Samstag, 27.01.2018, 20:10 Uhr

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Autisten leben in ihren Welten.

Das stimmt, ja.

Aber eigentlich denke ich, dass es da keine großen Unterschiede gibt. Lassen sich normale Menschen nicht auch von allem berieseln und tauchen in etwas ein, in dem sie eine Zeit lang verweilen?

Nehmen wir das Lesen. Man taucht in eine andere Dimension, ist wie ein Zuschauer, als würde man direkt neben der Hauptperson stehen, ihre Gedanken hören und alles mitbekommen, was ihr geschieht.

Wenn ich schreibe, wie jetzt gerade, bin ich komplett weggetreten. Ich habe das Gefühl, ich bin vollkommen auf der weißen Fläche und sehe langsam an der unteren Zeile zu, wie sich die Wörter vermehren.

Mit Musik ist das noch schlimmer. Ich drifte in meinen Gedanken ab und versetze mich in die jeweilige Person. Es ist so, als wäre ich diese Person.

~

Bei mir ist es so, dass ich mir Gestik und Mimik bei anderen abschaue.

Das habe ich aber erst total spät gemerkt, ich glaube erst vor zwei Jahren oder so.

Oder ich mache anderen Menschen einfach nach. Zum Beispiel haben Kinder im Kindergarten meistens geweint, wenn ihre Eltern, sie hingebracht haben und deswegen hab ich das auch getan. Ich wollte auch allein einkaufen gehen, weil das die anderen Kinder aus meiner Klasse erzählt haben, dass sie das alleine machen. So Brötchen bei Lidl nebenan oder so kaufen. Ich wollte auch alleine duschen und baden können, weil ich so wie du anderen sein wollte. Tatsächlich ist das so mein größter Wunsch. Normal zu sein und nicht total fertig zu Hause ankommen, weil ich mich tagtäglich verstellen muss. Das schafft mich so sehr, dass ich keine wirklichen Hobbys habe. Schreiben, Lesen, zeichnen. Was anderes mache ich nicht, weil ich keine Motivation, keine Kraft habe. Mir wird immer gesagt, ich soll irgendetwas machen, doch ich schaffe es nicht. Warum soll ich mich irgendwo hinquälen, wenn ich doch eh keine Lust dazu habe und es mir dann keinen Spaß macht?

Ich kann mich noch daran erinnern, dass einmal ein Praktikant bei uns war und das war für mich so merkwürdig, da dieser Mensch halt sonst nicht da war. Also habe ich angefangen zu weinen, mich an meine Mutter geklammert und gebettelt, dass sie mich wieder mit nach Hause nehmen soll.

Diese Tagesabläufe brauche ich auch, aber für mich ist das nicht mehr so schlimm, wenn sich etwas ändert. Natürlich verwirrt es mich, aber dann ist es okay. Außerdem hab ich keine andere Wahl, als es zu akzeptieren.

Ich bin jetzt nicht so mit geplanten Toilettengängen, um Gotteswillen, nein! Aber ich hab das ab und zu in der Schule.

Wir haben eine Blockstunde, dass heißt 90 Minuten durch ohne Pause und ich gehe danach und davor meistens aufs Klo. Ich hab halt Angst, dass ich mitten in der Stunde aufs Klo muss und mir ist das immer unangenehm und ich mag es nicht zu fragen, obwohl die Hälfte der Klasse in genau diesen Stunden aufs Klo müssen.

Ich traue mich meistens nicht, irgendwas nachzufragen. Mein Herz klopft mir gegen die Brust und mir wird so warm, dass ich das Gefühl habe, dass alles um mich herum kurz verschwindet.

Das wird immer da sein. Ich hasse es, ich hasse mich, aber trotzdem kann ich nichts dagegen machen. Es wird mich immer wieder ficken und zerbersten und mir immer wieder vor Augen führen, dass ich ein kaputter Mensch bin.

IgelkindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt