37. Wettschulden

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»Ist es zu spät, um noch mal was für den Alkoholpegel zu tun?«

Manu warf einen kurzen Blick auf sein Handy – bald halb sechs – und zuckte dann mit den Schultern. Als er Palle angrinste, erwiderte dieser es sofort.

»Willst du noch ein Mal etwas trinken?«

Wenn du auch was trinkst.

»Klaro. Machs dir gemütlich.«

Einladend deutete er auf die Betten, doch Manu zögerte und blieb lieber stehen. Fast sofort bemerkte Palle seinen Fehler.

»Achso.«, er öffnete seine Schranktür und begann, zuerst eine Jogginghose, dann einen dicken Hoodie und zum Schluss sogar ein Paar Socken hervorzuziehen und sie Manu zuzuwerfen.

»Hier. Das kannst du anziehen. Wenn dir kalt ist, nimm dir die Decke oder so. Ich bin kurz im Bad, mich auch umziehen. Mach es dir derweil gemütlich hier.«

Manu nickte zustimmend und wartete ab, während Patrick sich selbst ebenfalls warme Kleidung aus dem Schrank zog und schließlich damit im Bad verschwand.

Es war ein komisches Gefühl, sich umzuziehen, in dem Wissen, dass Patrick jederzeit hereinkommen könnte. Jedoch sollte diese Sorge vollkommen unbegründet sein, denn als der Größere, ebenfalls in Jogginghose und Hoodie, wieder zurück kam, war Manu schon längst wieder angezogen und hatte es sich auf dem Bett des Anderen gemütlich gemacht, die Decke wie angeboten über sich ausgebreitet und trotzdem noch fröstelnd.

»Okay.«, Palle grinste verschmitzt, »was willst du trinken? Ich hab bisschen etwas hier. Komm her und such dir etwas aus.«

Schwerfällig raffte Manu sich also wieder auf, vom Bett aufzustehen und seine warme Decke zurückzulassen. Er kniete sich neben Palle vor dessen Schrank, in dem echt einiges an Getränken lagerte, und entschied sich schließlich schlicht für ein Bier, mit dem er sich schleunigst wieder zurück unter seine Decke verkroch. Palle schien war das leichte Zittern seiner Arme natürlich aufgefallen und der besorgte Blick, den er Manu zuwarf, während er die Heizung weiter aufdrehte, war schon irgendwie süß.

Allgemein fiel Manu auf, dass er das Wort »süß« zur Zeit viel zu oft mit dem Älteren in Verbindung brachte. Kurz zog er in Erwägung, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, beschloss dann aber, dass es zu ihrer aller Besten war, wenn er einfach nicht darüber nachdachte und schob diesen Gedanken schleunigst wieder zurück in die hinterste Ecke seines Gehirns, wo er ihn hoffentlich vorerst nicht mehr belästigen würde.

Bereitwillig rutschte Manu ein Stück zur Seite, damit Palle sich neben ihn auf die Matratze setzen konnte und ließ ihn – großzügig wie er war – sogar mit unter seine eigene Decke!

Patrick hatte im Gegensatz zu Manu seine Ärmel hochgekrempelt und so konnte Manu auch, als Palle ihm hilfsbereit seine Flasche öffnete, etwas erkennen, was ihn um ehrlich zu sein sogar etwas erschreckte.

Ohne Nachzudenken tat er etwas, was er sich vor ein paar Stunden noch auf keinen Fall getraut hätte – und griff wortlos nach Patricks Arm, um diesen zu sich zu ziehen. Palle ließ es mit sich machen und beobachtete bloß, wie Manu über die feinen Narben auf seiner Haut strich. Sie waren gut verheilt, eindeutig schon älter und wirklich kaum mehr sichtbar, und dennoch war es eindeutig, woher sie stammten. Auch schien Palle das kein bisschen leugnen zu wollen, sondern lieferte sofort von sich aus eine Erklärung.

»Vor zwei oder drei Jahren. Mir ging es eine Zeit lang echt beschissen. Das war so ungefähr die Zeit, wo ich mein inneres Outing hatte und ...« Er brach ab, zögerte kurz. »Wenn du willst erzähl ich dir die ganze Geschichte. Das ist teilweise ... ziemlich privat und ... halt genau so etwas, was eigentlich niemand weiß. Zumindest nicht hier, auf dem Internat.«

Manu verstand. Sein Wetteinsatz, das Geheimnis, das Palle ihm schuldete. Er nickte. Ja, er wollte wissen, was in Patricks Vergangenheit geschehen war, dass es ihm so schlecht gegangen war, dass sich selbst verletzt hatte! Ob er ihm wohl auch davon erzählt hätte, wenn er ihm nie ein Geheimnis versprochen hätte?

»Okay.«, Palle rutschte erneut ein kleines Bisschen weiter an die Wand, an die gelehnt sie saßen, machte es sich anscheinend gemütlicher und nahm noch einen großen Schluck aus seiner Flasche. Dass durch diese Bewegung sein Bein nun direkt neben Manus lag und sie sich berührten ignorierte er und auch Manu beschloss, möglichst nicht darauf zu achten.

»Wie gesagt. Ich war glaub' ich ... vierzehn. Und ich hab halt irgendwann gemerkt, dass ich total auf meinen besten Freund stand ... Ich wurde immer so erzogen, dass Homosexualität etwas Schlechtes ist. Meine ganze Familie glaubt immer noch daran. Sie wissen bis heute nicht, dass ich schwul bin. Ich habe es ihnen nie gesagt.«

Überrascht zog Manu die Augenbrauen hoch. Zwar war es bei ihm selbst ja nicht anders – seiner Familie hatte er ja auch nichts von seiner sexuellen Orientierung erzählt – aber bei Manu wirkte alles immer so einfach und unkompliziert! Er war so offen mit seiner Sexualität, dass Manu bis jetzt nie auf die Idee gekommen war, dass er irgendwie in diese Richtung konservativ erzogen worden sein könnte.

»Naja. Ich selbst hab dann auf jeden Fall relativ schnell erkannt, dass ich Gefühle für ihn hatte ... Das war auch nie so ein riesen Problem. Klar, ich hatte erst die selben Probleme, wie wohl jeder, bis man erkennt, dass es nunmal so ist und man nichts daran ändern kann, dass man Typen heiß findet, aber nichts dramatisches. Aber dafür wurde es für mich immer schlimmer, zu wissen, dass meine Eltern mich dafür hassen würden - für etwas, was mir selbst nichts ein Mal etwas ausmachte. Und ab dann war es eben für mich die reine Hölle, wann immer es nur annähernd um das Thema ging. Wenn meine Eltern von irgendwelchen hübschen Töchtern von Freunden erzählten oder mich nach meinem Liebesleben fragten, oder halt wenn es auch direkt um Homosexualität ging. Wann immer ich etwas positives über einen Jungen gesagt habe hieß es sofort »Sprich nicht so, das klingt schwul.« oder »Pass auf, dass niemand dich für schwul hält!«. So ging es fast ein Jahr lang – das war auch die Zeit, wo ich begonnen hatte, mich zu verletzen. Damals hat es geholfen. Naja und irgendwann hatte ich trotzdem den Mut zusammengenommen und es ihnen gesagt. Dass ich schwul bin.«

Er machte Palle kurze Pause, trank einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. Gespannt tat Manu es ihm gleich.

»Noch währenddessen habe ich jedoch den Mut wieder verloren - sie haben wie zu erwarten gar nicht gut reagiert. Also hab ich direkt danach so getan, als hätte ich sie nur trollen wollen – und dafür den Anschiss meines Lebens kassiert ... Seitdem habe ich nicht mehr wirklich das Bedürfnis, das zu wiederholen.«

Als Manu einen vorsichtigen Blick zu Patrick wagte, wirkte der nicht wie erwartet irgendwie fertig oder traurig – sondern lächelte ihn bloß lieb an, bevor er fortfuhr.

»Naja; wie gesagt. Mein inneres Outing war dafür relativ unproblematisch - und schon zu dem Zeitpunkt hatte ich mit zwei Typen etwas gehabt. Einer davon übrigens besagter bester Freund, mit dem alles begonnen hatte. War aber nichts längerfristiges. Grundsätzlich - keine Ahnung ob das an meinen Eltern lag oder an mir selbst – war nie etwas längerfristig. Ich hab auch nie ehrlich über meine Sexualität gesprochen. Das war alles immer nur im Geheimen. Natürlich, meine Freunde wussten davon, aber ... eben nicht alle. Es war mir viel zu riskant, dass meine Eltern es so erfahren hätten. Das hat sich erst geändert, als ich hier her gekommen bin. Das hier ist so entfernt von allem - von hier werden sie es nie erfahren. Ja, und so hatte dieses Basketball-Ding wegen dem ich her bin noch einen anderen positiven Effekt. Ich kann komplett geoutet leben.«

Palle lächelte, schien geendet zu haben. Und in Manu blieb nur ein komisches Gefühl zurück.


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Vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel!

Was sagt ihr zu Palles Vergangenheit?

Ich habe heute Nacht durchgemacht und die Zeit genutzt, um sechs Kapitel vorzuschreiben!

Die nächsten Tage wird es also auf jeden Fall Updates geben! Freut ihr euch?

Spielt eigentlich zufällig jemand von euch auch Animal Crossing: New Leaf oder Mario Kart 7? Wenn ja: Meldet euch mal!

Liebe Grüße, minnicat3

Was sich liebt ... ~ #KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt