Der Mond schien gespenstisch durch das dichte Blätterdach des Waldes. Die ganze Welt schien verstummt zu sein. Nur die Grillen zirpten noch und schienen sich die letzten Neuigkeiten mitzuteilen. Er hielt ihre Hand festgedrückt und zog sie vorwärts. Immer wieder drehte er sich ihr zu, um sie ermutigend anzugrinsen. Der Wald war ihr nicht geheuer. Schon gar nicht zu dieser Tageszeit. Das leise Rascheln des Waldbodens unter ihren Füßen erschien ihr viel lauter als gewöhnlich und nervös schlug ihr Herz bis zum Hals. Das fahle Licht des Mondes reichte kaum aus, um Jordan zu erkennen. Nur seine warme Hand hielt sie davon ab, in heillose Panik zu verfallen. Trotzdem lächelte sie jedes Mal, wenn er sich umsah. Die Abenteuerlust stand ihm ins Gesicht geschrieben. Was auch immer es war, das er ihr zeigen wollte, es hatte seine Begeisterung voll und ganz geweckt. Keine zehn Pferde hätten sie unter normalen Umständen in diesen Wald bringen können, aber er hatte es geschafft und es hatte ihn nicht viel mehr als ein Lächeln gekostet, sie zu überreden. Was konnte sich hier im Wald befinden, was ihn mit solcher Begeisterung erfüllte? Immer weiter zog er sie hinein, weiter ins Innere des Waldes, und etwas in ihr begann, sich zu fürchten, dass sie den Weg nicht zurückfinden würden. Sie hatte längst jegliche Orientierung verloren, und obwohl sie nur geradeaus zu gehen schienen, hätte sie nicht sagen können, in welche Richtung ihr zu Hause lag. „Ist es noch weit?", fragte sie schließlich, als sie das Schweigen nicht mehr aushielt. Ihre Stimme kam ihr lauter vor als sonst, obwohl sie flüsterte. Es schien von den Bäumen zurück zu hallen, die sie mit hölzernen Fratzen ansahen. Jordan lachte leise. Sein Lachen war wie ein Moment hellen Sonnenlichts mitten in der Nacht. Kurz blieb er stehen und berührte ihre Wange. Ein warmer Schauer zog sich durch ihren Körper, so wie jedes Mal, wenn er sie berührte.
„Nein, gleich sind wir da." Er gab ihr einen kurzen Kuss. „Du musst nicht so verschreckt aussehen", grinste er, „ich pass schon auf dich auf!" Sie gab darauf nichts weiter zurück als ein nervöses Lächeln. Mit einem Grinsen und einem Kopfschütteln wandte er sich wieder nach vorn und zog sie weiter hinter sich her. Nach einiger Zeit, die ihr wie eine angespannte Ewigkeit vorkam, entdeckte sie weiter hinten zwischen den Bäumen ein golden schimmerndes Licht. Je näher sie kamen, desto flackernder wurde es, und die Silhouetten einiger Leute zeichneten sich davor ab. Jordan beschleunigte seine Schritte und sie konnte nichts anderes tun, als ihm hinterherzueilen. Alleine im Dunkel stehen zu bleiben war ohnehin keine Option und sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte. Ohne zu zögern zog er sie auf eine Lichtung. Ein Lagerfeuer prasselte in der Mitte und an hölzernen, in den Boden gesteckten Pfählen prangten aus Stroh geflochtene Puppen, bei deren Anblick sich alles in ihr sträubte. Wie angewurzelt war sie stehen geblieben und starrte über die Lichtung. Die Personen, die sie nun aus nächster Nähe sehen konnten, trugen lange schwarze Gewänder mit Kapuzen und saßen still um das Feuer herum. Jordan war zu einem von ihnen getreten, der nun aufstand, sich umdrehte und ihm eine stark tätowierte Hand hinhielt, die er bereitwillig annahm und schüttelte. Sie spürte, wie ihre Kehle sich zuzog und ihr schwindelig wurde. Dieser Ort war noch gespenstischer als der dunkle Wald selbst und das zuckende Licht des Feuers und die ohrenbetäubende Stille trugen nicht dazu bei, die Situation angenehm zu machen. Sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück, nur um mit knapper Not einen Aufschrei zu unterdrücken. Der Baum, in den Sie hineingelaufen war, war über und über mit kleinen Knochen bedeckt, die leise knackten, als sie dagegen stieß. Erneut stolperte sie rückwärts und fuhr nochmals heftig zusammen, als sie gegen jemanden prallte. Panisch fuhr sie herum und starrte aus weit aufgerissenen Augen in Jordans Gesicht. Er grinste noch immer und fasste nun nach ihren Händen. „Hey.... Ganz ruhig. Du magst doch Gruselgeschichten und hier erzählen sie die besten." Zärtlich schob er ihr eine Strähne hinters Ohr. „Hier ist einfach die Atmosphäre besser als vorm Fernseher."
Er ignorierte ihren verstörten Blick und schob sie etwas in Richtung des Fremden, der sich zuvor erhoben hatte. „Das ist meine Freundin Luna. Luna, das ist Luce. Er ist der... Anführer." Es schien ihm keine bessere Beschreibung einzufallen, aber Luna hörte ihm ohnehin kaum zu und dachte gar nicht darüber nach, zu fragen, wovon genau er der Anführer sein sollte. Luces Augen hielten sie fest und erneut überkam sie ein kalter Schauer. Seine Iris war bleich und gelb und selbst in seinem Gesicht rankten sich anstelle der rechten Augenbraue bläulich-schwarze Tätowierungen von kleinen Pentagrammen, was ihm ein fast dämonisches Aussehen verlieh. Dass in seinem Gesicht nicht der kleinste Funke Freundlichkeit zu finden war, machte es nicht besser. Die Situation verschreckte sie so sehr, dass sie kaum merkte, wie Jordan sie neben sich auf den Boden zog und einen Arm um sie legte.
Das ungute Gefühl wollte nicht weichen. Sie vertraute Jordan mehr als sich selbst, doch was immer er sich dabei gedachte hatte, sie hier her zu bringen – er hatte ihr keinen Gefallen getan. Es schien ihr alles viel zu übertrieben zu sein, um allein ein paar Gruselgeschichten zu erzählen. Nur ihm zuliebe versuchte sie, sich zu beruhigen, um Luce bei seiner Lesung zuzuhören, als dieser ein abgegriffenes, altes Lederbuch hob und aufschlug. Doch so unwohl sie sich auch fühlte, niemals hätte sie in dem Moment geahnt, dass sie nur Stunden später in Todesangst alleine durch den Wald stolpern würde und nichts je wieder so sein würde wie früher.

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Allegiance- Possenspiel
Mistério / SuspenseTeufel gibt es überall. Sie tragen keine Hörner und haben keine Ziegenhufe. Alle Teufel sind Menschen! Frei wer sich selber befreit, denkt sich Clara und zieht mit ihrem Vater in eine neue Stadt, für ein neues Leben. Doch schnell muss sie feststell...