Jungkook Pov
Bereits bevor wir zu ihm ins Zimmer gekommen sind schien Yeongsu sich nicht wirklich wohl zu fühlen. Es ist, als hätte er bereits geahnt mit welchem Anliegen wir hierher gekommen sind und trotz seiner Nervosität hat er uns hinein gelassen. Er sieht zwischen mir und Taehyung hin und her, als wüsste er nicht wen von uns beiden das hier wohl mehr betrifft, meinen Blick meidet er dabei allerdings ganz offensichtlich.
"Mutter und Vater haben nie wieder darüber gesprochen", sagt er leise und spielt mit dem losen Faden an seiner Strickjacke herum. "Sie waren froh darüber das du es vergessen hast, weil sie so nicht mit dem konfrontiert wurden was sie verbrochen haben und mir verboten sie es jemals wieder zu erwähnen."
Mutter und Vater, egal wie tief ich Grabe, jeder Hinweis führt zurück zu ihnen. Das sie nicht die besten Menschen und bei weitem nicht die liebevollsten Eltern sind war mir von Anfang an klar, aber das sie so weit gehen würden, die Gedächtnislücke ihres eigenen Kindes auszunutzen und sich noch darüber zu freuen weil sie so der Verantwortung entfliehen, die ihre Handlung als Konsequenz mit sich bringt, ist selbst für sie ein ganzes Stück, dabei weiß ich noch nicht einmal worum es geht.
"Hier." Er zeigt auf die vergilbte Zeitung, die auf dem Tisch liegt und die er bereits dort hin gelegt hat direkt nachdem wir das Zimmer betreten haben. "Du hast vielleicht mehr durchgemacht als ich, Jungkook, aber ich war auch dort und ich erinnere mich daran. Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht sagen was damals passiert ist, du musst es selber lesen."
Er wechselt einen kurzen Blick mit Taehyung aus, der den Vorwurf darin, so sehr er es auch versucht, nicht verstecken kann. Normalerweise würde er nicht sofort über jemanden urteilen, aber ich merke wie wütend es ihn macht das Yeongsu all die Zeit etwas wusste und nichts gesagt hat. Wir haben uns zwar eine ganze Weile nicht mehr gesehen und gesprochen, aber er hatte davor bereits genug Zeit mir etwas zu sagen und auch danach hätte ein Anruf oder ein kurzer Besuch gereicht.
Ich verstehe Taehyungs Wut, aber merkwürdigerweise empfinde ich nichts in diese Richtung. Irgendwie kann ich meinen Bruder sogar verstehen. Er wurde von mir weg gezerrt, ich weiß nicht wohin, aber er war genau sowie ich in diesem Raum und das für eine ziemlich lange Zeit. Es ist falsch zu glauben das es ihm besser geht, nur weil er nicht so lange drin war. Schmerz lässt sich nicht mit Zahlen oder der Zeit messen. Selbst wenn er nur einen Tag dort unten verbracht hätte, könnten seine Qualen eben so groß sein wie die meine.
"Schon gut", sage ich, nehme Taehyungs Hand in meine um ihm zu zeigen das es mir gut geht und nicke Yeongsu als Zeichen zu das er gehen kann. Natürlich hätte es mir irgendwo auf eine Art geholfen ihn hier zu haben, aber Taehyung schenkt mir genug Stärke um das ganze durchzustehen. Wenn er bei mir ist, dann brauche ich niemand anderen.
Er schlingt seinen freien Arm von hinten um meinen Bauch und vergräbt sein Gesicht an meinem Rücken. Ich weiß, wie gerne er erfahren würde was in diesem Artikel steht, aber genau so sehr weiß ich auch, dass er mich diesen Schritt alleine machen lassen will. Er glaubt das es wichtig für mich ist es zuerst zu lesen, ohne jemanden der hinter mir steht und mich dabei beobachtet.
Aber seine Arme um mich zu spüren und zu wissen, dass er mich so sehr liebt das er bereit ist das alles mit mir durch zu machen ohne es auch nur einen Moment zu hinterfragen oder sich um sich selber Sorgen zu machen, reichen um mir Mut zu schenken. Egal wie schlimm meine Vergangenheit auch sein mag, die Gegenwart ist viel zu schön als das sie diese beeinflussen könnte.
Mit der freien Hand nehme ich die raue Zeitung an mich und öffne die Seite, die Yeongsu mit einem Riss in der Ecke markiert hat. Sofort sticht mir der lange Text ins Auge, es muss sich also um eine ziemlich lange Geschichte handeln was nicht wirklich verwunderlich ist wenn man bedenkt das sie drei Jahre meines Lebens eingenommen hat. Aber dieser Text ist nicht das, was für mich gerade von Wichtigkeit ist, denn ich komme gar nicht erst dazu ihn zu lesen.
Ich starre das große Bild an, das direkt darüber gedruckt wurde und im ersten Moment eigentlich vollkommen normal wirkt, aber im nächsten mehrere Empfindungen in mir auslöst.
Mein Kopf fängt an zu pochen, es fühlt sich plötzlich so an als würde mir jemand von innen mit einem Hammer gegen schlagen und meine Sicht verschwimmt immer wieder während ich nur weiter dieses Bild anstarren kann, das mich mit meinem Bruder und meinen Eltern zeigt.
"Jungkook?", höre ich Taehyungs besorgte Stimme und nur kurz darauf schiebt er sich zwischen mich und die Zeitung. Sanft legt er seine Hände auf meine Wangen und versucht meinen Blick auf sich zu ziehen, aber alles was ich sehe ist dieses Bild das tausend andere Bilder in meinem Kopf ausgelöst hat, die alle miteinander zusammen hängen.
"Tae", flüstere ich leise seinen Namen und schaffe es nach einer gefühlten Ewigkeit ihn zu fixieren. Meine Beine zittern, Tränen haben sich in meinen Augen gebildet die unaufhörlich meine Wangen hinunter laufen, aber das schlimmste ist, dass ich nicht mehr genau weiß wo ich bin, ob ich mich bei meinen Eltern oder in diesem Raum befinde, weil die Realität sich mit den Erinnerungen vermischt.
"Jungkook, sieh mich an." Mit dem Daumen wischt er meine Tränen weg während er mein Gesicht weiterhin umklammert hält. "Was ist los? Was siehst du?"
Ich schüttle den Kopf als könnte ich damit auch die ganzen Bilder abschütteln und zurück zu Taehyung finden, aber es bringt nichts. Sie strömen wie Wellen auf mich ein und gegen die Strömung zu schwimmen bedeutet auch hier nur eine Verschwendung von Energie.
Stattdessen lasse ich es zu, ich akzeptiere die Bilder, die in meinem Kopf wie ein Raster durch rattern und klammere mich verzweifelt an Taehyung.
"Ich erinnere mich."

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Faces |Vkook|
Fanfic«Ich habe in meinem Leben viele Menschen getroffen, jedoch war keiner so aussergewöhnlich und vielseitig wie du.» «Das liegt wohl einfach daran, dass ich nicht nur aus Jungkook bestehe, sondern auch aus Jimin, Yoongi, Hoseok, Namjoon und Seokjin.» T...