5. Kapitel- Vorstandssitzung

143 15 35
                                    

Es regnete in Strömen. Den Weg zur Schule hatte Clara heute mit einem Regenschirm bestritten und war trotzdem ziemlich durchnässt worden, weil ein schneidender Wind hinzugekommen war, der die Straßenlaternen gefährlich ins Schaukeln brachte. Der Winter stand definitiv bevor. Rowan war an diesem Morgen noch später gekommen als sonst. Vor Nässe triefend, dass ihm das Wasser unter der Kapuze her aus den Haaren lief, hatte er sich auf den Stuhl fallen lassen – zehn Minuten, nachdem der Unterricht begonnen hatte. Den kurzen Kommentar der Referendarin („Wenigstens eine Entschuldigung wäre doch nett") ignorierte er ebenso wie ihre weiteren Versuche, ihn anzusprechen. Aber sie ließ ihn nicht in Frieden. Immer wieder sprach sie ihn an und schließlich, als sie ihn an die Tafel beorderte, um etwas vorzurechnen, warf sie einen Blick auf die Namensliste. Mit einem Seufzen und einem Blick, der sie geradewegs in die Hölle hätte schicken können und unter dem sich selbst Clara etwas zusammenzog, stand er auf. Betont langsam ging er nach vorne, nahm der jungen Lehrerin, die trotz deutlichen Unbehagens versuchte, motivierend zu lächeln, das Kreidestück ab und schrieb. Angestrengt versuchte Clara, seiner Lösung zu folgen, was ihr etwas schwerfiel, weil ihr gerade in Mathe leider erhebliche Teile des vergangenen Jahres fehlten. Die Referendarin sah dagegen sehr zufrieden aus mit sich, während Mrs. Rodgers in der hinteren Reihe etwas verdutzt zusah. Die junge Frau richtete sich nun an Rowan: „Na siehst du. Du kannst es doch. Dann erklär doch bitte den anderen, was du gemacht hast." Sie lächelte ihn breit an. Ebenso langsam wie zuvor drehte er sich in ihre Richtung. Clara konnte wegen seiner Kapuze den Blick nicht sehen, den er ihr statt einer Antwort zuwarf, aber er hatte sie offensichtlich in ihrer Sicherheit beraubt. Einen Moment starrte die junge Frau, die kaum älter wirkte als Clara, obwohl sie sich bereits mitten im Studium befand, zurück, dann schüttelte sie sich fast unmerklich und wandte sich an die Klasse. „Oder vielleicht möchte doch jemand anderes die Rechnung erklären..." Hilfesuchend sah sie zu Mrs. Rodgers, als sich niemand meldete. Rowan schlürte in der Zwischenzeit zu seinem Platz zurück und schwieg weiterhin. Clara war sich sicher, dass sie genug Mathefreaks im Kurs hatten, die das Ganze sehr gut hätten erklären können, zumal sich noch ein paar andere für das Anschreiben gemeldeten hatten, aber sie alle waren viel zu interessiert, weil der Junge, der sich sonst weder regte noch sprach, etwas getan hatte.

Langsam fingen alle wieder an zu trocknen und der Vormittag schlich weiter vor sich hin, während es draußen noch immer wie aus Eimern schüttete. In der Pause, als Clara zu den Bioräumen ging, war ihre Hose soweit wieder trocken. Sie unterhielt sich mit Melanie über die Samstagsschicht, die schon wieder versuchte, Clara davon zu überzeugen, für sie beide zu arbeiten. Clara war sich aber noch gar nicht sicher, ob sie überhaupt am Samstag arbeiten wollte. Schließlich war das der einzige freie Abend, den Rowan hatte. Vielleicht konnte sie da mal ungestört und länger mit ihm reden. Jetzt lehnte er an der Wand neben der Biosammlung und schaut zu ihnen rüber, wobei er seinen Rücken zu ignorieren schien. Clara erwiderte seinen Blick und lächelte ihm zu. Melanie neben ihr schauderte: „Der Typ ist mir echt nicht geheuer. Wie der immer in der Bar abhängt." Sie schüttelte sich. Clara lachte. „Woher willst du das wissen. Du bist ja nie da?", grinste sie Melanie an. „Und ich weiß noch nicht, ob ich übernehmen kann. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob ich morgen überhaupt kann und du wärst mehr als dran!" Melanie murrte und murmelte etwas von Verabredung und schlechten Eindruck hinterlassen, als Rowan eine kleine, aber deutliche Geste machte und kurzerhand in die Biosammlung verschwand. Clara schluckte und starrte auf die Tür, durch die er gegangen war. Sie sollte ihm folgen, aber der regeltreue Teil ihres Bewusstseins beklagte sich ganz fürchterlich darüber, in die Sammlung zu gehen. Irgendwo in ihrem Kopf lachte sie sich selbst aus. Sie konnte auf das Grundstück eines der reichsten Männer der Stadt einbrechen und durchs Fenster schauen und den Computer des Sekretariats durchschnüffeln, aber nicht eine Biosammlung betreten? Melanie wedelte mit einer Hand vor ihren Augen rum. „Hallo? Erde an Clara?", seufzte Melanie. „Ich frag mal Gordon ob er auch heute kann, okay?" Clara nickte.

Allegiance- Possenspiel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt