»Manu? Bleibst du bitte noch kurz da?«
Irritiert hielt Manu inne, nickte dann aber und ging, nachdem er seine restlichen Schulsachen zusammengepackt hatte, vor zum Lehrerpult, wo er stehen blieb. Dado blieb an der Tür und wartete auch auf ihn, was Manu aber auch nicht störte. Er wusste zwar nicht, was sein Kursleiter von ihm wollte, aber es war mit Sicherheit nichts, was Dado nicht würde wissen dürfen.
»Wir haben ja vor ein paar Wochen darüber gesprochen, dass du für deine fehlenden mündlichen Mitarbeitsnoten eine Ersatzleistung bringen musst. Wir haben es jetzt so lange es geht hinausgezögert, aber nachdem es ja nicht scheint, als würde sich bald etwas bessern, würde ich das lieber jetzt angehen, bevor die Klausurenphase wirklich beginnt.«
Manu nickte. Das klang auf jeden Fall logisch und auch sinnvoll.
»Ich hab mit deinen anderen Fachlehrern gesprochen und habe folgendes Angebot für dich: In Deutsch schreibt ihr eh Übungsaufsätze. Dort würde deiner benotet und als Ersatzleistung eingebracht werden. Das bedeutet keinen zusätzlichen Aufwand für dich.« Manu nickte zustimmend. »In Mathe kann deine Mitarbeit trotzdem bewertet werden - es geht nicht primär darum, dass du die Aufgaben richtig rechnest, sondern darum, dass man sieht, dass du die Mühe gibst, es zu verstehen, mitschreibst und mitrechnest. Dazu würde dein Fachlehrer dein Heft einsammeln. Ist das auch okay für dich?«
Dieses Mal zögerte er. Er hatte nie ein Problem mit Mathe gehabt, im Gegenteil. Das hieß aber auch, dass er seine Hefte eher so semi-sorgfältig führte. Bestimmt die Hälfte der Einträge hatte er nie abgeschrieben und die meisten Aufgaben nur so weit berechnet, bis er gesehen hatte, dass er es konnte. Er fand das auch völlig legitim – schließlich konnte er es. Das würde nun aber ein Problem werden. Manu zog sein Handy heraus und versuchte, das möglichst geschickt zu erklären und abzutippen.
»Okay. Vielleicht finden wir dort eine andere Lösung. Ich werde mit dem Kollegen darüber sprechen und einer von uns wird noch ein Mal auf dich zukommen deswegen.«
Manu nickte, erleichtert, dass sein Kursleiter offenbar so viel Verständnis dafür hatte. An sich war der Typ echt okay.
Auch die meisten anderen Fächer besprochen sie. In den Kursen, die er mit Dado zusammen hatte, wurde mit dessen Zustimmung ausgemacht, dass Manu sich ganz normal melden, seine Antwort aufschreiben und Dado sie für ihn vorlesen würde. Ein bisschen umständlich für die Beiden, aber nicht störend für den Unterricht. Und Dado schien damit kein Problem zu haben. Im Gegenteil war er es gewesen, der das Angebot gemacht hatte. Wieder ein Mal wurde Manu sich bewusst, was für einen tollen besten Freund er eigentlich hatte und als sie schließlich das Klassenzimmer zusammen verließen konnte er nicht anders, als ihn noch ein Mal dankbar zu umarmen.
*
»Dado? Was ist los?«
Der Kleinere sah kurz auf, seufzte dann. Manu hatte eine ganze Weile beobachtet, wie sein bester Freund unwillig in seinem Essen herumgestochert hatte, bevor er ihn jetzt doch darauf angesprochen hatte.
»Nichts. Alles gut.«
»Wirklich?«, Manu schien nicht wirklich überzeugt und natürlich merkte auch Dado das.
»Ja. Versprochen. Wir reden nachher darüber, okay?«
»Okay. Aber ... Liegt es an der Essstörung?«
Dado seufzte, schüttelte aber den Kopf.
»Nein.«
»Kannst du dann bitte etwas essen?«
Dado versuchte ein Lächeln - er wusste, dass Manu es nur gut meinte und sich Sorgen machte - und spießte nun wirklich etwas auf seine Gabel auf. Allein das Klappern des Bestecks war fast lauter als die, nur für ihn bestimmte, Stimme seines besten Freundes.
»Es ist nicht wieder schlimmer geworden, keine Angst. Es ist bloß ... Wenn ich andere Dinge habe, die mich beschäftigen, ist es schwer, sich auch noch darauf zu konzentrieren, vernünftig zu essen.«
»Aber ... wenn es wieder schlimmer werden würde ...«
»Würde ich es dir sagen, ja.«
Dado seufzte und sein Lächeln war so schwach, dass es seine Augen gar nicht erreichte. Sofort spürte Manu das schlechte Gewissen in ihm aufsteigen.
»Du weißt, dass ich dich nicht damit nerven will oder so? Ich ... mache mir bloß Sorgen um dich.«
Dieses Mal wirkte Dados Lächeln schon aufrichtiger und man merkte, wie er sich bemühte, als er sich eine neue Gabel zwischen die Lippen schob.
»Ich weiß: Mache ich ja auch oft. Es ist nichts Schlimmes passiert. Eigentlich. Ich hab bloß mit meinen Eltern telefoniert. Sie haben irgendwie herausgefunden, dass du wieder in meinem Zimmer bist.«
Sofort stockte Manu und auf ein Mal konnte er komplett verstehen, warum Dado der Appetit vergangen war.
»Sorry, ich wollte nachher in Ruhe mit dir darüber sprechen.«
»Heißt das ... Ich muss wieder zurück?«
»Nein. Also ... ja, wenn es nach ihnen ginge, schon. Sie haben mit der Schulleitung gesprochen. Aber die haben von der Psychologin eindeutig empfohlen bekommen, uns auf keinen Fall zu trennen. Ich meine ... ist ja auch klar. Sie behandelt uns beide, dich wegen deinem Trauma, der Stummheit und so und mich wegen der Essstörung. Sie weiß am besten, wie wichtig das für uns beide ist. Die Schulleitung hat meinen Eltern also dringlichst davon abgeraten, uns jetzt künstlich zu trennen.«
»Ich bin nicht Schuld daran.«
Sie hatten dieses Thema schon so oft gehabt und trotzdem konnte Manu nicht anders, als sich jedes Mal auf Neue zu verteidigen. Er konnte nichts für Dados Krankheit! Und es stimmte: Sie brauchten einander momentan einfach. Es gab weder Grund, sie zu trennen, noch würde das einem von ihnen nutzen.
»So weit ich weiß, haben die auch deinen Eltern geschrieben und jetzt alle zusammen zu einem Gespräch bestellt. Da wird dann der Antrag meiner Eltern diskutiert. Aber ... Wenn die Psychologin davon abrät ... Da können sie eigentlich nicht wirklich etwas machen, oder?«
Dados Stimme klang unsicher, doch Manu nickte bloß. Es wäre dumm, gegen den Rat der Psychologin zu handeln. Das würden sie nicht machen, oder?
»Aber was, wenn doch?«
Manu wagte es, auszusprechen, wovor sie beide Angst hatten. Dado zuckte bloß mit den Schultern und schob sich tapfer eine neue Gabel in den Mund.
»Wenn sie wirklich darauf bestehen ... Dann wird das wohl leider einen Rückschlag in meiner Therapie geben, den sie nicht von der Hand weisen können. Gib mir zwei Wochen und ich hab wieder so viel Gewicht weg, dass sie uns wieder zurück lassen müssen.«
»Nein. Dado, auf gar keinen Fall!« Trotz seiner Aufregung war Manus Stimme leise, ging gar nicht lauter, nicht mit all den Menschen um sie herum. »Du wirst dich nicht abhungern und riskieren, wirklich einen Rückschlag zu erleiden. Vergiss es, das werde ich mit Sicherheit nicht zulassen.«
Dado lächelte, kämpfte sich einen weiteren Bissen herunter.
»Danke. Süß von dir.«
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Was sich liebt ... ~ #Kürbistumor
FanfictionEigentlich war Manus Leben immer ganz okay, seitdem er auf dem Internat war. Er hatte einen besten Freund, keine Probleme in der Schule, war zwar nicht unbedingt beliebt, aber es war okay - bis Palle kam. Palle, der ausgerechnet nach Dados Verschwin...