76. Geheim

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Unsicher musterte Manu das Muster der Bettdecke und des Kissens, wusste irgendwie nichts so recht mit sich anzufangen.

Morgen würden sie das finale Match der diesjährigen Basketballsaison haben. Da Ferien waren und die meisten Spieler die Tage bei ihren Familien verbracht hatten, würden sie dort dieses Mal nicht als Mannschaft anreisen. Da hatte es sich ganz gut getroffen, dass das Spiel nur etwa zwanzig Kilometer von Patricks Heimat stattfand – weshalb er Manu eingeladen hatte, zwei Tage bei ihm zu verbringen. Wobei sich diese Einladung inzwischen mehr nach einer Bitte nach Hilfe anfühlte, als nach der Aussicht auf eine schöne Zeit.

Dass Palles Eltern streng gläubig waren, hatte Manu ja bereits gewusst. Aber dieses Wissen, dass er unter keinen Umständen etwas von seiner oder Patricks Sexualität preisgeben durfte, ließ sich jedes Gespräch mit einem seiner Elternteile wie einen Lauf über ein Minenfeld anfühlen. Inzwischen hatte er enormes Mitgefühl mit dem jüngeren Patrick, der sich gerade seiner sexuellen Orientierung bewusst geworden war und dem hier genauso, bloß noch stärker ausgesetzt gewesen war – den ganzen Tag über, wochen- und monatelang. Irgendwie fiel ihm der Gedanke, dass Patrick sich in dieser Zeit verletzt hatte gar nicht ein Mal mehr so schwer.

Wenn seine Eltern von Manus Homosexualität erfuhren, würde er schauen müssen, wo er bis zum Spiel morgen blieb. Hätten sie von der ihres eigenen Sohnes erfahren, hätte er weitaus schlimmere Probleme gehabt. Entweder sie hätten ihn ganz rausgeschmissen – oder noch schlimmer, irgend einen Weg gesucht, ihn zu »heilen«. Und das wollte Manu sich gar nicht erst ausmalen.

Gerade war Patrick irgendwo in dem recht großen Haus unterwegs – sein Vater hatte ihn zu sich gerufen, um irgendetwas zu besprechen. Und Manu konnte nichts tun, als auf ihn zu warten. Seinen sonst so selbstbewussten und lebensfreudigen Freund hier so ruhig und gehorsam zu sehen tat Manu irgendwo im Inneren weh. Das war nicht der Patrick, den er kannte.

Erleichtert sah Manu auf, als er hörte, wie die Tür sich öffnete und im nächsten Moment Palle in sein Zimmer schlüpfte und hinter sich abschloss. Sofort ließ er sich neben Manu auf sein Bett fallen – und wirkte auf der Stelle viel gelöster und fröhlicher, als wenn er draußen war, wo seine Eltern immer um ihn herum waren.

»Ich hasse es, wenn sie etwas mit mir besprechen wollen.«

Manu lehnte sich kurzerhand zu seinem Freund zurück und ließ zu, dass der seine Hand nahm und leicht drückte, während er ihn anlächelte. Er sagte nichts, aber Palle fuhr auch so fort.

»Egal, was es ist, sie klingen immer total angespannt und streng, wenn sie sagen, sie wollen etwas besprechen. Und ich denke jedes verdammte Mal, sie hätten es herausgefunden. Seit drei Jahren. Jedes Mal.«

»Das klingt verdammt ätzend.«

»Ist es auch, glaub mir. Vielleicht kannst du dir jetzt vorstellen, warum ich froh bin, auf dem Internat sein zu können. Und warum ich auch die Wochenenden selten freiwillig Zuhause verbringe.«

Manu seufzte, wollte sich näher an ihn kuscheln, zögerte dann aber.

»Sind wir hier drinnen ...« »Sicher? Ja. Komm her.«

Wortlos legte Manu seinen Kopf auf Patricks Brust ab, der sanft durch seine Haare fuhr. Der Ältere seufzte.

»Ich habe das vermisst. Da draußen. Mich verstecken zu müssen, uns.«

Manu musste schlucken.

»Ich finde es auch verdammt dumm. Ich habe die ganze Zeit das Bedürfnis, dir näher zu sein. Ich muss mich jedes Mal davon abhalten, einfach deine Hand zu nehmen. Und wenn ich nicht aufpasse setzte ich mich einfach automatisch viel zu verräterisch nah zu dir und so etwas. Es ist ein verdammt ätzendes Gefühl, zu sehen, wie es dir nicht gut geht, aber dich nicht berühren zu dürfen.«

Patrick seufzte und Manu spürte, wie er augenblicklich fest an den Oberkörper seines Freundes gezogen wurde.

»Manu?«

»Hmm?«

»Wenn du willst und dir das irgendetwas bringt ... können wir es ihnen sagen.«

Erschrocken wollte Manu sich aufsetzen, versuchte, aus Patricks Armen frei zu kommen.

»Was? Warum?«

»Ich will nicht, dass du darunter leiden musst, dass meine Eltern solche Idioten sind. Das ist nicht deine Schuld, aber du musst es jetzt ausbaden.«

»Du willst dich vor ihnen outen?«

»Wenn das dir -« »Spinnst du?«

Patrick hob erschrocken die Arme, hätte mit einem so starken Protest anscheinend nicht gerechnet.

»Okay.«, er lachte leise, »Man gewöhnt sich an sie, wirklich. Meistens ist es okay.«

»Meistens?«

Er seufzte und langsam schafften sie es wieder, sich in die gemütliche Decke zu kuscheln. Manu genoss es echt, wie oft sie einfach nur zusammen im Bett lagen und redeten oder anders Zeit miteinander verbrachten.

»Ja. Es gibt manche Momente, die sind schlimmer. Zum Beispiel haben sie vor drei oder vier Wochen beim Abendessen von Freunden von ihnen erzählt. Deren Sohn hat sich als Trans geoutet – er ist kein Mädchen, sondern ein Junge. Es ging den ganzen Abend nur darum, wie unnatürlich und krank so etwas sei und überhaupt diese ganzen neuartigen Krankheiten und Psychosen und Schwulsein gehört da ja auch dazu und so weiter. Und in solchen Momenten ist es verdammt schwer. Dann will ich ihnen am liebsten ins Gesicht schreien, wie dumm sie eigentlich sind, oder in mein Zimmer rennen und heulen. Oder beides. Aber stattdessen muss ich bei ihnen sitzen und lächeln, während sie solchen Mist erzählen.«

Manu schlucke. Das klang wirklich verdammt hart. Unter der Decke griff er nach Palles Hand, die angenehm warm war.

»Was wurde aus dem Transjungen?«

»Keine Ahnung. Mein letzter Stand ist, dass sie sich weigern, das zu verstehen, oder ihn mit neuem Namen und Pronomen anzureden. Und sie haben glaube ich darüber nachgedacht, ihn irgendwo hinzuschicken, irgendeine kirchliche Einrichtung. Ich kann nur für ihn hoffen, dass sich die Lage irgendwie gebessert hat.«

»Glaubst du ... Sie würden bei dir ähnlich reagieren?«

»Naja ... Transsexualität ist schon noch ein Mal eine größere Nummer, würd ich sagen. Vor allem können sie das einfach ignorieren und so tun, als wäre nichts. Aber schwul zu sein ... wahrscheinlich würde es ähnlich ablaufen. Wahrscheinlich würden sie versuchen, mich auch an den verpflichtenden Heimfahrtswochenenden nicht mehr sehen zu müssen oder so. Das wäre noch die beste der Möglichkeiten, damit wäre ich voll okay.«

Patrick seufzte.

»So oder so – ich will es nicht ausprobieren. Die paar Tage im Jahr, die ich hier bin, halte ich aus und im Rest des Jahres darf ich ich sein.«

Manu hatte, während Patrick erzählt hatte, einen Entschluss gefasst. Und seine Mutter würde ihm bei dieser Entscheidung bestimmt zustimmen.

»In den Sommerferien ... ich werde mit meinen Eltern reden. Vielleicht kannst du für ein paar Wochen zu mir. Ich will nicht, dass du alleine hier sein musst.«

Sofort weiteten Palles Augen sich ein bisschen und begannen fast, zu strahlen.

»Glaubst du, das ginge?«

»Klar. Meine Mutter liebt dich inzwischen. Außerdem hat sie fünf Kinder großgezogen. Sie ist es gewöhnt, volles Haus zu haben. Bei uns ist eigentlich immer jeder willkommen gewesen, so lange ich denken kann. Und das gilt erst recht für dich.«


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Palle hat es ja wirklich nicht leicht Zuhause. Was sagt ihr? Feedback?

Ich lade euch herzlich ein, mir als Autor zu folgen. Diese Geschichte wird nur noch zwei Kapitel haben und wer dann gerne mehr von mir lesen möchte, kann so auf dem neusten Stand bleiben!

Die nächste Story wird eine Stexpert-Kurzgeschichte sein, die mir sehr am Herzen liegt.

Was sich liebt ... ~ #KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt