⊶82⊷

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Jungkook Pov

Ich schrecke zusammen als Taehyung sich im Bett plötzlich umdreht und mir verwundert in die Augen sieht. Wir haben uns vor drei Stunden gemeinsam ins Bett gelegt, weil wir beide Müde waren. Ich, weil ich bis ende des Monats noch bei meinen Eltern in der Firma arbeiten muss und Taehyung, weil für ihn jetzt gerade der ganze Stress in der Uni beginnt. Bereits nach wenigen Minuten war er eingeschlafen während ich in den drei Stunden nichts anderes getan habe als nachzudenken. 

Er runzelt besorgt die Stirn und legt mir eine Hand auf die Wange als er sich ganz zu mir dreht. Ich weiß nicht, was ihn aufgeweckt hat, ich habe mich kaum bewegt und Geräusche habe ich auch keine gemacht, aber ich lege meine Hand auf seine, glücklich darüber das ich nicht länger alleine mit den Gedanken bin, die mich belasten. 

"Sprich mit mir", sagt er und rückt näher an mich heran. 

Ich weiß, wie sehr es Taehyung belastet nicht zu wissen, was in mir vor geht. Er ist nicht der Typ, der mich dauernd fragt was in mir vor geht, er möchte nicht über jede Kleinigkeit Bescheid wissen, die in meinem Kopf geschieht, aber er möchte von den Dingen wissen, die mir Sorgen bereiten, weil er hofft das er mir helfen kann. Er ist nicht anhänglich, er tut nur das, was jeder tun würde, der mitbekommt wie ein Mensch, den er liebt, leidet. 

Obwohl er mir bereits mehr als nur ein mal gesagt hat, dass ich mit ihm reden soll wenn es etwas gibt was raus will, kann ich es nie, vor allem in diesem Moment nicht. Er hat so viele Sorgen, mal abgesehen von der Uni, wie könnte ich ihn da mit meinen nerven? Aber vielleicht ist es in dieser Situation sogar besser.

"Du hast mir doch erzählt, dass Jimin gegangen ist, nicht wahr?"

Er nickt und verschränkt seine Finger mit meinen. "Ist es das, worüber du dir Gedanken machst?", frage er und sieht mich ernst an.

"Es ist dumm, das weiß ich, ich war es, der sie immer los werden wollte, aber... Aber ich hätte niemals gedacht, dass es sich so schrecklich anfühlen würde."

Er rückt sofort noch näher an mich heran und schlingt seinen freien Arm um mich. In seiner Wärme Trost suchend vergrabe ich mein Gesicht an seiner Schulter und atme seinen Geruch ein. Das ganze belastet mich mehr als ich es erwartet habe. Ich dachte, es würde sich befreiend anfühlen sie alle gehen zu lassen, aber das tut es nicht. 

"Fühlt es sich an, als würde etwas fehlen?", fragt er und streicht mit seinen Fingerspitzen meinen Rücken rauf und runter. 

"Nein." Ich schüttle den Kopf und schließe die Augen um die passenden Worte für ein solches Gefühl zu finden. "Es fehlt nichts, ganz im Gegenteil. Es fühlt sich an als würde ich mich vervollständigen, wie ein Puzzle, dessen Teile Anfangs wild verstreut waren und das jetzt langsam zusammen gefügt wird."

"Aber?" Er sieht mit großen Augen zu mir nach oben. Ich weiß nicht, ob er weiß wie schwach mich dieser Blick macht, dass ich nur durch ihn das Gefühl bekomme ihm alles anvertrauen zu können und das er mich selbst in einer Situation wie dieser mehr tröstet als es jemals ein anderer Mensch tun konnte. 

Ich schüttle den Kopf und presse die Lippen aufeinander um ihr zittern zu verbergen. "Sie sind nicht mehr da, sie verschwinden einfach, Taehyung und ich habe das Gefühl ich töte sie." 

Mein Blick verschwimmt und ich spüre wie das Kissen unter meiner Wange nasser wird. Ich weine normalerweise nicht so oft, Gefühle zu zeigen fällt mir zwar nicht schwer, aber bisher hat mich noch nie etwas so sehr belastet wie das hier. Die letzten Monate waren die schönsten meines Lebens, ich habe mich noch nie so befreit gefühlt, noch nie so lebendig wie in der Zeit, die ich mit Taehyung verbringen durfte, aber sie ist auch die intensivste. 

All die Jahre, in denen ich mit den anderen in einem Körper gelebt und es praktisch akzeptiert habe. Ich habe mir eingeredet, dass es keinen Ausweg gibt und das die einzige Lösung darin besteht, es einfach zu akzeptieren und damit zu leben. Manchmal dachte ich sogar darüber nach, alles gerecht aufzuteilen, damit jeder von uns gleich viel Zeit verbringen konnte, aber es war nie das, was ich wirklich wollte, es war nur das Ergebnis meiner Unsicherheit. 

Wie sehr sich alles von einem Moment auf den anderen ändern kann habe ich ja bereits durch die Entführung damals gemerkt, an die ich mich allerdings nicht mehr erinnern konnte. Ein weiteres mal wurde es mir mit dem Erscheinen von Taehyung klar. Wenn er damals nicht stehen geblieben und versucht hätte auf Yoongi einzureden, wären wir wohl nicht hier. Ich habe ihm so viel zu verdanken, er ist mein ganzes Glück, aber gerade überwiegt die Trauer. 

Er rutscht ein wenig nach oben, legt seine Hand auf meinen Hinterkopf und zieht mein Gesicht wieder an seine Schulter heran. "Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, als Namjoon gegangen ist", sagt er leise. Sofort schließe ich die Augen und obwohl ich nicht aufhören kann zu weinen, spüre ich wie mein Körper sich unter dem steten schlagen seines Herzens, seinem warmen Atem und dem sanftem Gefühl seiner Haare auf meiner Haut beruhigt. 

Es braucht keine großen Gesten von ihm, keine großen Reden, mein Körper reagiert auf seinen. Er reagiert auf seine Stimme, seinen Geruch, seine Berührungen. Er reagiert auf alles, solange es von Taehyung kommt und er beruhigt sich, sobald er in der Nähe ist. 

"Damals hatte ich das Gefühl ihn getötet zu haben. Das hatte ich auch bei Sooyoung und Yoongi, aber jedes mal wenn ich das denke, erinnere ich mich an das, was Namjoon mir gesagt hat. Willst du wissen, was das war?"

Namjoon, der wohl für uns alle so etwas wie ein Vater war, trotz seiner Gewohnheit alles was er in die Hände bekommt kaputt zu machen. Es ist Ewigkeiten her seit ich mit ihm gesprochen habe und es wird wohl auch nie mehr dazu kommen, aber alleine von Taehyung von ihm zu hören löst ein kribbeln in meinem Bauch aus. Es macht mich auf eine Art traurig, weil er fort ist und ich weiß, dass ich nie wieder die Chance bekommen werde die Zeit, die ich mit ihm verpasst habe, nachzuholen, aber zu wissen, dass ich dafür mehr Zeit mit Taehyung habe, tröstet mich. 

Ich schmiege mein Gesicht enger an seine Brust und nicke leicht als Zeichen dafür, dass ich es hören will. Mit seinen Fingerspitzen fängt er wieder an meinen Rücken rauf und runter zu fahren. 

"Er sagte, dass er froh ist, das wir einander haben und das er hofft uns irgendwann wieder treffen zu können." Ich schließe die Augen und lasse den Tränen freien lauf während ich mir sein Gesicht vorstelle. "Er glaubte daran, dass es für ihn ein Leben nach dem hier gibt, in dem wir uns alle wieder sehen und daran möchte ich auch glauben. Du tötest sie nicht, Jungkook, sie leben weiter."

Faces |Vkook|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt