Rowan verschloss die Tür und fröstelte. Die Winterluft war zu kalt, um durch das Baumwollshirt auch nur ansatzweise aufgehalten zu werden. Frierend schob er die Hände in die Taschen und begann, besonders schnell zu gehen. Mit der Zeit verfiel er in einen leichten Laufschritt, nicht nur, weil die Eile ihn trieb, sondern auch, weil es schlichtweg zu kalt war, um ganz normal zu gehen. Die Straßen waren an diesem Donnerstagmorgen recht unbelebt und leer. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen, auch wenn ein Ehepaar, das mit einem Hund unterwegs war, ihn wegen seiner mangelnden Jacke etwas pikiert musterte. Die Sternstraße war von einzelnen Herbstblättern gesäumt, auch wenn die Straßen hier oben im zweiten Quarter penibel sauber gehalten wurden. Niemand konnte gegen die herbstlichen Blättermassen ankommen, die der Wind von den Bäumen riss. Er konnte ein leidvolles Lied davon singen, da er in den Herbstmonaten jeden Tag das Laub aus dem Garten sammelte, nur damit es am nächsten Morgen aussah, als hätte er nie etwas gemacht. Eine Zeit lang hatte er geglaubt, jemand würde nachts aufstehen, um ihm die vollen Laubsäcke wieder durch den Garten zu verstreuen, hatte aber natürlich ob der noch gefüllten Säcke einsehen müssen, dass die großen Bäume einfach viel Laub abwarfen. Der Wind, der jetzt um ihn herum wehte, machte die kalten Außentemperaturen nur noch unerträglicher.
Die dritte Sternstraße lag ebenso verlassen wie die erste und die zweite, die er nur kurz passiert hatte. Dr. Jakes hatte sein Anwesen weit oben, direkt an der Mauer des Schlösschens, dessen Bewohner sich eigentlich niemals außerhalb dieser Mauer sehen ließen, auch wenn Gerüchte besagten, dass die Tochter des Dukes, der dort mit seiner Familie lebte, sich gerne aus dem elterlichen Anwesen fortschlich und draußen herumtrieb. Wobei das auch nur von der anderen Familie des altenglischen Hochadels gestreut worden sein konnte, die sich ständig zu profilieren versuchten. Jakes Haus war noch ein wenig größer als Mr. Cabrels Anwesen und wurde immerhin auch von drei und nicht nur von einem Sklaven in Stand gehalten. Auch wenn Rowan sich manchmal fragte, wofür genau er drei Bedienstete benötigte. Auch hier gab es einen Hintereingang. Tatsächlich war es vermutlich Jakes Idee gewesen, die Sklaven nicht durch die Haustür kommen zu lassen, sondern durch einen Dienstboteneingang wie im Mittelalter. Er war bereits einmal hier gewesen und hatte eigentlich gehofft, nie wieder kommen zu müssen. Es war einer der schlimmsten Tage überhaupt gewesen, denn in Dr. Jakes Haus hatte Dr. Jakes das Sagen und niemand sonst, ebenso wie Marcus hatte über Claire befehlen können, der Sklavin des Vorsitzenden eines IT- Unternehmens, der unter anderem die Multifunktionssonden für die Sklaven hergestellt und bereitgestellt hatte. Rowan schob sich durch den schmalen Spalt im Zaun, der anders als zu Hause mehr als unangenehm zu passieren war, weil er kaum hindurchpasste, und hielt auf den Hintereingang zu. Zögernd klopfte er. Anders als sein Herr hatte er sich keine Worte zurechtgelegt. Er hoffte einfach, dass ihre Vermutung zutreffen würde, und Dr. Jakes tatsächlich bereits in der Klinik war und auf Clara wartete.
Es dauerte einen Moment, bis die Tür sich einen Spalt öffnete. Ein Mädchen erschien im Türspalt. Ihr Name war Kathy, was erstaunlich gnädig von Jakes war. Rowan hätte ihm zugetraut, seine Sklaven selbst im Namen als Besitz zu kennzeichnen, aber offensichtlich war ihm der Gedanke entweder nicht gekommen oder er hatte tatsächlich dagegen entschieden, aus welchen Gründen auch immer. Sie hatten sich schon einmal gesehen und an jenem Abend war Rowan erstmals richtig bewusstgeworden, wie viel Glück er hatte, kein Mädchen zu sein. Ihre linke Gesichtshälfte war geschwollen, sodass sie das Auge fast nicht mehr öffnen konnte. Sein eigenes blaues Auge war dagegen inzwischen nur noch leicht gelb und kaum mehr zu sehen, wofür er sehr dankbar war. Schaudernd biss er die Lippen aufeinander, bei dem Versuch nicht darüber nachzudenken, wo sie die Verletzung herhatte, und wofür sie sie bekommen hatte. Er räusperte sich. „Hi." Etwas unbeholfen musterte er sie. Sie sah ihn schüchtern an, ließ ihn zwar nicht ein, aber schlug auch wenigstens die Tür nicht gleich wieder zu. „Kennst du mich noch?", er versuchte ein Lächeln, während er sich bemühte, nicht vor Kälte zu schlottern, die ihm hier im Durchzug nur noch mehr unters Shirt fuhr. Sie nickte nur und schwieg weiter. „Mein Herr schickt mich. Darf ich reinkommen?", fuhr er fort und versuchte, sie möglichst motivierend anzusehen. Ihr Blick wanderte einmal über ihn, und sie zog sich etwas weiter in den Raum zurück, ohne die Tür weiter zu öffnen. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie langsam aufschwang und ihm Einlass gewährte. Froh, aus der Kälte treten zu können, trat er ein, und schob die Tür hinter sich zu.
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Allegiance- Possenspiel
Mystery / ThrillerTeufel gibt es überall. Sie tragen keine Hörner und haben keine Ziegenhufe. Alle Teufel sind Menschen! Frei wer sich selber befreit, denkt sich Clara und zieht mit ihrem Vater in eine neue Stadt, für ein neues Leben. Doch schnell muss sie feststell...