Kapitel 74

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Am nächsten Morgen marschierten die ersten versprochenen Truppen aus Westenraa ein, allesamt angeführt von dunkelhäutigen Männern, die in Streitwagen saßen und bis auf die Zähne bewaffnet waren. Die Soldaten, die strammen Schrittes hinter ihren Heerführern hergingen, trugen goldglänzende Rüstungen, die den Betrachter im Schein der aufgehenden Sonne förmlich blendeten. Darunter hatten sie luftige Gewänder an - weiß natürlich -, die ihre dunkle Hautfarbe betonten. 

Ein Schauspiel aus trainierten Körpern, blitzenden Klingen und wehenden Fahnen. 

Hinter den zu Fuß gehenden Soldaten rollten einige Wagen über den mit Gras bewachsenen, mittlerweile allerdings zertrampelten Boden. Damit wurden Unmengen von senfgelben Zelten transportiert, die rund um Ashbrook aufgeschlagen werden würden, um die Hauptstadt zu belagern. Es würde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis auch Kaelans Heere ankommen würden, um den westenraaschen Männern beizustehen, doch bis dahin mussten wir uns auf zahllose andere Dinge konzentrieren. 

Beispielsweise auf Cordelia und die Drohung des Offiziers. 

Kaelan, der mit unbewegter Miene neben mir stand und die einmarschierenden Soldaten berechnend beobachtete, spürte meinen Blick und wandte mir sein Gesicht zu. In seinen dunkelblauen Augen loderte ein eiskaltes Feuer, das glücklicherweise nicht mir galt, sondern der Morddrohung gegen ein siebenjähriges Mädchen, das mit Magie gesegnet worden war und deshalb sterben sollte. Unter anderem allerdings auch wegen mir. 

»Und du kennst ihren Vater?«, fragte er, seine raue Stimme zu einem Flüstern gesenkt. 

Ich wusste, wen er meinte, noch ehe er seine Frage präzisieren konnte. Die Unruhe, die von ihm ausging, war beinahe greifbar, seine Gedanken leicht zu erraten. Es war ein Schock gewesen, die Geschichten über den Hass gegenüber der Magie, die er sein Leben lang gehört hatte, in der Realität wiederzufinden. Und ich verstand sehr gut, was in ihm vorging. 

»Ja«, meinte ich also leise und richtete meinen Blick wieder auf die großen Heere des westenraaschen Königs, der uns mit seiner Anwesenheit nicht beehren würde.
»Er hat sich meiner angenommen. Wurde zu einer Art Mentor. Er hat mich im Nahkampf unterrichtet. Noch bevor ich Jeremia überhaupt kannte.« Die Erinnerung an meine ersten Stunden mit dem Schwert trieben mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich hatte mich trotz Sonnenanbeterinnen-Fähigkeiten ziemlich lachhaft angestellt. »Er erzählte mir jedenfalls während meiner Flucht von seiner siebenjährigen Tochter Cordelia. Sie ist der Grund dafür, dass er sein Leben dem Widerstand verschrieben hat und mit Connor kooperiert, falls der uns alle nicht doch ins offene Messer laufen lässt.« Ich hoffte so sehr, dass meine Zweifel unberechtigt und Connor ehrlich war. »Er hat mit der Suche nach ihr begonnen, nachdem sie verschwunden war. Seine Frau und er. Die beiden haben sofort gewusst, was sie war und wollten sie dennoch großziehen. Das blieb ihnen allerdings nicht vergönnt, weil sie entführt worden war - wie es die Ältesten mit allen Sonnenanbeterinnen so handhaben - und seitdem lebt Theodore nur noch dafür, sie zu finden.«

Der Eiskönig nickte, ehrlich betroffen. »Und was ist mit seiner Frau?«

»Sie ist verstorben. Mehr weiß ich nicht über sie, leider.«

»Ich verstehe nicht, wie ihr in einer solchen Welt leben könnt.«

Ich lächelte bitter. »Ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben. In diesem Königreich führen nur die Adligen ein angenehmes Leben.« Und der König. Vor allem der König. Damit musste Schluss sein. Ein für allemal. 

»Das hört sich furchtbar an«, meinte Kaelan bedrückt. 

»Das ist es auch.«

Einen Moment lang sahen wir uns in einvernehmlichen Schweigen an, dann ertönten Schritte hinter uns und wir drehten uns gleichzeitig um. Jeremia kam den Berg herauf und blickte uns an. Blickte uns an, als würde sich das Bild, das er vor sich sah, verändern, wenn er dies nur lange genug tun würde. Ich war genervt von seiner grundlosen Eifersucht. Kaelan hatte keinen einzigen Annäherungsversuch unternommen und verhielt sich mir gegenüber absolut tadellos. Bloß weil Jeremia irgendwelche Gespenster sah und mir nicht zur Gänze vertraute... 

BORN TO BURN (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt