschwunden ist und genau sowie bei ihm fühlt es sich wieder viel zu unwirklich an. Ich drehe das Gesicht zur Seite damit die Tränen nicht auf ihr Gesicht Tropfen, die sich bei dem bloßen Gedanken daran wieder jemanden gehen zu lassen bilden.

"Ich tue alles."

Sie muss lachen als sie die Hand nach mir ausstreckt und mir damit über die Wangen fährt um sie zu trocknen. Ich möchte nicht weinen, möchte nicht dass die Trauer in meinem Gesicht das letzte ist was sie sieht, aber man kann sie nicht zurück halten und vor allem kann man sie nicht kontrollieren.

"Jimin gibt sich für etwas die Schuld, was keiner von uns ändern kann. Wir beide lieben den gleichen Mann, bereits seit wir Kinder waren haben wir zu ihm auf gesehen und uns war klar, dass wir ihn nicht beide haben konnten. Er verliebte sich recht schnell in Jimin, mich hat das natürlich verletzt und als Reaktion darauf habe ich mich zurück gezogen. Das war auch der Grund, warum ich all die Jahre mit niemandem gesprochen und Jungkook in Ruhe gelassen habe, aber mittlerweile geht es mir wieder besser."

Ich sehe sie zweifelnd an, aber sie nickt nur und verdeutlicht mir durch ihr Lächeln das sie es ernst meint. Liebe ist eine komplizierte Sache, man kann sich nicht aussuchen wen sie trifft und man hat leider keinen Einfluss auf die Person, die man begehrt, deswegen sind gebrochene Herzen nicht selten. In Sooyoungs Fall hat es Jahre gebraucht bis sie darüber hinweg gekommen ist, vielleicht mit auch einer der Gründe weswegen sie jetzt so Frei wirkt.

Das Lächeln verschwindet langsam aus ihren Gesicht und sie sieht mich ernst an, den Blick in meinen verankert. "Jimin hat sich all die Jahre die Schuld gegeben, dafür jemanden zu lieben, den seine Schwester auch liebte und an deren Liebe sie zerbrach. Das ist es, was ich bereue. Ich konnte es ihm bis jetzt nicht sagen, deswegen ist es meine einzige Bitte an dich. Kannst du ihm sagen, dass er an nichts die Schuld trägt und das er immer der Mensch war, den ich am meisten geliebt habe?"

Mit jedem Wort fangen ihre Augen an mehr zu glänzen, bis auch sie nicht länger die Tränen zurück halten kann und ihnen freien Lauf lässt. Für sie muss das ganze auch nicht einfach sein, sie hatte seit dem Beginn ihrer Existenz unglaublich zu kämpfen, das hatten sie alle. Sie war die einzige weibliche Persönlichkeit Jungkooks und man merkt erst jetzt, wie einsam sie all die Zeit tatsächlich war. Aber das ist sie nicht länger.

Ich nicke stumm, beiße mir auf die Unterlippe und erwidere den Druck ihrer Hand, mit der sie meine umklammert. "Es ist schon ironisch", sagt sie und starrt in den Himmel. "Ich entstand in der Dunkelheit und bisher kannte ich nichts anderes als diese. Ich bin froh meinen Abschied im Licht zu finden." Sie schließt die Augen, wie ein Müdes Kind, das trotz all der Mühe nicht länger wach bleiben kann und schenkt mir das letzte mal ein glückliches Lächeln ohne irgendwelche Sorgen oder Reue.

"Das ist alles, was ich jemals wollte."

Faces |Vkook|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt