70. Tag

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»Da ist Palle.«

Dado, der zusammen mit Manu an der Essensausgabe angestanden hatte, nickte in Richtung einer größeren Tisches, wo Manu tatsächlich Patrick entdecken konnte. Dass sie den Weg dorthin einschlugen stand außer Frage, aber Manu spürte dabei die leichte Nervosität, die ihn nicht loslassen wollte. Hier, vor der ganzen Schule, sich wie ein Paar zu verhalten – nein, ein Paar zu sein – war doch noch ein Mal etwas anderes, als halb betrunken auf einer Party.

»Hey.«

Palle hatte sich auf seinem Stuhl umgedreht und grinste nun den beiden Kommenden zu. Manu versuchte, seine Nervosität zurückzuhalten, und auch sein Freund schien beschlossen zu haben, so zu tun, als wäre das alles eine Selbstverständlichkeit.

»Hi« Manus Begrüßung war leise, nicht mehr als ein Flüstern. Auch wenn er es immer besser schaffte, mit Dado oder Palle in der Öffentlichkeit leise zu reden, kostete es ihn doch noch einiges an Überwindung – und ziemlich oft hasste er seine Psyche dafür.

Zur Begrüßung küssten sie sich bloß ein Mal flüchtig auf den Mund - Patrick etwas verrenkt nach oben schauend, Manu halb hinter, halb neben ihm stehend. Dado hatte einen der freien Stühle für sich belegt und Manu gesellte sich zu ihm, zwei Plätze neben Patrick.

»Wollen wir tauschen?«

Alex sah fragend in Manus Richtung, der kurz über das Angebot nachdachte. Klar wäre er gerne neben seinem Freund gesessen, beschloss aber trotzdem, abzulehnen und schüttelte mit einem hoffentlich dankbaren Lächeln den Kopf.

Er wollte keinen großen Aufwand aus dieser Beziehung machen, sich einfach wie immer verhalten – es hatte sich ja schließlich auch nichts geändert. Und das Allerletzte, das er wollte, war eines dieser nervigen Pärchen zu sein, die alle damit nervten, dass sie scheinbar aneinandergewachsen waren.

Das Mittagessen verlief zu Manus Erleichterung eigentlich, wie immer. Es stießen nur noch Basti und Felix zu ihnen. Letzterer sorgte noch ein Mal kurz dafür, dass Manu kurz angespannter wurde, aber auch er schien keine schwulenfeindlichen Sprüche mehr bringen zu wollen.

Nach dem Essen begleitete Palle Manu noch kurz bis zu seinem Zimmer, wo sie das erste Mal für diesen Tag so wirklich miteinander sprechen konnten. Allerdings auch das nicht für lange. Sie redeten nur kurz darüber, wie die Anderen jeweils ihnen gegenüber reagiert hatten, bevor sie sich auch schon wieder trennten zu ihren Nachmittagskursen verschwanden. Direkt im Anschluss hatten sie Studierzeit und Manu schaffte es tatsächlich recht gut, sich auf seine Hausaufgaben und das Lernen für die nächste Klausur zu konzentrieren.

Draußen dämmerte es bereits, als er schließlich seine Sportsachen anzog und sich auf den Weg zu Patrick machte, um mit ihm zum Training zu gehen.

Ohne zu klopfen öffnete Manu leise die Tür zu Palles Zimmer – der mit dem Rücken zu ihm am Schreibtisch saß und tatsächlich zu lernen schien. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet Manu, dass sie noch etwas Zeit hatten, weshalb er sich leise auf sein altes Bett setzte. Zuerst wunderte er sich, dass Patrick ihn bei dem leisen Knarren des Lattenrosts nicht gehört hatte, dann sah er aber die Kopfhörer in seinen Ohren.

Ob es gruselig war, dass er einfach nur dasaß und Patrick beobachtete, ohne dass er davon wusste?

So oder so – Manu wollte seine Reaktion sehen, wenn er ihn bemerkte. Als allerdings erst eine, dann zwei und schließlich über drei Minuten vergingen, ohne dass Palle irgendwelche Anstalten machte, mal vom Schreibtisch aufzuschauen, beschloss Manu, dass er ihn dazu bringen musste. Leise griff er nach einem Stift, der einsam auf der Kommode neben ihm lag und beförderte ihn mit einen Wurf auf Palles Schreibtisch – der wie gewollt erschrocken zusammenzuckte und reflexartig in seine Richtung sah. Manu grinste.

»Alter, Mänjuel. Du hast mich gerade dezent erschrocken. Wie lange sitzt du da schon?«

Manu zuckte mit den Schultern.

»Paar Minuten? Und du solltest dich auch mal umziehen, in einer viertel Stunde beginnt das Training.

»Was? Schon? Fuck.«

Palle stand auf, schien kurz zu zögern, ging dann aber zu Manu und blieb vor ihm stehen. Manu genoss das Gefühl, wie Patrick sein Gesicht in seine Hände nahm und ihn kurz küsste.

»So viel Zeit muss sein. Als ob es schon so spät ist?«

Manu nickte bloß und beobachtete, ohne sich die Mühe zu machen, sein grinsen zu unterdrücken, wie Patrick seinen Hoodie auszog, um sich ein Sportshirt überzuziehen.

Als sie auf dem Weg zur Sporthalle waren und Patrick nach seiner Hand griff, war Manu unerklärbar stolz.

Indirekt hatte er befürchtet, dass hier noch ein Mal irgendetwas passieren würde – als schwuler Typ in der Jungsumkleide, ein klischeehafteres Konfliktpotential gab es doch kaum. Aber wie schon bei Tim und Stegi schien auch bei Patrick oder Manu keiner ein Problem damit zu haben.

Manu nutzte das Training, um sich richtig auszupowern und schaffte es sogar, Felix, der im Gegenerteam spielte, den Ball kurz bevor er den Korb treffen konnte abzunehmen und nur wenig später selbst zu versenken. Das triumphierende Grinsen konnte er sich dabei nicht verkneifen.

Manu war der Meinung, dass er das jetzt durfte, nach dem, wie Felix sich benommen hatte.

Was sich liebt ... ~ #KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt