Die fünfte Sternstraße lag ebenso still und unbelebt da wie die erste in dieser Dienstagnacht. Rowan spürte Claras schmale Finger fest um seine eigenen. Sie war schreckhaft und hüpfte bei jedem Rascheln der Herbstblätter und jeder Bewegung am Straßenrand ein wenig zur Seite, ob es nun eine Plastiktüte, ein Vogel oder bloß der Wind war. Wie ein junges Reh hatte sie die Augen weit aufgerissen und sah sich immer wieder zu allen Seiten um. Es war etwas befremdlich und er machte sich ernsthaft Sorgen. Verstanden, warum sie glaubte, man würde ihr gezielt noch einmal auflauern, hatte er zwar nicht, aber er wollte sie auch nicht fragen und sie noch weiter darauf hinweisen, obwohl sie wohl ohnehin an nichts anderes dachte. Schweigend ging er neben ihr und hielt ihre Hand ganz fest. Es fühlte sich gut an, ihre Hand zu halten, und hastig durchquerten sie das dritte Quarter auf der fünften Sternstraße, die parallel zur ersten verlief. Eigentlich hätte er ihr gerne von den Briefen erzählt, aber er hatte nicht das Gefühl, dass sie gerade empfänglich dafür war. Vielleicht, wenn sie zu Hause war und keine Angst mehr haben brauchte. Schließlich bogen sie in eine schmale Stichstraße ein, die zur ersten Sternstraße zurückführen würde. Es war ein schmaler weg, zu schmal für ein Auto. Lediglich Fahrradfahrer und Fußgänger konnten den Weg benutzen und wenn zwei Fahrräder nebeneinander fahren wollten, mussten sie schon gehörig aufpassen, sich nicht ineinander zu verheddern oder aber mit den Lenkern in die Hecken zu geraten, die den Pfad säumten. Der sandige Boden knirschte unter ihren Füßen und übertönte die leisen Geräusche der Nacht. Außerdem gab es hier keine Straßenlaternen. Nur am Ende des Wegs, wo die die erste Sternstraße liegen musste, konnte man das Licht der Straßenlaterne erkennen. Clara zog mit zitternden Fingern ihr Handy aus der Tasche und schaltete die Taschenlampe daran ein, leuchtete aber immer wieder über die Büsche statt nach vorn, nur um sich dann vor der Dunkelheit in die anderen Richtungen zu fürchten. Rowan konnte hören, wie sich ihr Atem beschleunigte, und sah das Licht schneller hin und her tanzen. „Wie wär's, wenn du einfach nach vorne Leuchtest und hier nicht so eine Lichtshow veranstaltest?", raunte er ihr halblaut zu. Sie machte ihn durch ihre Hektik gleich mit nervös. Ein unangenehmes Gefühl hatte sich in ihm ausgebreitet. „Du machst uns ja beide verrückt damit!"
„Ach, kein Grund zur Panik!"
„Ich weiß, aber... warte... was?" Sein Blick zuckte zu seiner Rechten, von wo aus die Stimme gekommen war. Er konnte in der Dunkelheit nicht wirklich etwas erkennen, aber er hatte immerhin einen guten Grund anzunehmen, dass dort jemand stand.
Clara erstarrte und langsam, ganz langsam, wanderte der Lichtkegel zu der Hecke und tauchte einen jungen Mann in ihr bläuliches Licht. Er lehnte lässig in der Hecke, deren Äste und Blätter ihn nicht zu stören schienen, und blinzelte etwas, als ihm das Licht direkt ins Gesicht schien. Clara war völlig verkrampft und ihre Hand zerquetschte Rowans fast. Ihre Atmung war zittrig und unruhig und ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten auf die Person in der Hecke. Rowan selbst war mehr angespannt, weil sie es war. Von einem einzelnen Jungen, ungefähr seines Alters und ein Ideechen kleiner, ging für ihn absolut keine Gefahr aus. Außerdem war er auf den ersten Blick nicht bewaffnet, und auch wenn er herausfordernd grinste, wirkte er nicht, als wolle er jeden Moment auf sie losgehen.
„Ich sehe – du hast mich ersetzt?" Der Fremde musterte Rowan einmal von Kopf bis Fuß und legte den Kopf etwas schief. „Er ist definitiv dein Typ."
Rowan hob die Augenbrauen und spürte ein witziges Gefühl im Magen, als er feststellte, dass der andere sie für ein Paar hielt. Auch wenn ihm der Gedanke gefiel, nahm er auch zur Kenntnis, dass er von „ersetzt" sprach, und schloss daraus, dass sie wohl mal zusammen gewesen waren, und sah zu Clara, die immer noch starr dastand und den Jungen anstarrte. Sie antwortete ihm auch nicht und regte keinen Muskel, als sei sie zu einer Salzsäule erstarrt.
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Allegiance- Possenspiel
Mystery / ThrillerTeufel gibt es überall. Sie tragen keine Hörner und haben keine Ziegenhufe. Alle Teufel sind Menschen! Frei wer sich selber befreit, denkt sich Clara und zieht mit ihrem Vater in eine neue Stadt, für ein neues Leben. Doch schnell muss sie feststell...