Vielseitig

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Lari: Hey!

Noah: Hallo!

Wir umarmten uns auf eine recht unnatürliche Art und Weise, was wohl daran lag, dass wir uns ein paar Nächte zuvor sehr nahe gekommen waren und es jetzt in einer komplett anderen Umgebung etwas unangenehm war, so zu tun, als wäre nichts passiert und als wäre das ein ganz normales Date.

Ich setzte mich gegenüber von Noah in den weißen Sessel und griff nach der Eiskarte.

"Weißt du schon, was du nimmst?", fragte ich gespielt nebenbei, während ich die Auswahl der Becher überflog.

Warum war ich denn so nervös, es war nicht das erste Mal, dass ich mit einem Jungen alleine war. Okay, es war mein erstes richtiges Date. Natürlich hatte ich mich schon früher mit Jungs getroffen, wurde auch ein paar Mal gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihnen "auszugehen", aber in diesen Fällen war von meiner Seite her kein Interesse vorhanden. Aber diesmal war es da, voll und ganz, ich hatte schon lange nicht mehr solche Gefühle für einen Jungen entwickelt. Eigentlich seit V. Doch über V sollte ich keinen Gedanken verschwenden.

"Klar, ich nehm immer den Schokobecher", lachte er und ich schaute auf.

Sein Lächeln war schön und brachte mich direkt auch dazu. Ich mochte Noah, ja, ich mochte ihn wirklich, die Frage war nur, ob wir auf unsere erste sehr nahe Bekanntschaft so etwas wie eine Beziehung aufbauen konnten. Und, ob ich meine Nervosität unter der Griff bekam.

"Ich glaube, ich entscheide mich für den Obstbecher"

Damit klappte ich die Karte zu und setzte mich möglichst aufrecht hin. Ich war bereit, mit ihm ein Gespräch zu führen und ihn näher kennenzulernen.

"Also, ähm, was machst du denn so, also, abseits von der Schule"

Wow, toller Anfang, Lari.

"Ich spiele Fußball und das schon mein ganzes Leben lang", sagte er mit einem breiten Grinsen.

Meinen Hass über Fußball hatte ich noch immer nicht ganz abgelegt, aber ich versuchte es zu überspielen.

"Echt cool, spielst du im Verein?"

"Ja, wir haben jeden Tag Training und an den Wochenenden meistens Match"

"Oha, wird dir das nicht zu viel?"

"Wenn du etwas wirklich mit Leidenschaft machst, dann kannst du es auch jeden Tag machen"

"Das stimmt"

Ein junger Kellner kam an unseren Tisch und wir gaben unsere Bestellung auf. Sobald er wieder weg war, wandte sich Noah mir zu.

"Und was ist deine Leidenschaft?"

Ich zögerte immer, über das zu reden, was wirklich meine Leidenschaft war, denn meistens nahm man es nicht ernst, lachte leise darüber oder tat nur so, als würde man es toll finden. Denn mit meiner Leidenschaft einen Beruf zu finden ist nicht so einfach, doch genau das möchte ich erreichen. Darüber mit anderen zu reden, hat sich jedoch als Fehler erwiesen, da man mir immer nur empfehlen wollte, doch etwas Gescheiteres zu machen, mit besseren Chancen, und mich auf Effizienteres zu fokusieren.

"Ich zeichne gerne"

Das war nicht gelogen, ich zeichnete wirklich sehr gerne, aber mit einer wirklichen Leidenschaft habe ich es noch nie getan.

"Du musst mir unbedingt einmal etwas zeigen von deinen Werken"

Er wirkte wirklich interessiert, aber ich nickte nur schnell.

"Erzähl noch mehr über dich", versuchte ich von mir abzulenken.

"Ich hab einen Bruder, den kennst du bestimmt, er geht in unsere Schule und schaut mir nicht so unähnlich und sonst gibt es nicht so viel über mich zu erzählen, weil ich meine meiste Zeit mit Fußball verbringe, deshalb können wir uns nicht so viel über YouTuber, Sänger, Filme oder so ein Zeug unterhalten"

Ich biss auf meine Unterlippe, etwas, was ich immer tat, wenn ich überlegte, was ich als nächstes sagen sollte.

YouTube, Sänger und Filme waren drei von vielen Themen über die ich stundenlang reden könnte, weshalb mich seine Anmerkung nur noch nervöser gemacht hat.

"Okayy, dann klär mich doch einmal ein bisschen über Fußball auf"

"Wie? Heißt das, du kennst dich bei Fußball nicht aus?"

Verlegen nickte ich.

"Also, pass mal auf, ..."

Gott sei Dank unterbrach uns der Kellner, der unsere Becher brachte. Höflich bedankten wir uns und begannen das Eis zu löffeln. Wir kosteten sogar von einander, doch sobald er seinen Teil hinuntergeschluckt hatte, begann er mich in allen Detail über Fußball aufzuklären und meine Gedanken schweiften ab, ohne, dass ich es überhaupt wollte.

Mit einem unauffälligen Blick schaute ich nach ein paar Minuten auf mein Handy.

Puh, ist das langweilig, ich bin dann mal weg...

Rita. Schnell überflog ich das Café und entdeckte zwei Tische hinter uns ein Mädchen mit einem breiten Sonnenhut und Sonnenbrille, dass gerade für ihre heiße Schokolade bezahlte. Heiße Schokolade im Sommer, das konnte auch nur Rita bringen.

Noah merkte, dass ich von etwas abgelenkt war und warf einen Blick über seine Schulter.

"Kennst du die?", fragte er mit einer hochgezogenen Braue.

"Ähh nein, sie sieht nur jemandem ähnlich, den ich kenne, erzähl weiter", lächelte ich.

"Jetzt bist du dran"

"Oh, okay, lass mich überlegen, also ich tanze Hip Hop, gehe Babysitten und leite eine Jungschargruppe."

"Du scheinst ja vielseitig zu sein, interessant"

Ich presste meine Lippen zusammen und lächelte in mich hinein. Er fand mich interessant. Dabei hatte ich ihm nur die Hälfte von dem erzählt, was ich wirklich tat.

"Und, was hast du vor nach der Schule zu machen?"

Lügen wollte ich nicht, also entschied ich mich für die halbe Wahrheit.

"Ich möchte ins Ausland"

"Oh"

Er schien nicht so begeistert zu sein.

Als nächste Frage erwartete ich von ihm so etwas wie, "Wohin denn genau?" oder, "Was willst du denn dort machen?", aber stattdessen begann er hektisch in seiner Hosentasche zu kramen und einen Kellner herzuwinken.

"Zahlen bitte"

"Getrennt oder Zusammen"

"Zusammen natürlich", meinte Noah, aber sein dauerhaftes Lächeln war wie aus seinem Gesicht gestrichen.

Ich bedankte mich bei ihm, nahm meine Tasche und stand auf. Irgendwie ging das gerade alles ziemlich schnell, für das, dass vorhin die Zeit so langsam vorangeschritten war.

"Also, man sieht sich"

Er drückte mich kurz und fest, verschwand dann in der Menschenmenge und ließ eine verdutzte Lari zurück.

Dear V Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt