12. Kapitel- Ist da jemand?

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Rowan war wieder nicht in der Schule gewesen. Claras Sorgen wuchsen. Melanie hatte heute ebenfalls gefehlt und so hatte sie nicht einmal jemanden zum Reden gehabt. Es war nicht besonders einfach für sie, mit den Mädchen in ihrem Jahr Kontakt zu knüpfen. Sie waren ein eingeschworener Kreis, an den sie sich nie herangewagt hatte. Nur die schöne, beliebte Melanie war ihr Tor in diesen Kreis, die sie schließlich von der Arbeit kannte. Im Grunde verstand sie sich auch mit allen ganz gut, aber nie wäre eine von ihnen auf die Idee gekommen, auf sie zu warten oder sie gar irgendwohin mitzunehmen. Das tat auch Melanie nicht. Wenn sie irgendwo dabei sein wollte, musste sie sich selbst einladen. Über die letzten Monate gehörte das tatsächlich zu den Dingen, die sie aus ihrer alten Heimat am meisten vermisste. Sie hatte auch da keinen großen Freundeskreis gehabt, aber die Freunde, die sie gehabt hatte, vermisste sie furchtbar, und es tat ihr leid, ihnen nicht zu schreiben oder sie anzurufen. In den letzten Tagen war sie immer so damit beschäftigt gewesen, Rowan entweder zu beobachten oder über ihn nachzudenken, dass sie ein wenig vergessen hatte, dass sie auch nicht aktiver gewesen war, bevor er ihr plötzlich wichtig gewesen war. Heute merkte sie außerdem, wie sie offensichtlich weniger aufgepasst hatte als empfehlenswert war, weil sie in allen Fächern ein klein wenig zurückgeblieben war, was sie sich nach dem Schulwechsel eigentlich nicht erlauben durfte, schon gar nicht im Abschlussjahr. Auf dem Rückweg hatte sie es eilig, nach Hause zu kommen. Sie hatte noch nicht beschlossen, wie sie weiter vorgehen würde. Er war jetzt zwei Tage nicht zur Schule erschienen. Die Sorge, dass er ernsthaft verletzt oder gar tot sein könnte, wurde damit nicht besser und sie hatte schon halb beschlossen, wieder zu dem Anwesen hinaufzulaufen. Allerdings wäre es wohl besser, das erst am Abend zu tun, zumal sie sich noch nicht entschieden hatte, ob sie das wirklich tun wollte. Ihre Gedanken kreisten mal wieder, während sie die Sternstraße hinaufging und einer gruppe Unterstüfler dabei zusah, wie sie einander immer wieder anrempelten und sich eine, hoffentlich freundschaftliche, Prügelei lieferten. Aber irgendetwas anderes stimmte darüber hinaus nicht. Sie fühlte sich beobachtet. Ein leichtes Kribbeln im Nacken, das Gefühl, jemanden hinter sich zu haben, und zwischendurch ein Rascheln oder ein paar schnelle Schritte am Wegesrand. Zur Sicherheit verdoppelte sie ihre Geschwindigkeit, doch das Gefühl wich nicht. Vielleicht wurde sie paranoid, vielleicht steckten ihr einfach die Schockmomente der vergangenen Woche in den Knochen, aber vielleicht waren ihre Befürchtungen begründet, und wenn dem so war, würde sie nicht warten, bis es sie buchstäblich einholte.

Clara erreichte die Haustür im Laufschritt und suchte nach ihrem Vater. Hier im Haus war das Gefühl verschwunden, auch wenn die Angst, dass etwas vor der Tür lauern mochte, nicht verflog. Kurz kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht Rowan war, der sich von zu Hause fortgeschlichen hatte, aber sie verwarf den Gedanken wieder. Er hätte keinen Grund gehabt, sie unbemerkt zu verfolgen. Er hätte sie einfach ansprechen können. Nein, es war nicht Rowan gewesen, auch wenn es sie beruhigt hätte, zu wissen, dass er noch lebte und es ihm soweit ganz gut ging.

Sie fand ihren Vater im Wohnzimmer. Er war eingeschlafen und in seinem Schoß lag ein Buch. Sie lächelte ein wenig und begann, einfach selbst etwas zu kochen. Kochen gehörte zu den Dingen, die sie gerne tat und trotzdem überhaupt nicht beherrschte, genauso wie tanzen. Trotzdem: Nudeln und Tomatensoße konnte jeder zubereiten, und auch wenn ihr das Wasser fast übergekocht wäre, hatte sie kurze Zeit später viel zu viel, aber immerhin etwas gekocht. Grinsend nahm sie einen gefüllten Teller und hielt ihn ihrem Vater unter die Nase. „Hallöchen. Mittagessen!"

Er schlug die Augen auf und schrak zusammen, als sie so tat, als ob sie ihm den Teller über den Schoß schütten wollte. „Lieber Himmel, Lu...", er stoppte sich, „du kleines Luder, du!" Er grinste, um den Spaß zu verdeutlichen, und sicherte den Teller, bevor Clara ihn doch noch über ihn entleeren konnte. „Warum hast du mich nicht früher geweckt?", lachte er und roch probehalber an den Nudeln.

Allegiance- Possenspiel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt