» Kapitel 16 «

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Die Überdachung der Gartenlaube bröckelte, der weiße, einst makellose Marmor zersprang, ebenso die Säulen. Weißer Pulver regnete auf uns herab und die Dienerschaft geriet in helle Aufruhr. Sie liefen allesamt panisch umher und stießen Stühle um. Die Tyrannin stürmte die wenigen Stufen hinauf und riss den König auf seine Füße. Daraufhin versuchte sie, ihn bestmöglich mit ihrem eigenen Körper zu beschützen und geleitete ihn nach unten. Er schien in eine Art Schockstarre gefallen zu sein, denn er reagierte auf keine ihrer Fragen und starrte mit aufgerissenen Augen vor sich hin.

Nun platzte auch der Boden auf und nahm den vor mir stehenden Tisch mit den köstlichen Früchten mit sich. Der Lärm war schier ohrenbetäubend, er klang wie das mächtige Grollen eines Donners. Ich für meinen Teil saß anteillos auf meinem Stuhl, das Bild einer unerklärlichen Zerstörung keine Handbreit von mir entfernt. Das angstvolle Gekreische der Diener und Soldaten, die sich darum bemühten, sich in Sicherheit zu bringen, klirrte in meinen Ohren, sodass ich sie mir zuhielt.

Die Sache ließ mich völlig ungerührt. Ich schwieg und schaute ruhig dabei zu, wie sich ein großer Teil der Marmordecke löste und krachend einen Soldaten unter sich begrub. Sein Körper wurde unbarmherzig von der schweren Masse zerquetscht. Es interessierte mich nicht besonders.

Um mich herum ging die Welt unter und was tat ich? Ich beobachtete alles gelassen, ließ nichts davon an mich heran. Ich empfand nichts, absolut gar nichts. Da war nur der plötzliche Schmerz, der sich explosionsartig hinter meiner Stirn entlud und ein unmenschliches Brüllen meinerseits provozierte. Ich fiel auf meine Knie und presste mir die Hände vor die Augen.

Musste ich nun sterben? Würde ich ironischerweise von keinem herabfallenden Marmorteil erschlagen, sondern von einem unerträglichen Kopfschmerz ins Jenseits befördert werden? Sah so mein Ende aus? Der Gedanke hätte mich wahrscheinlich zu einem bitteren Auflachen verleitet, wenn ich keine solchen Empfindungen über mich hätte ergehen lassen müssen.

»Holt sie da raus!«, erreichte mich auf einmal der verzweifelte Ausruf des Königs, in den offenbar wieder Leben kam. »Ich brauche sie! Ihr dürft sie nicht sterben lassen! Los, macht was! Sonst wird sie erschlagen!«

»Eure Majestät, es ist viel zu ge-...«

»Ich möchte keine Ausreden hören!«, fuhr er den Soldaten an, der ihn wohl davon hatte überzeugen wollen, die Sache nicht weiter zu verfolgen. »Wenn das Mädchen stirbt...«, brüllte der König mit lauter Stimme, »wird jeder Einzelne von euch im Morgengrauen hingerichtet werden! Jawohl! Verbrannt! Geköpft! Was auch immer!«

Ich versuchte vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen. Denn jedes Mal, wenn ich mich auf den Knien befand, explodierte ein erneuter Schmerz in meinem Kopf, sodass ich aufs Neue vornüber fiel und mit dem Gesicht voran auf dem harten Boden aufschlug. Ich legte mir beide Hände auf den Hinterkopf und zog und zerrte an meinen Haaren. Ich verfiel in einen Zustand des Wahnsinns, so schrecklich war die Empfindung, die sich meiner bemächtigte.

Da spürte ich überraschenderweise zwei Arme, die um meine Hüften geschlungen wurden und mich emporhoben. Gelähmt und völlig wehrlos schloss ich die Augen und gab mich meinem Erretter hin, der mich, wie ich hoffte, lebendig hier herausbringen würde. Die Pein, die noch immer in meinem Kopf wütete, bestärkte mich im Glauben, ich würde sterben. Ich hatte so etwas, weiß Gott, niemals zuvor gefühlt.

Mir wurde schwindelig und wenig später verlor ich das Bewusstsein.

*

In der Zeit meiner mentalen Abwesenheit durchlebte ich immer und immer wieder den Moment der brutalen Hinrichtung des Spions, der weinend die Namen seines Sohnes und seiner Frau stammelte, wohl wissend, dass sie ohne ihn sterben würden. In Zeitlupe sah ich den Kopf des Mannes über den Kies rollen, sah, wie der dazugehörige Körper erschlaffte, der Leichnam jede Gegenwehr aufgab und das Blut in einem hellen Rot aus dem abgetrennten Hals hervorsprudelte.

BORN TO BURN (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt