60. Abreise

2.3K 258 47
                                    

Sie waren noch eine ganze Weile dort sitzen geblieben, mitten auf dem Flur und Patrick hatte keine Anstalten gemacht, Manu loszulassen. Irgendwann war eine Gruppe an Jugendlichen gekommen – wohl irgendeine andere Schülergruppe oder ähnliches, die hier im Hotel schlief, aber zum Glück niemand aus ihrer Mannschaft. Zwar hatten zwei dieser Fremden einen leicht abfälligen Kommentar abgelassen, aber Patrick hatte Manu bloß zugeflüstert, sie zu ignorieren. Manu hatte sich sofort extrem verspannt gehabt, aber Palle hatte ihn, um ihn abzulenken, kurzerhand vorsichtig geküsst – was auch die Fremden so perplex gemacht hatte, dass sie bloß mit einer halbherzigen Beleidigung weiter gegangen waren. Dass solche Konfrontationen nicht immer so gut ausgingen, versuchte Manu sofort zu verdrängen. Das war etwas, womit man als geoutet Schwuler wohl zu leben lernen musste. Und das war es auch nicht ein Mal wovor er am Meisten Angst hatte, vor den kleinen, regelmäßigen Konflikten. Was ihm viel mehr Angst machte, war sein Alltag – wie sein Leben sich verändern würde, würde er seinen Mitschülern de Wahrheit erzählen. Er wollte nicht wieder zum Außenseiter werden, wollte nicht wieder gemobbt werden, gerade jetzt wo er das erste Mal das Gefühl hatte, wirklich dazuzugehören. Andererseits wusste von Patricks Sexualität jeder und keiner schien auch nur irgendein Problem damit zu haben – und auch Stegi und Tim hatten, obwohl sie inzwischen offen zusammen waren, kaum Probleme – und wenn, dann nur mit irgendwelchen Unterstufenschülern, die von irgendwem das Wort »Schwuchtel« aufgeschnappt hatten und sich cool fühlten, wenn sie es ihnen jetzt entgegenwarfen – um dann kichernd wegzurennen. Das hatte Manu ein Mal beobachten können – und auch, wie Stegi sich kurz darauf einen dieser Halbstarken geschnappt hatte und dieser auf ein Mal gar nicht mehr so mutig gewesen war – obwohl der Ältere ihn nicht ein Mal bedroht, sondern nur angeschnauzt hatte, seine Klappe zu halten.

Als sie in ihr Zimmer zurückgekehrt waren, hatten ihre Freunde schon geschlafen und so hatten sie sich bemüht, sich möglichst lautlos in ihre Betten zu schleichen, um niemanden mehr zu wecken.

Manu lag noch lange wach, während seine Gedanken immer wieder kreisten und ihm keine Ruhe lassen wollten. Am liebsten wäre er zu Palle ins Bett gekrochen, hätte sich von ihm beruhigen und trösten lassen – aber er durfte nicht. Patrick hatte ihm mehr als nur deutlich gemacht, dass er so etwas nicht wollte. Dass sie nur Freunde waren. Sie waren nur Freunde, nicht mehr und nicht weniger, und es war seine eigene verdammte Schuld.

Am nächsten Morgen brauchte Manu lange, um aus dem Bett zu kommen. Sie verbrachten den Tag als Mannschaft damit, den anderen Spielen zuzusehen und Manu bemühte sich, einen gesunden Abstand zu Patrick zu halten – so wie es für Freunde üblich war. Sie trafen ein paar Spieler aus einer anderen Mannschaft, mit denen sie eine Zeit lang abhingen und sich ganz gut verstanden. Am Abend hatten sie eigentlich geplant, noch ein Mal etwas zu trinken – waren am Ende aber alle viel zu müde, so dass sie, sich selbst auslachend, um kurz nach Elf alle im Bett lagen. Manu hatte den ganzen Tag lang versucht, zu akzeptieren, dass zwischen ihm und Palle nur Freundschaft war, und auch, wenn dieser ihn heute vielleicht schon wieder ein bisschen mehr beachtet hatte, als alle anderen, war es dennoch ein beschissenes Gefühl.

Am nächsten Morgen konnten sie zum Glück bis kurz vor elf ausschlafen – wodurch sie sowohl das Frühstück verpassten, als auch die Chance, ihren im Internat gebliebenen Freunden per Nachricht unter die Nase zu reiben, dass die jetzt Unterricht hatten, während sie für heute alle befreit waren. Das holten sie jedoch sofort fleißig nach, nachdem sie sich doch noch aus den Betten bequemt hatten. Mittags durften sie in die Stadt und ihre Gruppe beschloss, kurzerhand Pizza essen zu gehen – das war einfach und dort gab es zum Glück auch große Tische, wo sie alle hin passten. Die Siegerehrung am Nachmittag hielt sich kurz und so kamen sie nach der langen Busfahrt gerade rechtzeitig zurück ins Internat, um kurz auf ihre Zimmer zu gehen und dann zum Abendessen zu können.

Im Bus hatte die Ereignislosigkeit manche von ihnen dazu gebracht, noch ein Mal eine Weile zu dösen – und Manu hatte dazu gehört. Da Patrick dieses Mal neben ihm gesessen war, war er im Schlaf an dessen Schulter gerutscht und hatte sich an ihn gelehnt – was ihm beim Aufwachen verdammt peinlich gewesen war. Für Palle schien das jedoch, seinen Reaktionen nach, keine Überschreitung seiner Nur-Freundschafts-Grenzen gewesen zu sein.

Als Manu zurück auf sein Zimmer kam, hatte er eigentlich erwartet, den sonst so pünktlichen Dado nicht mehr anzutreffen, aber der war noch nicht im Speisesaal, sondern schien auf ihn gewartet zu haben. Kurz spürte Manu die Sorge in sich aufsteigen, als sein bester Freund ihn zur Begrüßung stürmisch umarmte. War etwas geschehen, dass er jetzt so intensiv reagierte?

Jedoch merkte er bald, dass es Dado relativ gut zu gehen schien und als sie zum Abendessen gingen und sich extra einen Platz abseits ihrer Klassenkameraden suchten, um in ruhe reden zu können, war Manu wirklich froh, ihn wieder zu sehen. Es tat gut, jemanden zu haben, dem man vertraute und mit dem man über alles sprechen konnte. Seine eigenen Sorgen und Gedanken schob er aber erst ein Mal zur Seite, um Dado zuzuhören. Der langte beim Abendessen kräftig zu, was Manu beruhigte. Wenn Dado aß hieß das immer, dass es ihm relativ gut ging – und bei seiner immer noch ziemlich schmalen Statur musste er auch keine Angst haben, zu viel zuzulegen.

Erst als sie abends wieder auf ihrem Zimmer waren – mehr als einen flüchtigen Blick und ein Lächeln hatten Manu und Patrick nicht mehr getauscht – kam Manus Wochenende zum Gespräch, und er begann, Dado von allem zu erzählen, was seine Gedanken so sehr beanspruchte und ihn innerlich so verdammt wütend machte – auf die Situation und sich selbst.


~~~~~~~~~~

Seien wir ehrlich: Wir sehen es doch alle kommen. So lange wird dieses Freundschaft-Plus-Ding nicht mehr gehen. Manu hält es ja selbst kaum mehr aus.

Wie denkt ihr, wird Manu sich diesbezüglich verhalten? Was will er und wie wird er dazu kommen?

Was sich liebt ... ~ #KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt